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3 Kompetenz als Schlüsselqualifikation und lebenslanges Lernen
ОглавлениеFür die Verwendung und Weiterentwicklung des Kompetenzbegriffs im deutschsprachigen Raum war Noam Chomskys Unterscheidung von Kompetenz und Performanz bedeutsam, wie sie in der pädagogisch-psychologischen Debatte rezipiert wurde (Kobelt 2008, 10) und, zur «kommunikativen Kompetenz»[12] weiterentwickelt, auch in den Sozialwissenschaften Fuss fassen konnte (Grunert 2012, 54). Chomsky hatte 1965 in «Aspects of the Theory of Syntax», die 1969 unter dem Titel «Aspekte der Syntax-Theorie» in einer deutschen Übersetzung erschienen waren, (Sprach-)Kompetenz als «Kenntnis des Sprecher-Hörers von seiner Sprache» und Performanz als den «aktuellen Gebrauch der Sprache in konkreten Situationen» bestimmt (Chomsky 1972, 14). Der Mensch besitze ein angeborenes oder intuitives Muster der Spracherkennung, eine innere Sprachkompetenz, die durch die Sprechhandlung erst sichtbar werde und als das Resultat der Kompetenz zu sehen sei (Vonken 2005, 20). In seiner Theorie geht Chomsky von einer «idealen» Sprechsituation aus, das heisst von einer Situation, in welcher der Sprecher-Hörer von keinen Kontextfaktoren beeinflusst wird und nicht beeinflussbar ist. Er argumentiert damit nicht mit empirischen oder historischen Erfahrungen, sondern konstruiert seine Unterscheidungen und Argumente auf einer rein rationalen, von der Vernunft bestimmten Ebene (Chomsky 1972, 13). Die rational bestimmte Trennung von Kompetenz und Performanz ist denn auch in ihrem Modellcharakter zu verstehen.[13]
In der deutschsprachigen Pädagogik wurde das Konzept der Kompetenz vor allem durch Heinrich Roth (1906–1983) wirkmächtig vertreten. Im ersten Band seiner zweibändigen «Pädagogischen Anthropologie» hatte sich Roth mit der Frage nach der Bildsamkeit und der Bestimmung des Menschen und damit mit normativen Fragen der Erziehung beschäftigt, wodurch er zeigen wollte, «warum diese Leerformeln [Erziehungsziele wie Mündigkeit, Kritikfähigkeit, Kreativität, Emanzipation] […] zur langfristigen Orientierung unverzichtbar sind» (Roth 1971, 14). Mit dem zweiten Band rekonstruierte Roth die entwicklungspsychologischen Grundlagen der Erziehungswissenschaft und wandte sich damit wieder den sogenannt empirischen Fragen zu.
Auch wenn Roth Erziehungsziele als «Leerformeln» bezeichnete, haben diese seines Erachtens trotzdem das Potenzial, ja sogar die Pflicht, Ziele für empirische Entwicklungsprozesse vorzugeben (ebd., 179). Konkret ging es ihm darum, die neue psychologische Überzeugung, Entwicklung als Lern- und nicht als Reifeprozess[14] zu verstehen, auf ihre Bedeutung für die Pädagogik hin zu untersuchen. Dabei spielte Mündigkeit als «Zieldimension von Erziehungs- und Bildungsprozessen, die er auf Seiten des Subjekts als entwickelte Handlungskompetenz versteht» eine zentrale Rolle (Grunert 2012, 47). Eine so verstandene Mündigkeit betreffe die «seelische Verfassung einer Person, bei der die Fremdbestimmung soweit wie möglich durch Selbstbestimmung abgelöst ist». Sämtliche erzieherischen Massnahmen haben sich demzufolge an der Förderung der Selbstbestimmung zu orientieren, wobei diese als «Kompetenz» im dreifachen Sinn definiert wird: als «Selbstkompetenz», «Sachkompetenz» und «Sozialkompetenz» (Roth 1971, 180). Der von Roth gebrauchte Kompetenzbegriff ist damit kein Begriff, der Handlungen oder Umsetzungen bezeichnet, sondern er befasst sich mit den Bedingungen mündigen, moralischen und selbstbestimmten Handelns.[15]
Seit den 1970er-Jahren wurde der Kompetenzbegriff vermehrt in der Berufs- und Erwachsenenpädagogik sowie in der Weiterbildung verwendet, wobei teilweise auch der Begriff «Schlüsselqualifikationen» gebraucht wurde. Auf der theoretischen Seite wurde mit dem Konzept der Schlüsselqualifikationen versucht, die traditionelle Trennung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung aufzuheben bzw. die beiden Bereiche enger miteinander zu verknüpfen. Damit sollte aber auch die fachliche Qualifikation gewährleistet werden, ohne dass diese eng an bestimmte Handlungsabläufe oder Kenntnisse geknüpft werden musste, die in einer sich schnell wandelnden beruflichen Umgebung nur kurze Zeit Gültigkeit beanspruchen konnten (Tippelt 2002, 50–51). Die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft seit den 1980er-Jahren und die damit verbundenen Umstrukturierungen der Arbeitswelt und der beruflichen Tätigkeiten machten das Konzept der Schlüsselqualifikationen auch für die bildungspolitische Diskussion interessant. In diesem Kontext wurde auch das Schlagwort vom «lebenslangen Lernen» geprägt.[16] Gerade in der Berufsbildung war damit die Überzeugung verbunden, dass nicht länger «Qualifikationen», verstanden als Wissen und Fähigkeiten, die im Idealfall für ein ganzes Berufsleben ausreichten, zur Lösung einer bestimmten Aufgabe zu erwerben waren, sondern «Kompetenzen», welche die Basis für eine ständige Weiterentwicklung bilden sollten und die flexibel auf neue Aufgabenstellungen angewendet werden konnten (Kobelt 2008, 15–16).