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4 Kompetenz als messbare Alternative zu Bildung

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Ende der 1990er-Jahre wurde der Kompetenzbegriff im Kontext der vergleichenden Schulleistungsstudien wie PISA in die empirische Bildungsforschung eingeführt, wobei sich die Begriffsbestimmung von Franz Emanuel Weinert und dessen Ausdifferenzierung durch Eckhard Klieme als die gültige Kompetenzdefinition etablieren konnte. In einer im Auftrag des Deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung verfassten Expertise zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards wird explizit darauf hingewiesen, dass der dabei verwendete Kompetenzbegriff abzugrenzen sei «von den aus der Berufspädagogik stammenden und in der Öffentlichkeit viel gebrauchten Konzepten der Sach-, Methoden, Sozial- und Personalkompetenz» (Klieme et al. 2003, 22) und damit von einer erziehungswissenschaftlichen Vorstellung von Kompetenz, wie sie sich während der 1970er-Jahre entwickelt hatte. Kompetenzen werden in der Expertise als eine bestimmte «Leistungsdisposition» verstanden und bezeichnen «erworbene, also nicht von Natur aus gegebene Fähigkeiten […], die der lebenslangen Kultivierung, Steigerung und Verfeinerung zugänglich sind» (ebd., 65). Kompetenzen können also nicht nur erworben, sondern auch entwickelt werden und sind nicht als Fähigkeiten zu verstehen, über die man verfügt oder eben nicht verfügt, sondern über die unterschiedlich verfügt werden kann. Sie grenzen sich zudem deutlich von Qualifikationen ab, die mit ihrer Abhängigkeit von «externer Zweckbestimmung» dem Verdacht ausgesetzt sind, von aussen her vorbestimmt zu sein (Geissler u. Orthey 2002, 70–71).

Auffallend am hier skizzierten Kompetenzbegriff ist seine semantische Nähe zum Bildungsbegriff. Auch dieser wird ja in seiner klassischen humboldtschen Formulierung als eine Kraft verstanden, die es dem Menschen ermögliche, «seinem Wesen» in Auseinandersetzung mit der Welt «Werth und Dauer [zu] verschaffen» (Humboldt 1960, 235) oder in einer in der Literatur oft zitierten zusammenfassenden Neuformulierung durch Hartmut von Hentig: Bildung ist «die Anregung aller Kräfte eines Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt […] entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen» (Hentig 1999, 38). Dies wird dann in der Expertise zur Entwicklung von Bildungsstandards als «erworbene, also nicht von Natur aus gegebene Fähigkeiten» bezeichnet, «die an und in bestimmten Dimensionen der gesellschaftlichen Wirklichkeit erfahren wurden und zu ihrer Gestaltung geeignet sind» (Klieme et al. 2003, 22). Diese Nähe ist nicht weiter erstaunlich, übernimmt der Kompetenzbegriff doch ähnliche Funktionen wie der Bildungsbegriff um 1800. Auch dieser verstand sich als Gegenpol zu «reinem» oder «blossem» Wissen, das nicht tätig oder handlungsleitend wurde. Wenig überraschend wurde denn auch die Debatte geführt darüber, ob und, wenn ja, wie der Kompetenzbegriff den immer wieder in die Kritik geratenen Bildungsbegriff ersetzen kann (Rekus 2007; Tenorth 2008; Schulze 2009; Martens 2010, 42–43).

Kritik an einer In-eins-Setzung des Bildungsbegriffs mit dem Kompetenzbegriff wurde aus einer bildungstheoretischen Perspektive laut, die betont, dass Bildung als Prozess von Selbstentfaltung und Aneignung über den Kompetenzerwerb hinausgehen müsse, da Kompetenzerwerb sich wesentlich auf funktionales Wissen beziehe (Gruschka 2006). Bildung müsse zudem auch unabhängig von einem erreichten Kompetenzniveau möglich sein (Schlömerkemper 2004). Bei dieser Argumentation wird in der Regel allerdings nicht berücksichtigt, dass der Kompetenzbegriff schon in den 1970er-Jahren mit dem Begriff der Mündigkeit in Verbindung gebracht worden ist (Roth 1971, 180), einem der zentralen Begriffe einer emanzipatorischen Bildungstheorie.

Unabhängig jedoch von der Frage, inwiefern der Kompetenzbegriff den Bildungsbegriff ersetzt, ergänzt oder an die internationale Diskussion anschlussfähig macht, finden sich auch Aussagen, dass der Kompetenzbegriff einseitig den Bereich des Wissens fokussiere (Hofer 2012, 31). Gleichzeitig bemängeln die aktuellen Diskussionen um kompetenzorientierte Lehrpläne allerdings gerade die fehlende Bedeutung von Wissen. Kompetenz kann offenbar sowohl als wissensbasiertes als auch als eher wissensunabhängiges Konzept verstanden werden, das, je nach weltanschaulicher Position, Bildung inkorporiert oder verhindert.

Kompetenzorientierter Unterricht auf der Sekundarstufe I

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