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3.2 Die therapeutische Beziehung als realer »Fakt«: die Vorherrschaft der Erfahrung

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Allgemein gesprochen betrachten psychotherapeutische Ansätze die therapeutische Beziehung als praktisches Werkzeug, mit deren Hilfe sich die realen Beziehungen im Leben der PatientIn verbessern lassen.8 Die Gestalttherapie hingegen misst der therapeutischen Beziehung den Charakter einer realen Erfahrung bei, die in dem Raum »zwischen« PatientIn und TherapeutIn geboren wird und ihre eigene Geschichte hat.

Die therapeutische Beziehung wird tatsächlich weder als Ergebnis von Projektionen von Beziehungsmustern gesehen, die Teil der Vergangenheit der PatientIn sind, noch lediglich als Versuchsstation für das reale Leben, in dem »Tests« mit Beziehungsmustern durchgeführt werden, die sich in der Welt draußen als effektiver erweisen würden. Zwischen PatientIn und TherapeutIn entsteht eine einzigartige, nicht reproduzierbare Beziehung, in der die beiderseitigen Wahrnehmungen verändert werden. Die Arbeit an Mustern der Vergangenheit hat zum Ziel, diese Beziehung zu verbessern, nicht vergangene Beziehungen. Das, was zwischen dieser bestimmten TherapeutIn und dieser bestimmten PatientIn geschieht, konstituiert die Behandlung als eine der vielen möglichen Erfahrungen von Behandlung. Dies impliziert, dass die GestalttherapeutIn sich ganz auf die Beziehung einlässt, dass sie ihr eigenes Selbst nutzt.

Die Behandlung baut tatsächlich auf zwei realen Menschen auf. Sie könnten zwar auch diverse Techniken anwenden, um sich einander zu öffnen, doch sie lassen sich mit all dem, was sie an Begrenztheiten mitbringen, spontan aufeinander ein, in eine Beziehung, die durch ihre komplementären Rollen klar definiert ist: Eine(r) gibt eine Behandlung und der/die Andere bekommt sie.

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Situation, die Isadore From gerne schilderte: Ein Patient erzählte ihm von einen Traum und begann mit den Worten: »Ich hatte letzte Nacht einen kleinen Traum.« Isadore From war ziemlich klein gewachsen. Bei seinen PatientInnen rief diese Tatsache Reaktionen hervor, die sie meist nicht zeigten, »wohlerzogen« wie sie waren. From war sich seiner Beschränkung vollkommen bewusst, als er auf den einleitenden Satz des Patienten erwiderte: »Ja! Klein, so wie ich.« Den Patienten machte dieser kleine Scherz zunächst betroffen. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, unhöflich zu sein. Dann brach er in befreiendes Gelächter aus. Er atmete tiefer und konnte nun mit Gefühlen der Zärtlichkeit und des Vertrauens in den Kontakt mit seinem Therapeuten treten – Gefühle, die er vorher blockiert hatte. Es war diese Begegnung zwischen Therapeut und Patient, in der Menschlichkeit ihrer Beschränkungen, die es dem Patienten ermöglicht hatte, seine verborgensten Gefühle zu offenbaren und sich in der Beziehung zu öffnen, mit einem Gefühl des Vertrauens in den anderen, das ihm bisher nur schwer zu erleben möglich war. Dieses Beispiel veranschaulicht, dass die Behandlung nach dem Verständnis der Gestalttherapie in der realen Begegnung zwischen zwei Menschen entsteht. Bei dieser Begegnung taucht etwas Neues auf, das die Fähigkeit des Patienten wiederherstellt, in Kontakt zu treten.

Eine ähnliche Ansicht finden wir bei Stern (2004; Stern et al. 2003), der die »persönliche Handschrift« einer TherapeutIn bei einer Intervention als einen wichtigen Faktor für psychotherapeutische Veränderungen betrachtet. Damit meint er ein bestimmtes Lächeln, eine bestimmte Art zu sprechen oder die PatientIn anzusehen: Sie gibt der PatientIn das Gefühl, dass dies die Art ist, wie die TherapeutIn sich mit einem wichtigen Menschen in ihrem Leben befasst.

Gestalttherapie in der klinischen Praxis

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