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3.4 Die einheitliche Beschaffenheit des Organismus/Umwelt-Felds, Spannung zum Kontakt und das Entstehen der Kontaktgrenze

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Laut der gestalttherapeutischen Perspektive sind Individuum und soziale Gruppe, Organismus und Umwelt keine getrennten Einheiten, sondern Teil einer einzigen Einheit in wechselseitiger Interaktion. Folglich sollte man die Spannung, die möglicherweise zwischen ihnen herrscht, nicht als Ausdruck eines unlösbaren Konfliktes, sondern als die notwendige Bewegung innerhalb eines Felds betrachten, das Integration und Wachstum anstrebt.

Unser phänomenologischer Geist hält uns vor Augen, dass wir nicht aus einem Feld (oder einer Situation) aussteigen können, in dem wir uns befinden. Er gibt uns Werkzeuge an die Hand, mit denen wir arbeiten können, während wir innerhalb der Grenzen verharren, die uns die an diese Situation gebundene Erfahrung auferlegt. Die Begründer der Gestalttherapie propagierten von Anfang an die »kontextuelle« Methode (Perls / Hefferline / Goodman 2006, Bd. I, 43 f.), die, viele Jahre vor Gadamer, von einer hermeneutischen Zirkularität zwischen der LeserIn und dem Buch ausging: »Der Leser steht also scheinbar vor einer unmöglichen Aufgabe: Um das Buch zu verstehen, muß er die ›gestaltorientierte‹ Mentalität schon haben, und um sie zu erwerben, sich diese anzueignen, muß er das Buch verstehen« (ebd., 12).

Die Gestalttherapie entleiht das Konzept der »Intentionalität« (Husserl 1965) aus der Phänomenologie. Bewusstheit existiert nur in ihrer »Bezogenheit auf«, nur in ihrer zielgerichteten Hinwendung zu einem Objekt, in der Transzendierung ihrer selbst. Die Subjektivität bildet sich bei diesem Akt des Transzendierens (Spagnuolo Lobb / Cavaleri 2013). »Wenn ein Mensch im Wesentlichen durch sein Sich-Bilden gebildet wird, durch seine Intentionalität, durch sein In-Kontakt-Treten mit seiner Umgebung, impliziert dies, dass sich Psychopathologie und Psychotherapie mit der Analyse dieser fortlaufenden Transzendierung, der Intentionalität und des In-Kontakt-Tretens auseinandersetzen. Innerhalb dieser Beziehung zur Welt, innerhalb dieser bewussten Hinwendung zu ihr, muss man den Ursprung seelischen Leidens und gleichzeitig den Raum für die Behandlung bestimmen.« (ebd., 348)

In der Gestalttherapie sprechen wir von der »Kontaktintentionalität« und fassen damit sowohl die physiologische »aggressive« Kraft (wie im vorherigen Abschnitt erläutert), die zum Auf-den-anderen/die-andere-Zugehen gehört (vom lateinischen ad-gredi), als auch das tatsächliche Mit-jemandem-Sein, die konstitutiv relationale Physiologie des Menschen.

Hier haben wir eine Möglichkeit, den Kontaktprozess zu beschreiben und dabei das Hauptaugenmerk auf den Rhythmus von Ganzheit und Differenzierung zu richten. Gemäß einer typischen gestalttherapeutischen Epistemologie (siehe u. a. Philippson 2001) ist er kennzeichnend für die Bewegungen des Mit-jemandem-Seins in einer bestimmten Situation.

Aus einem ursprünglichen undifferenzierten einheitlichen Zustand entstehen im Feld Energien und dadurch Differenzierungen, die zum Auftreten differenzierter Wahrnehmungen führen. Sie bilden die Kontaktgrenze, den Ort, an dem Kontaktintentionalitäten im Konkreten des Hier und Jetzt des Kontaktes erfüllt werden.

Der Entstehensprozess des Selbst-in-Kontakt besteht genau in diesem Durchlaufen eines anfänglichen Differenzierungsmangels, der einer Steigerung der Erregung Platz macht. Begleitet wird dieser Prozess von der Wahrnehmung von etwas Neuem im phänomenologischen Feld. Es ist genau diese Erregung der Sinne, die eine Differenzierung ermöglicht (ich merke, dass meine Bewegung sich von der anderer unterscheidet, also bestimme ich mich selbst, ich definiere mich aus just diesem Grund: weil ich anders bin als sie). Die Kontaktgrenze ist definiert durch diese Begegnung in der Verschiedenheit. Daraus entwickelt sich schließlich die Entscheidung, eine Bewegung zum/zur anderen hin zu machen, die von der Solidität der eigenen Unterschiedlichkeit aus (vom Hintergrund des Selbstgewahrseins aus) unternommen wird.

Bezogen auf die Beispiele aus den vorherigen Abschnitten bedeutet das, dass die Mitteilung an die TherapeutIn über die nächtliche Unruhe oder die Beschreibung des Traums als »klein« die ko-kreierten Kontaktgrenzen in einem Feld sind.

Gestalttherapie in der klinischen Praxis

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