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Krisen der westlichen Staatsformen

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Nachdem die schon während des Kalten Kriegs bestehenden Unterschiede zwischen dem europäischen Sozialstaat und dem amerikanischen Weltmachtstaat nach dem Verschwinden der gemeinsamen Kontrastfolie des Staatssozialismus so viel klarer ins Bewusstsein getreten waren, verdichteten sich im zweiten Jahrzehnt des gegenwärtigen Jahrhunderts auf beiden Seiten Gefühle der Unzufriedenheit und mithin Eindrücke von veritablen Krisensituationen. Donald Trump (*1946) wäre 2016 nicht zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden ohne die Unzufriedenheit weiter Wählerschichten mit den von seinen Vorgängern unterstellten und verkörperten Auffassungen der amerikanischen Weltmachtrolle. Sie mögen nach dem Eindruck der Kritiker zu ausschließlich auf Vermittlungsleistungen zwischen anderen Nationen konzentriert gewesen sein (daher die Wirkung von Trumps Slogan »Make America great again«). Zugleich reagierten dieselben Wähler auf vorsichtige Ansätze zu sozialstaatlichen Initiativen unter Präsidenten wie Clinton und Obama mit Nervosität, Phobie und sogar Verachtung. Denn viele von ihnen verstehen solche Strategien (selbst dann, wenn sie zu ihrem eigenen Vorteil ausschlagen) als illegitime Interferenzen eines grundsätzlich auf Eigentumsschutz und Außenpolitik festgelegten Staats in ihr privates Leben.

Die andere, in Europa um sich greifende Unzufriedenheit richtet sich einerseits gegen den massiven Wohlfahrtsstaat mit seinen drastischen Umverteilungsmaßnahmen in Form von anscheinend unendlich steigenden Steuern und mit seinen immer häufigeren Eingriffen in die Privatsphäre unter dem Anspruch ethischer Verantwortlichkeit. Andererseits zieht der europäische Wohlfahrtsstaat aber auch Proteste aus der Gegenrichtung auf sich, wenn er Maßnahmen zur Reduktion seiner allumfassenden Versorgung ergreift, die man polemisch, wenn auch ideengeschichtlich unzutreffend, ›neoliberal‹ nennt. Dies zeigte sich gegen Ende des Jahrs 2018 im intensiven und das öffentliche Leben Frankreichs über Wochen stilllegenden Protest der sogenannten Gelbwesten gegen Präsident Emmanuel Macrons (*1977) an sich bescheidene Reformpläne des französischen Staats. Für manche Kritiker des ›Neoliberalismus‹ wird selbst die Staatsform der Volksrepublik China (trotz ihrer demonstrativen Ausblendung der Öffentlichkeit) zu einer Alternative. Vor allem aber war es die Überschneidung der intensiven Proteste in Frankreich mit dem Vorausblick auf eine nach vier Jahren Trump für die Zukunft des amerikanischen Staats entscheidende Wahl, welche uns überzeugte, dass die Zeit für eine neue Debatte gekommen war. Und so machten wir uns an die Planung einer Reihe von Essays, die den Horizont der Gedanken über die Zukunft des Staats und den Staat der Zukunft vermessen sollten. Sie erschienen über das Jahr 2020 im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung.

Zukunft des Staates – Staat der Zukunft

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