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1. Zur christologischen Interpretation des Namens Jesu bei Paulus

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In dem jüdischen »Allerweltsnamen« Jesus, der ein Grundelement der frühesten christlichen Bekenntnisbildung ausmacht,[5] steckt ein unverkennbar biographisches Element. Es verweist auf das geschichtlich-konkrete Leben eines Juden dieses Namens im Land Israel in der ersten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. Gerade weil der Name Jesus von sich aus keinerlei christologische Bedeutung in sich trägt,[6] musste er im Neuen Testament erst aufwändig mit biblischem Sinn gefüllt |88|werden,[7] was im Umkehrschluss den kontingent-geschichtlichen Charakter dieses Bekenntniselements umso stärker herausstellt. Es ist bezeichnend für die christologischen Aussagen im Neuen Testament, dass der Personenname Jesus und damit der Bezug auf diese eine geschichtlich-kontingente Gestalt für die Christologie konstitutiv ist, was im Horizont frühjüdischer messianischer Erwartungen durchaus prägnanten Sinn ergibt. Zwar muss es sich bei dem Messias nach frühjüdischer Überzeugung immer um einen Menschen aus dem Volk Israel handeln,[8] dessen Name kann aber grundsätzlich erst im Nachhinein zu seinem Kommen benannt werden. Josephus kennt zwar einige Messias-Prätendenten seiner Zeit mit Namen, aber die sind für ihn eben gerade nicht die erwarteten Gesalbten des Herrn, sondern Gewaltverbrecher.[9] Demgegenüber bleiben die für die bevorstehende Heilszeit erwarteten messianischen Gestalten in den Qumran-Schriften,[10] in den Psalmen Salomos[11] oder in der 4. Esra-Apokalypse[12] |89|namenlos. Wenn Jesus von seinen Anhängern als Messias angesehen und benannt wird – und das ist spätestens für Paulus eine Selbstverständlichkeit –, dann impliziert diese Benennung das dezidierte Bekenntnis zu einem namentlich bekannten jüdischen Zeitgenossen als dem endzeitlichen Repräsentanten des Gottes Israels.

Die für den Ursprungszusammenhang der Jesus-Bewegung also geradezu selbstverständliche Gegebenheit, dass der Messias einen Namen trägt, und zwar den eines jüdischen Zeitgenossen, dessen Biographie und Lebenswelt in Umrissen bekannt ist, gehört zu den wenig reflektierten Aussagen christlicher Christologie. Dabei legt dieser Befund die »Leserichtung« des christologischen Grundbekenntnisses fest: »Jesus ist Christus«, das heißt eben nicht einfach: (Irgendein Jude aus Nazareth in Galiläa namens) Jesus ist der (schon lange zu erwartende, aus der Schrift bekannte und eigentlich in Betlehem zur Welt kommende) Messias (aus Israel), sondern gerade umgekehrt: Der (kaum noch zu erwartende, und wenn, dann in unterschiedlichster Weise vorgestellte) Messias ist (kein anderer als der gerade jetzt in Jerusalem zu Tode gekommene, uns gut bekannte Jude) Jesus (obwohl der doch aus Nazareth in Galiläa stammte und ganz anders aussah und wirkte als ein wie auch immer zu erwartender Messias aus Israel). Der Name Jesus definiert also den Sinn des christlichen Messiasbekenntnisses, nicht legt umgekehrt eine (oder gar »die«) traditionelle biblisch-jüdische Messiaserwartung fest, wie der christliche Messias auszusehen hat und was das christologische Bekenntnis bedeuten soll. Dass der Messias Jesus Jude ist, war sicher für diejenigen, die als erste ein solches Bekenntnis formulierten, eine Selbstverständlichkeit, und zwar einerseits, weil es im Rahmen frühjüdischer messianischer Erwartungen gar keine Alternative dazu gab, und zum andern, weil ihnen die jüdische Identität Jesu noch unmittelbar vor Augen stand.[13] Für die späteren Rezipienten dieses Bekenntnisses bis hin zu denen, die das Apostolikum formulierten, geriet diese Selbstverständlichkeit aber mehr und mehr aus dem Blick, und die messianische Prädikation Jesu als Messias wurde nur mehr als Eigenname »Jesus Christus« verstanden, zumal auf der Ebene griechischsprachiger Überlieferung.

|90|Noch im Zusammenhang paulinischer Briefaussagen blieb aber der biographische Aspekt des Namens Jesus unüberhörbar. Im Rahmen paulinischer Theologie und Christologie sind zwar die messianischen Beiklänge der Bezeichnung Jesu als Christus nicht mehr überall bestimmend, sie bleiben aber auch nicht ganz auf der Strecke.[14] Selbst wenn die Bezeichnung »Jesus Christus« bei Paulus schon häufig den Charakter eines Eigennamens angenommen hat, gibt es doch zentrale Passagen, für die der Gedanke der Messianität Jesu im biblisch-jüdischen Sinn weiterhin maßgeblich ist.[15] Auffällig ist dabei allerdings die Ausweitung des Wirkungsbereiches der Messianität Jesu auf die Völker. Hier schlägt sich offenkundig die spezifische Ausrichtung der Missionsverkündigung des Paulus auf Nichtjuden nieder, die zur Modifikation nicht nur seiner ekklesiologischen,[16] sondern auch seiner christologischen Überzeugungen führen musste.[17]

Wenn Paulus das Prädikat »Sohn« auf Jesus anwendet, kann er damit – abgesehen von dem für ihn schon traditionellen »titularen« Gebrauch[18] – verschiedene semantische Elemente ansprechen: seine |91|Abstammung von David (Röm 1,3), seine Sterblichkeit (Röm 5,10), seine irdisch-menschliche Identität (Röm 8,3), seine Gottebenbildlichkeit (Röm 8,29), sein Leidensgeschick (Röm 1,32; Gal 2,20), seine Geburt von einer Frau (Gal 4,4). Alle diese Bedeutungselemente verweisen auf die menschliche Kreatürlichkeit Jesu. Sie stehen z.T. unmittelbar neben Prädikaten, die seine Göttlichkeit oder seine Heilsbedeutung betonen.[19] Der Terminus »Sohn« hat damit bei Paulus einen Doppelsinn: Er bezeichnet zugleich ein biographisches und ein christologisches Element. Besonders augenfällig ist das im Präskript des Römerbriefs, wo Paulus Jesus zweimal »Sohn Gottes« nennt, einmal umfassend zur Bezeichnung der Gottessohnschaft Jesu, wie sie auch sonst die paulinische Christologie bestimmt (V. 3),[20] das andere Mal, wohl unter Heranziehung eines schon traditionell gewordenen Bekenntnisses, zur Bezeichnung Jesu als »eingesetzt zum Sohn Gottes […] von der Auferstehung der Toten her« (V. 4).[21] Auch an dieser Stelle bleibt die Rückbindung des christologischen Bekenntnisses an den Namen des Messias aus Israel, des Nachkommens Davids »dem Fleisch nach« (κατὰ σάρκα), für Paulus konstitutiv,[22] ob nun »präexistent« oder »adoptianisch« gedacht, wie schon die sprachliche Struktur des Präskripts mit Chiasmus und inclusio zeigt.[23]

Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage

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