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3. »Geboren von einer Frau, geboren als Jude« (Gal 4,4)

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Für die Herausbildung eines eigenständigen Inventars an Glaubensüberzeugungen in der nachösterlichen Jesusbewegung blieb also die Einbindung in das biblisch-frühjüdische Gottesverständnis maßgeblich. Zugleich war aber für die frühchristliche Bewegung auch die Bindung aller Glaubensüberzeugungen an das »Jesus-Phänomen« konstitutiv. Es gibt keine erhaltenen oder sicher rekonstruierbaren Quellen für eine nachösterliche Jesus-Bewegung ohne Verbindung des Glaubens an den Gott Israels mit dem Osterbekenntnis und mit christologischen Grundüberzeugungen,[34] bei aller Vielfalt solcher Glaubensaussagen.

Für die Christologie blieb darüber hinaus die Bindung aller Bekenntnisaussagen an die individuelle Lebens- und Sterbensgeschichte des Menschen Jesus aus Nazareth ein konstitutives Element. Dazu gehörte auch das Wissen um Jesus als geborenen Juden. Auch für Paulus ist dieses Wissen um die Geschichte Jesu als bekannt vorauszusetzen, |95|selbst wenn er in seinen Briefen nur selten darauf Bezug nimmt. Abgesehen von dem Namen Jesu (s.o.) weiß er immerhin um sein spezifisches Todesgeschick am Kreuz (Gal 3,1; 1 Kor 1,18.23 u.ö.), und zwar »in der Nacht« nach dem letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern (1 Kor 11,23–26). Er kennt den vorösterlichen Zwölferkreis (1 Kor 15,5), darunter insbesondere Kefas (Gal 1,18; 1 Kor 9,5; 15,5) und Johannes (Gal 2,9), dazu Jakobus, den »Bruder des Herrn« (Gal 1,19; 1 Kor 15,7), und er weiß sogar noch von mehreren weiteren Brüdern Jesu (1 Kor 9,5).[35]

Nach Gal 4,4 bildet die kreatürlich-menschliche Geburt Jesu einen der beiden konstitutiven Pole paulinischer Christologie: Gott hat seinen Sohn gesandt, der zugleich Sohn einer Frau war.[36] Für die Geburt Jesu aus einer Frau und für seine Einweisung in den Geltungsbereich der Tora verwendet Paulus auffälligerweise in streng paralleler Formulierung dasselbe Verb[37] γενόμενον – »geworden«.[38] In der Sprache |96|der Septuaginta und des Neuen Testaments gehört es zur Schöpfungsterminologie.[39] Bei Paulus erfasst das Wort darüber hinaus aber auch den endzeitlichen Eintritt göttlicher Wirklichkeit in die Bedingungen menschlich-irdisch-geschichtlicher Existenz »als die Zeit erfüllt war«, also das, was spätere theologische Reflexion und Bekenntnisbildung »Inkarnation« genannt hat.[40] Zur Menschwerdung Jesu gehört nach Paulus demnach auch sein Leben als Israelit und gesetzestreuer Jude. Dieses Geschehen war und ist Teil der endzeitlichen Heilszuwendung Gottes zu seinem Volk Israel.[41]

Diese Initiative Gottes in der Sendung seines Sohnes hatte ein doppeltes Ziel: »damit er die unter dem Gesetz freikaufe« und »damit wir«, d.h. der Jude Paulus und seine heidenchristlichen galatischen Adressaten, »die Sohnschaft empfangen«.[42] Im Licht dieser positiven Zielbestimmungen erscheinen die bisherigen Konstitutionsbedingungen menschlichen Lebens als überwunden. Das gilt freilich für beides, für die Existenz »unter dem Gesetz«, die im Umkehrschluss von ihrem Freikauf her als Sklaverei erscheinen muss, ebenso wie für das irdisch-kreatürliche Sein aller Menschen. Die »Sohnschaft«, von der Paulus hier spricht, ist ja nicht Ausdruck für die Geschöpflichkeit aller Menschen als Gottes Kinder, sondern erhofftes und empfangenes Geschenk für diejenigen, die im Glauben an Jesus Christus ihr Heil gefunden haben,[43] also ebenso Zielbestimmung und Ergebnis der Sendung des Gottessohnes wie der Loskauf derer, die bisher »unter dem Gesetz« waren. Folglich kann auch das Sein von Juden »unter dem Gesetz« nicht anders beurteilt werden als das Geschaffensein aller Menschen durch Gott. Ebenso wenig aber wie die Geschöpflichkeit |97|aller Menschen, Juden wie Nichtjuden, als solche von Paulus negativ bewertet wird, kann es die Existenzweise von Juden, die der Tora folgen. Erst dank der Initiative Gottes in der Sendung seines Sohnes, des geborenen Juden Jesus, wird beides zu etwas durch Gott selbst Überwundenem. Das endzeitliche Handeln Gottes in Jesus Christus richtet sich also, wie auch sonst in der paulinischen Theologie, auf Israel und die Völker gleichermaßen.[44]

Zu den beiden Polen paulinischer Christologie: Sohn Gottes – Sohn einer Frau, tritt somit in Gal 4,4 als »überschießendes Element«, das im Aussagezusammenhang besonderes Gewicht trägt, der explizite Verweis auf die »jüdische Identität« Jesu. Sie wird frühjüdischer Sprache und Denkweise entsprechend durch einen Verweis auf die Tora präzisiert (γενόμενον ὑπὸ νόμον – »›geworden‹ unter dem Gesetz/dem Gesetz unterstellt«). In strukturell vergleichbarer Weise wie mit Blick auf seine eigene biographische Herkunft und Identität[45] betont Paulus damit die Zugehörigkeit Jesu zum Volk Israel und seine gesetzestreue Lebensweise als einen biographisch und theologisch gleichermaßen zentralen Gesichtspunkt seiner Christologie.[46] Die Weiterführung der Aussage in V. 5 relativiert diesen christologischen Sachverhalt keineswegs. Vielmehr bilden die Messianität und mit ihr verbunden auch das Judesein Jesu die soteriologische Basis für die Heilszuwendung Gottes zu Israel und den Völkern.[47]

|98|Dass Paulus dieses Profil seiner Christologie gerade im Galaterbrief herausarbeitet, ist umso bemerkenswerter, als ja in diesem Brief die Bindung des endzeitlichen Heilshandelns Gottes an das geschichtliche Israel zur Debatte steht. Während die in den galatischen Gemeinden aktiven Gegner diese Bindung dadurch bekräftigt sehen wollen, dass sich die bereits getauften Gemeindeglieder nachträglich auch noch beschneiden lassen, lehnt Paulus diese Forderung unter allen Umständen und mit allen argumentativen und rhetorischen Mitteln ab. Für ihn würde die Akzeptanz der Beschneidung Abkehr von der Heilszuwendung durch Christus bedeuten.[48] Das endzeitliche Heilshandeln Gottes an Israel und an den Völkern ist also nicht an den Eintritt von Nichtjuden in das geschichtliche Israel gebunden, wohl aber an die Zugehörigkeit des endzeitlichen Repräsentanten Gottes zum geschichtlichen Israel.

Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage

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