Читать книгу Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage - Группа авторов - Страница 36
4. Die hermeneutische Aufgabe im Blick auf das Judentum und das trinitarische Dogma
ОглавлениеDie Konkordienformel gibt eine klare Antwort auf diese Frage: »Solchergestalt wird der Unterschied zwischen der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes und allen andern Schriften erhalten, und bleibt allein die Heilige Schrift der einig Richter, Regel und Richtschnur, nach welcher als dem einigen Probierstein sollen und müssen alle Lehren erkannt und geurteilt werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht sein. Die anderen Symbola aber […] sind nicht Richter wie die Heilige Schrift, sondern allein Zeugnis und Erklärung des Glaubens, wie jederzeit die Heilige Schrift in streitigen Artikuln in der Kirchen Gottes von den damals Lebenden vorstanden und ausgeleget […] worden.«[11] Dieser Text scheint dazu anzuleiten, die biblischen Aussagen als etwas Statisch-Wahres (»Probierstein«) den zeitlich sich wandelnden relativen Bekenntnissen gegenüberzustellen. Der Vergleich von Wortlaut und Aussagen mit der Schrift scheint auszureichen, um zu einem Urteil über die Bekenntnisse zu kommen. Diesem vereinfachten Verständnis der Position der Konkordienformel gegenüber ist es wichtig festzuhalten, dass die biblischen Texte eine Dynamik enthalten, die von Leben, Lehre und Geschick Jesu Christi ausgeht. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt, Kreise bis ans Ende des Sees zieht, so setzt Jesus Christus eine Sprach-Bewegung in Gang, die nicht schon an den Enden des biblischen Kanons aufhört. Die neutestamentlichen Schriften enthalten unterschiedlich starke Zeugnisse dieser Dynamik, manchmal auch Stagnationen und Rückschritte. Insgesamt ist das frühe Christentum aber keine Reformbewegung im |108|Judentum, sondern hat die jüdische Religion als Ganze um ein neues Zentrum, Jesus Christus, neu geordnet und interpretiert. Es findet mit dem Christentum eine semiotische Revolution statt, deren Movens die Rekapitulationsdynamik ist, bei der Signifikate neu den Signifikanten zugeordnet und alles von Christus her neu interpretiert wird.[12]
Bereits im Neuen Testament lassen sich deshalb auch Strömungen finden, die über das Festhalten heilsgeschichtlicher Vorzüge Israels hinausgehen und zu einem Universalismus tendieren. »In Christus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist« (Gal 5,6) oder: »Hier ist nicht Jude noch Grieche […] denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus« (Gal 3,28). Ebenso ist die Bewegung, die zur Trinitätslehre führt, bereits im Neuen Testament angelegt. Jesus Christus wird mit dem Titel Herr, Kyrios und sogar »Gott« (Röm 9,5) bezeichnet. Kyrios ist in der Septuaginta die Wiedergabe für den Gottesnamen. Die Rekapitulationsdynamik geht schon sehr früh so weit, dass Christus mit Jahwe identifiziert wird. Dasselbe wird in 2 Kor 3,17 auch vom Geist ausgesagt: »Der Herr (ὁ κύριος) ist der Geist.« Damit sind die Grundlagen für den Trinitätsglauben gelegt, auch wenn die Begrifflichkeit des trinitarischen Dogmas erst in einem anderen Kontext und Jahrhunderte später festgelegt wird.
Eine Hermeneutik, die die Dynamik der Texte aufnimmt, kann deshalb nicht durch Abgleich von Aussagen vorgehen, sondern sie muss die von Christus als der Mitte des Neuen Testaments bestimmte Dynamik verstehen und legitime Dynamiken innerhalb und außerhalb des Kanons von unakzeptablen Dynamiken sowie von Stagnation und Rückschritten unterscheiden. Das Evangelium ist eine »Kraft zur Rettung« (δύναμις εἰς σωτηρίαν, Röm 1,16), keine Sammlung statischer Wahrheiten. Kriterium für die Prüfung solcher Dynamiken ist, ob und inwieweit sie Jesus Christus entsprechen und ob und inwieweit sie als Evangelium, als frohe Botschaft von der Liebe Gottes, rezipiert werden können. Im Rahmen dieses Vortrags habe ich nicht die Zeit, dies im Einzelnen auszuführen. Man kann aber zeigen, dass das trinitarische Dogma eine sinnvolle Darstellung der von Jesus ausgehenden |109|Rekapitulationsdynamik ist. Das Hauptargument ist soteriologisch: Nur wenn Gott in Christus als Mensch erschienen ist, hat er unsere Existenz und ihre Bedingungen angenommen. Wenn nur das Angenommene geheilt und gerettet werden kann, dann lässt sich Heil nur auf der Grundlage der Trinitätslehre denken.[13] Dem Heiligen Geist muss dabei auch die Identität mit Gott zuerkannt werden, weil er den einzelnen Christen in das Heil einbezieht.