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2.3. Fazit

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Am Phänomen der mouvancemouvance und der unterschiedlichen Autorzuschreibung mancher Lieder zeigt sich vielleicht Überlieferungam deutlichsten, dass die Sicht auf den Autor und sein Werk im Rahmen der mittelalterlichen Überlieferung in einem ganz anderen Lichte erscheint als in der Neuzeit. Wir sind es gewohnt, einem Autor ein festes Œuvre zuzuweisen, seine Werke gedruckt und gebunden zu lesen, und wir erwarten, dass diese Werke in dieser Form unveränderlich feststehen. Auch wenn die Lyrik-Handschriften genau das abzubilden scheinen, sind all dies Eigenschaften, die für die mittelalterliche Literatur so nicht gelten. Wenn wir heute Hartmanns Werke in modernen Ausgaben präsentiert bekommen, so erzeugt dies lediglich die Illusion eines modernen Buches. Was wir darin als Text lesen können, ist hingegen stets nur eine Möglichkeit dessen, was die mittelalterliche handschriftliche Überlieferung tatsächlich zeigt: Mittelalterliche Textualität ist viel stärker von einem offenen Werkbegriff und Textverständnis Textgeprägt.

Das gilt analog für das uns heute vertraute Konzept von AutorschaftAutorschaft, das viel weiter gefasst werden muss. Die besonders im Sturm und Drang idealisierte Vorstellung eines ‚Originalgenies‘Originalität, das alle künstlerische Schaffenskraft allein aus sich selbst hervorbringt, existiert im Mittelalter nicht – im Gegenteil: Hier ist es vielmehr entscheidend, sich auf bereits Bestehendes zu beziehen, also nichts Neues zu erschaffen, sondern das Traditionelle, Bekannte und Erprobte zu bewahren, weiterzuentwickeln und den veränderten Bedürfnissen anzupassen. Ein mittelalterlicher Autor schafft Neues nur auf vertrautem Boden. Neu mag vielleicht die Form sein, weniger aber der Inhalt, der aus bewährten Traditionen übernommen wird, von denen der Dichter übersetzt, auswählt und umformuliert. Seine Leistung begreift er dadurch nicht so sehr als die eines Schöpfers denn als die eines Gestalters und Vermittlers. So ist es auch nicht erstaunlich, dass die drei größeren Erzählwerke Hartmanns (‚Ereck‘, ‚Iwein‘ und ‚Gregorius‘) auf französische Vorlagen Vorlagefranzösischezurückgehen, die für ein deutschsprachiges Publikum entsprechend umgeformt wurden. Dadurch verschwimmt die Rolle des Autors mit der des Übersetzers, Redaktors und des Kompilators. Denn da Texte losgelöst vom Autor verfügbar sind, sind sie von Anfang an Veränderungen unterworfen, sei es durch den Autor selbst, sei es durch Bearbeiter in einer späteren Rezeptionsstufe.

Was bedeutet dieses unterschiedliche Werk- und Autorverständnis nun aber für die Interpretation der Texte? Lassen sich unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch literaturwissenschaftliche Analysen betreiben? Mit gutem Recht schreiben wir die einzelnen Werke ja dennoch Hartmann von Aue zu: Dass es so etwasÜberlieferung wie ein Autorverständnis, wenn auch ein wenig anders als heute, auch im Mittelalter gegeben hat, belegen die nach Autoren geordneten Lyrik-Handschriften ebenso wie das Ambraser HeldenbuchAmbraser Heldenbuch, das ja ein regelrechtes Hartmann-Œuvre zusammenstellt. Freilich kann eine Interpretation der Werke Hartmanns nicht im herkömmlichen, ‚modernen‘ Sinne erfolgen. Da wir über Hartmann ohnehin wenig gesicherte Informationen besitzen, rückt der Autor selbst aus dem Fokus der Interpretation. Die mitunter zahlreichen und sehr verschiedenen Fassungen und Varianten machen es zudem kaum möglich, zwischen ‚Original‘ und ‚Bearbeitung‘ zu unterscheiden.

Dennoch gilt es, literaturwissenschaftlich einen pragmatischen Umgang mit den Werken Hartmanns (und generell mittelalterlichen Texten, die ja den gleichen schwierigen Bedingungen unterworfen sind) zu finden – es macht schließlich nur selten Sinn, stets alle möglichen Textvarianten mit einzubeziehen. Wenn wir also Hartmann interpretieren, dann gehen wir letztlich von einem Autor- und Werkverständnis aus, das es zur damaligen Zeit wohl durchaus gab, das in dieser Form für uns aber nicht mehr greifbar ist. Das zeigt sich am deutlichsten bei den TextausgabenEdition: Anders als die Editionsphilologie des 19. Jahrhunderts gehen die kritischen Ausgaben der Werke Hartmanns inzwischen nicht mehr davon aus, so etwas wie ein ‚Autororiginal‘Fassungautorisierte F. zu rekonstruieren. Sie bieten vielmehr eine Art pragmatischen Kompromiss: unter Einbeziehung aller Fassungen und Varianten wird ein Text erstellt, der möglichst vielen Merkmalen entspricht, die nach dem Konsens der Forschung für Hartmanns Werke bedeutsam sind. Je nach Gewichtung der einzelnen Kriterien kann es dann aber durchaus zu unterschiedlichen Ausgaben mit abweichenden Textvarianten kommen.1 Darum ist es entscheidend, bei der Interpretation stets auch den Überlieferungsbefund mit zu bedenken und zu berücksichtigen – oder sich zumindest darüber im Klaren zu sein, dass der Text, den man interpretiert, nur eine von z.T. unterschiedlichen Überlieferungsvarianten darstellen kann und dass das, was sich am Ende zwischen zwei Buchdeckeln findet, stets nur eine Möglichkeit der mittelalterlichen Rezeption abbilden kann, kaum aber die tatsächliche, sozusagen ‚ursprüngliche‘ Gestaltung des Autors. Wenn man sich aber im Klaren darüber ist, dass die handschriftlichen Überlieferungen unserer Texte selbst bereits Rezeptionszeugnisse darstellen und die darauf basierenden Editionen bis zu einem gewissen Grade hypothetische Konstruktionen sind, die ihrerseits selbst bestimmte Interpretationsansätze verfolgen (man denke an die differierenden Schlüsse des ‚Iwein‘), so steht einer literaturwissenschaftlichen Analyse und Interpretation dieser Werke nichts im Wege. Überlieferung

Weiterführende Literatur: Ein vollständiges Verzeichnis der Überlieferungszeugen von Hartmanns Werken bietet das → Verzeichnis der Handschriften und Fragmente. Die Iwein-Schlüsse diskutiert Schröder 1997, mit Präferenz für den Kniefall als ‚ursprünglich‘; dem widerspricht Hausmann 2001. Die Varianzen der unterschiedlichen Schlussfassungen v.a. in den spätmittelalterlichen Handschriften diskutieren Krusenbaum/Seebald 2012. Den Überlieferungskontext des ‚Armen Heinrich‘ bereiten Hammer/Kössinger 2012 auf, die interpretatorischen Unterschiede zwischen den Fassungen A und B erläutert Schiewer 2002. Die problematische Überlieferung des ‚Ereck‘ im Ambraser Heldenbuch greift Bumke 2006 auf, die Schwierigkeiten der Fragment-Überlieferung und einer möglichen zweiten ‚Ereck‘-Dichtung erörtern Nellmann 1982 und 2004 sowie Gärtner 1982 und 2004. Hess 2011 stellt Überlegungen zum Beginn des ‚Ereck‘ und der Kompilation mit der ‚Mantel‘-Erzählung an. Kühnel 1989 untersucht Hartmanns Lyrik vor dem Hintergrund ihrer Überlieferungsvarianz.

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