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4.4. Gott als einzigartiger Befreier, Leiter und Lehrer Israels oder Jesus Christus im Spiegel der Theologien der Exodus- und Sinaiüberlieferung

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Der auf die Bücher Exodus bis Deuteronomium verteilte Erzählkomplex, der erst redaktionell durch die Trennung der Auszugs-/Exodus-Erzählung von der im Buch Josua überlieferten Einzugs-/Eisodus-Erzählung sowie durch die stufenweise Integration (spät-)priesterlichen Materials (Lev; Num) und des Deuteronomiums entstanden ist (Kratz 2000: 324–330; Gertz 2010: 216), besitzt drei Schwerpunkte mit einem jeweils spezifischen Gottesbild. So steht die eigentliche Exoduserzählung (Ex 1–15) unter dem theologischen Leitgedanken der Befreiung bzw. der Herausführung Israels |39|durch Jhwh. In der Wüstenerzählung (Ex 16–18; Num 10,11–36,13) dominiert das theologische Motiv der Begleitung bzw. der Führung Israels durch Jhwh trotz des Widerspruchs Israels gegen seinen Gott. Eingebettet in die Erzählung von der Wüstenwanderung ist der Bericht vom Aufenthalt Israels am Sinai und der Gabe der dort erlassenen gesetzlichen und rituellen Gebote (Ex 19,1 – Num 10,10) mit dem theologischen Leitbild von Jhwh, der sich seinem Volk als der allein zu verehrende Gott offenbart und sein Volk als Lehrer in allen grundlegenden Fragen des gesellschaftlichen und religiösen Lebens unterweist. Die als Abschluss der Mosezeit fungierende und als Testament gestaltete Rede des Mose (Dtn 1–34) wiederholt deutend Ereignisse aus den Überlieferungen vom Exodus, der Wüste und dem Sinai, bietet neue Gesetze und eröffnet einen Blick in die Zukunft Israels. In dieser Rede kulminieren die theologischen Spitzensätze der Exodus-, der Wüsten- und der Sinaidarstellung: Jhwh ist der einzigartige Befreier, Leiter und Lehrer des von ihm erwählten und verpflichteten Volkes Israel.

4.4.1. Nach der Darstellung der Exodus-Eisodus-Erzählung stellt die Herausführung der Israeliten aus Ägypten durch Jhwh das Gründungsdatum der Geschichte Israels dar. Zusammen mit der Offenbarung Jhwhs am Sinai erscheint der Exodus als ein Urbekenntnis Israels zu Jhwhs rettendem Handeln: Theologie ist hier Soteriologie. Dabei sind in der Schilderung des Exodus wie in der Vätergeschichte, neben zahlreichen nicht eindeutig zuzuordnenden literarischen Fortschreibungen, eine mehrschichtige nichtpriesterschriftliche (früher auf einen »Jahwisten« und einen »Elohisten« verteilte), eine priesterschriftliche und eine deuteronomistische Quelle sowie eine endredaktionelle, priesterschriftliche und deuteronomistische Elemente kombinierende Schicht mit jeweils charakteristischen theologischen Zügen greifbar.

Die für die Erhebung des Gottesverständnisses in der Exodus-Eisodus-Erzählung eigentümlichen theologischen Differenzen zeigen sich beispielhaft an den unterschiedlichen literarischen Stilisierungen des Mose. Im Zentrum der priesterschriftlichen Mose-Figurationen steht der Mittler zwischen Gott und Mensch: Mose ist der Repräsentant Jhwhs und Stifter des Kultes, der selbst |40|aber auch nicht sündlos ist (Num 20,1–12.22–29). Seine kultische Vermittlung ist nach priesterschriftlicher Vorstellung nötig, weil es keine unmittelbare Beziehung zwischen Gott und Mensch gibt. Die deuteronomistische Schicht betont das Stellvertretersein des Mose. So nimmt der (spät-)deuteronomistische Mose stellvertretend die Schuld seines Volkes, das heißt den beständigen Ungehorsam gegenüber dem Alleinverehrungsanspruch Jhwhs, auf sich (vgl. Ex 32,32; Num 11,11–17) und erhält das Prädikat eines einzigartigen Propheten (Dtn 18,15; 34,10). In den nichtpriesterschriftlichen und nichtdeuteronomistischen Texten kann Mose zum einen als charismatischer Führer (vgl. Ex 3,11; Num 11,24–25) erscheinen: Seine Tätigkeit ist auf die Betonung der Unverfügbarkeit und Transzendenz Gottes zentriert, wobei die personale Beziehung zwischen Gott und Mensch dadurch nicht aufgehoben ist. Zum anderen kann Mose als Ankündiger, Bote und Deuter (vgl. Ex 7,16–17) sowie Fürbitter (vgl. Ex 8,26) gezeichnet werden.

Alle genannten Aspekte der Mose-Figur fließen in der Endgestalt des Pentateuchs zu einem vielstimmigen Bild einer literarischen Biographie zusammen. Die Mose-Miniaturen in den späten Psalmen (Ps 105; 106) und im jüdischen Schrifttum der hellenistischen Zeit (Sir 45,1–5; SapSal 10,15–11,1; Artapanos; Philo, Mos.) steuern weitere Aspekte der Glorifizierung bei. Diese gipfelt – neben der Stilisierung als Schreiber der Tora, so dass sein Name zum Synonym für die Tora selbst werden kann (Mk 12,19; Lk 16,29.31; 24,27) – in seiner Kennzeichnung als »göttlichem Menschen« (θεῖος ἀνήρ/theios anēr) und in der Vorstellung eines in der Endzeit wiederkehrenden Mose (Mose redivivus) (vgl. Joh 1,21; 6,14; 7,40 vor dem Hintergrund von Dtn 18,15.18; Bousset/Gressmann 1926: 233; Jeremias 1942: 860–861; 871–878). Diese Mose-Bilder stehen im Hintergrund der zahlreichen Mose-Typologien und Mose-Antithesen, welche die neutestamentlichen Autoren im Rahmen ihrer Beschreibungen und Deutungen von Person und Leben Jesu entwerfen und die im Motiv von Jesus Christus als dem neuen Mose eine besondere Transformation erfahren (vgl. Mt 5–7; Mk 10,1–12; Apg 3,22; 7,37) (Saito 1977).

Zu den verschiedenen Mose-Bildern tritt das für die Theologie der Exodus-Eisodus-Erzählung charakteristische und für das |41|Verständnis der im Neuen Testament erzählten Machterweise Jesu wichtige Motiv der Wunder (hebr. ʼôt, niplāʼôt, môpet, »Zeichen«; griech. σημεῖον/sēmeion, θαυμάσιος/thaumasios), die Gott in den ägyptischen Plagen, der Rettung Israels am Schilfmeer und der Bewahrung Israels in der Wüste wirkt. Dabei sind in der priesterschriftlichen Schicht die Plagen eher »Beglaubigungszeichen« bzw. »Legitimationswunder« für die von Mose empfangene und von Aaron dem Pharao eröffnete Forderung Jhwhs. Sie dienen der Demonstration der Macht Jhwhs in Ägypten und lassen den Pharao als dessen Marionette erscheinen, der jenen mittels Verstockung in seinen Geschichtsplan einbindet (vgl. Ex 7,13.22; 8,15; 9,12). Demgegenüber sind in der nichtpriesterschriftlichen Schicht die Plagen stärker göttliche »Erzwingungswunder«, um den Widerstand des Pharao zu brechen und Jhwhs Gerechtigkeit zu beweisen, der den verstockten Pharao (vgl. Ex 7,23; 8,11.28) straft (Schmitt 2001a: 44–58). Ähnlich stilisiert die Priesterschrift in Ex 14,1–4.21.27 die Rettung der aus Ägypten ausziehenden Israeliten am Schilfmeer als Wunder und Herrlichkeitserweis Jhwhs, der sich dabei des Mose bedient, der das Meer spaltet, so dass Israel hindurchziehen kann (Schmitt 2001b: 209–213). Diese priesterschriftliche Darstellung vom geteilten Meer (vgl. Jos 4,21–23; Neh 9,9–11; Ps 74,13–15; 106,7–10.22; Jes 51,10–11; 63,12–13) geht religionsgeschichtlich auf eine Auseinandersetzung mit dem babylonischen Schöpfungsmythos zurück, demzufolge der Gott Marduk den Urmeer-Drachen Tiamat unschädlich gemacht hat, und spiegelt ein für die Theologie des Alten Testaments grundlegendes hermeneutisches Grundmuster der Interpretation einer geschichtlichen Erfahrung mittels des Rekurses auf den Mythos wider. In den neutestamentlichen Reflexionen über Jesus Christus begegnet dieses Muster, wenn das geschichtlich erfahrene Heilshandeln Gottes in Jesus Christus mittels des Motivs von dessen mythischer Macht über das Meer (Mk 4,35–41; 6,45–52) narrativ ausgestaltet und das Wunder als ein sich im Glauben erschließender Hinweis auf Gottes Handeln verstanden wird. In den nichtpriesterschriftlichen Teilen der Schilfmeererzählung dominiert die Betonung des alleinigen Rettungshandelns Jhwhs (vgl. vor allem Ex 14,13–14; 15,21b): Jhwh allein streitet als Krieger für sein Volk (vgl. Ex 15,3; Jes 40,10; 42,13), indem|42| er einen Ostwind kommen lässt, der die Wasser des Meeres zurücktreibt (vgl. Dtn 11,4; Jos 24,6–7; Ps 66,6; 114,3–5; Nah 1,4), und über die Ägypter einen Gottesschrecken fallen lässt. Theologisches Kennzeichen für die endredaktionelle Exodusschilderung sind die Stichworte »Geschichte« und »Befreiung«. So wird im Exodus Jhwh in einem einmaligen geschichtlichen Geschehen erfahren. Das Bekenntnis zu Jhwhs Sein als Gott erscheint als Bericht von seinem geschichtlichen Handeln. Ganz analog dazu trägt das Bekenntnis zu Gott im Neuen Testament eine narrative Struktur, indem dort die Geschichte Jesu Christi als Geschichte des Handelns Gottes erzählt wird.

Die Wüstenerzählungen, die literarisch die Sinai-Perikope rahmen, redaktionell die Themen »Exodus«, »Sinai« und »Eisodus in das Kulturland« ausschmücken und genetisch auf Lokaltraditionen unterschiedlicher Gruppen bzw. auf gezielte literarische Konstruktionen zurückgehen, kreisen um existentielle Bedrohungen Israels in der »Wüste« (Durst, Hunger, Feinde). Wesentliches pragmatisches Ziel ist die Darstellung des Wüstenvolks als Urbild Israels und des fürbittenden Mose als Beispiel des priesterlichen Fürbitters im Falle eines Schuldbekenntnisses. Die Wüste erscheint als Beschreibung der mit dem Untergang Israels 722/720 v. Chr. und Judas 587 v. Chr. eingetretenen exilischen Wirklichkeit, als Chiffre für das Exil und für die jüdische Diaspora sowie als Modellfall menschlicher und göttlicher Geschichte. Die Wüste ist so, theologisch betrachtet, ein wesentlicher Ort der Nähe und Ferne Gottes (vgl. Mk 1,12–13). Das zentrale Gottesbild der Wüstenerzählungen ist die Vorstellung von Jhwh als einem rettenden Kriegsgott, bewahrenden Schöpfergott und geleitenden Schutzgott.

Unabhängig von der Frage, wie Exodus-Eisodus und Sinaioffenbarung historisch zusammengehören, ergibt sich aus der Kombination beider Überlieferungselemente das theologische Konzept von einem »Heilsindikativ«, der dem »Heilsimperativ« vorausgeht: Durch Jhwh geschenkte Befreiung ist das Vorwort zu der von Jhwh gegebenen Unterweisung. Dem Exodus als Offenbarung Jhwhs als Befreier und Führer folgt am Sinai die Offenbarung Jhwhs als einzigartiger Gesetzgeber und Lehrer.

|43|4.4.2. Die Hauptmasse der Sinai-Perikope besteht aus den dem Mose am Gottesberg mitgeteilten, göttlich verordneten Geboten (Ex 25–31; 34–40; Lev; Num 1–10 u.v.a.), traditionell zusammengefasst unter dem Begriff »das Gesetz« (griech. νόμος/nomos, lat. lex). Den vielleicht ältesten Kern der Überlieferung – und die zugleich für die neutestamentliche Interpretation des Todes Jesu wichtigste Passage der Sinai-Perikope – bildet Ex 24 mit der Erzählung von einer Theophanie, die auf eine (Mahl‑)Gemeinschaft (Ex 24,1–2.9–11) zwischen dem sich offenbarenden Gott und den Offenbarungsempfängern zielt. Sekundär wurde die Theophanie mit einem Opfer (Ex 24,4b–5) und einem Blutritus verbunden (Ex 24,6.8a) und die Gottesgemeinschaft mittels des aus dem altorientalischen Vertragsdenken stammenden, und den von Gen 15 und Gen 17 herkommenden Lesern schon bekannten Begriffs »Bund« gedeutet (Ex 24,8; vgl. 1Kor 11,25; Hebr 9,20): Die Beziehung zwischen Gott und Volk wird dabei durch einen Altar verdeutlicht, der die Gegenwart Jhwhs symbolisiert. Dem von Mose versprengten Blut als dem Träger der Lebenskraft wird eine zwischen Gott und Volk verbindende Kraft zuerkannt.

Theologisch prägend für die »Bundes«-Konzeption waren deuteronomistische und priesterschriftliche Kreise. Dabei wurde der »Bund« einerseits als Verpflichtung Israels als Folge der Verheißung Gottes interpretiert (vgl. Dtn 28,69), andererseits als feierliche Zusage Gottes selbst verstanden (vgl. Gen 17,2). Tertiär wurden in mehreren Schüben in die Sinai-Perikope umfangreiche Rechtssätze als Kehrseite des »Bundes« in die Darstellung integriert, deren Beachtung nach deuteronomistischem und postdeuteronomistischem Verständnis Leben schlechthin schenkt (Dtn 30,15–20). Wo das Schicksal des unter dem Exil leidenden Israel als Folge eines Bruchs des »Bundes« verstanden und die Frage nach den Gründen eines solchen Bruchs radikal auf die Konstitution des Menschen als eines fragmentarischen und zum Bösen (»Lebenszerstörenden«) neigenden, mithin sündhaften Wesens zurückgeführt wird, wie in späten Texten des Jeremiabuchs (Jer 13,22; 17,9; vgl. Gen 6,5; 8,21; Hi 25,4–6; 1QHa XII,29–31), taucht fast zwangsläufig die Hoffnung auf einen neuen von Gott gestifteten »Bund« und eine radikale Wandlung des Menschen durch Gott selbst auf (Jer 31,31–34; Ps 51,7–10; |44|vgl. Hebr 8,8–10; Lk 22,20; 1Kor 11,25; 2Kor 3,6) (Schmitt 2011: 200–204).

In der Endgestalt von Ex 19 – Num 10 kommen vor allem zwei theologische Konzeptionen zur Sprache: erstens die deuteronomistische Theologie vom Gehorsam Israels gegen das erste Gebot, und zweitens die priesterliche Theologie vom sühneschaffenden Kult (s.u. 4.5.). Beide Theologien sind durch die Vorstellung verbunden, dass Jhwh der einzige Gott und als solcher bildlos zu verehren ist (Ex 20,4; vgl. Dtn 5,8). Alleinverehrungsanspruch und Bilderverbot sind aber zugleich die Grundmerkmale des alttestamentlichen Monotheismus, der von Jesus selbst wie von allen neutestamentlichen Autoren geteilt wurde (vgl. Mt 6,24; Röm 3,29f.; 1Kor 15,28). Dieser hat durch die bereits im Neuen Testament angelegte Bezeichnung von Jesus Christus als Gott (Joh 20,28) sowie die sich daran anschließende Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Mensch in der Gestalt Jesu Christi im trinitarischen Dogma eine entscheidende Modifikation erhalten.

Der alttestamentliche Monotheismus ist das Produkt einer langen religionsgeschichtlichen Entwicklung und trägt viele Facetten. Die historischen Anfänge könnten noch in der vorstaatlichen Zeit mit der Vorstellung der alleinigen Verehrung Jhwhs als Gott Israels, die aber die Existenz anderer Götter (noch) nicht ausschließt (Monolatrie/Alleinverehrung; Ex 22,19) und dem Verständnis Jhwhs als Garanten des Rechts liegen (vgl. Ex 22,20–26). Eine entscheidende Rolle spielt dann die Konzentration des israelitischen und judäischen Staatskultes auf den Gott Jhwh seit dem 9./8. Jahrhundert v. Chr., begleitet von einer (neuassyrisch beeinflussten) Übertragung solarer Vorstellungen auf Jhwh (»Solarisierung Jhwhs«) und besonders in Juda verstärkt durch deuteronomische Theologen im 7./6. Jahrhundert v. Chr. (Janowski 1999: 192–219). Wesentliche Impulse verdankt der Jhwh-Monotheismus erst dem Zusammenbruch des Königreichs Juda und damit des Staatskultes im 6. Jahrhundert v. Chr. Im Schatten des babylonischen Exils (587–520/515 v. Chr.) und der jüdischen Diaspora entsteht die Vorstellung einer nicht mehr an den Tempel in Jerusalem gebundenen ortsunabhängigen und weltweiten Jhwh-Verehrung. Als ein wesentlicher Katalysator wirken dabei die unmittelbaren Begegnungen der jüdischen Eliten mit der babylonischen |45|Marduk-Religion, die im 7./6. Jahrhundert v. Chr. eine Fokussierung auf die alleinige Verehrung Marduks erlebt, und mit dem auf den Gott Ahura-Mazda konzentrierten persischen Zoroastrismus. Aus dem Vergleich Jhwhs mit den Göttern des Alten Orients schließen jüdische Theologen des 6./5. Jahrhunderts v. Chr. auf die absolute Unvergleichlichkeit Jhwhs (Jes 40,18). Weltgeschichtliche Vorgänge werden nun als Handlungen des einen Weltengottes Jhwh gedeutet (s.u. 4.6.). Am Ende des babylonischen Exils steht nicht die Restitution des davidischen Königtums (s.u. 4.6.), aber der theologisch reflektierte Gedanke von der Einzigartigkeit des himmlischen Königs Jhwh (Jes 43,10–11; Dtn 4,39): Jhwh als der Schöpfer, als Herr der Geschichte und als Gott Israels kann nur ein einziger Gott sein (Mal 1,11). Diese Idee geht auch mit der Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels, der in persischer und hellenistischer Zeit zum Mittelpunkt der Jhwh-Religion wird, nicht mehr verloren. Das Šemaʻ Jiśrāʼel (Dtn 6,4–5), das ursprünglich gegenüber einer Verehrung Jhwhs in unterschiedlichen Manifestationen und an unterschiedlichen Orten (Polyjahwismus, vgl. Ex 20,24; 2Sam 15,7; und die Inschriften von Kuntillet ʽAğrud) nur die Einheit Jhwhs betonte, kann nun im Sinne der Einzigkeit Jhwhs verstanden werden, der dementsprechend den Titel »der Eine« (hebr. ʼæḥad, griech. εἷς/eis) trägt (Hi 31,15; Sach 14,9). Mit dem Titel »der Eine« tritt Jhwh schließlich in Konkurrenz zu den hellenistischen Ein- und Allgottheiten, sei es Zeus, Sarapis oder Isis, die ebenso als »ein Gott« angerufen werden können (Markschies 2002: 209–234). Am literarhistorischen und am sachlichen Ende steht nach dem alttestamentlichen Zeugnis die Erwartung, dass einst alle Welt den einen und einzigen Gott Jhwh erkennen und verehren wird (Jes 2,2–3; Sach 14,16).

Charakteristisch für den durchaus pluralen Jhwh-Monotheismus in der Zeit des Zweiten Tempels (520/515 v. Chr. – 70 n. Chr.) ist eine Integration angelologischer Elemente und die Entfaltung einer Angelologie und Dämonologie. So kann Jhwh in persischer und hellenistischer Zeit mit himmlischen Wesen umgeben werden, wodurch seine Majestät unterstrichen, seine Transzendenz hervorgehoben und – gegenüber einer wachsenden Zahl von bösen Engeln und Dämonen (vgl. 1Henoch 6–9) – seine Güte betont werden sollen (vgl. Tob 3,16; 12,15). Der Monotheismus bleibt gewahrt, erhält |46|aber leicht dualistische Züge (vgl. tendenziell Hi 1,6–12; Jubiläen zu Gen 22).

In diesem Milieu eines vielfältigen Glaubens an den einen und einzigen Gott, der als solcher auch der allein Gute ist (hebr. ṭôb, griech. ὀ ἀγαθός/ho agathos, vgl. Nah 1,7; Ps 119,68; 145,9; Klgl 3,25; Sir 45,25 [H]; Mk 10,18; Lk 18,19) und der gleichwohl von einer Schar himmlischer Mittlerwesen und Figuren unterschiedlicher Klassen umgeben wird (vgl. Hi 33,23, Tob 3,16; 12,12.15; 4Q400–407), tritt Jesus selbst auf (vgl. Mk 1,13; Mt 13,41; Joh 5,4) und entsprechend wird seine Person von den neutestamentlichen Autoren interpretiert (Collins/Yarbro Collins 2008).

Auch wenn die Anfänge des Jhwh-Monotheismus historisch ungewiss sind und der Jhwh-Monotheismus letztlich analogielos ist, so gilt dem Alten Testament als Ursprung der Alleinverehrung Jhwhs das Wesen dieses Gottes selbst: Jhwh ist der ʼel qannāʼ, ein um sein Ziel eifernder Gott (Ex 20,5–6; 34,14; Num 25,11–13; Dtn 4,24; 5,9; 6,15). Dabei bezieht sich Jhwhs Eifer auf die Absolutheit seiner Beziehung zu seinen Verehrern und Verehrerinnen und auf die Unbedingtheit seiner Anerkennung. Im Eifer Jhwhs drücken sich seine Liebe und Heiligkeit aus. Insofern Liebe und Heiligkeit aber durch Ausschließlichkeit, Einzigartigkeit und Personalität charakterisiert werden, ist in Jhwh selbst der Monotheismus angelegt. Im Licht der Eiferheiligkeit Jhwhs ist die vor allem von (spät-)deuteronomistischen Theologen vorgenommene Stilisierung einzelner prophetischer Gestalten, zumal Elias (1Kön 18; 2Kön 1,2–17) und Jeremias (Jer 11–20*), zu sehen, die sich bedingungslos für die Verehrung Jhwhs eingesetzt haben und die als solche das Vorbild für die Darstellung Jesu als um die Heiligkeit Jhwhs eiferndem Propheten lieferten (Mk 11,15–19 par.; Lk 13,34) (s.u. 4.6.2.).

Flankiert wird die Betonung der Einzigartigkeit Jhwhs durch die ambivalente Beurteilung älterer, auch in der Jhwh-Verehrung geübter Praktiken und zeitgenössischer nichtjahwistischer Kulte. Das Bilderverbot zeigt sich hier als ein Korrelat des Alleinverehrungsgebots (Jes 40,18–20; 44,9–11; 46,5–8) und ist Ausdruck der religiösen Abgrenzung und Identitätsbildung des Judentums der persischen und hellenistischen Zeit. Je weiter im antiken Judentum die Tora ins Zentrum des Glaubens tritt, desto stärker fällt die |47|Kritik an Kultbildern aus. Dabei nimmt die Tora als die nun autoritative Vergegenwärtigung Gottes selbst die Rolle eines Kultbildes an (1Makk 3,48). Begleitet wird diese Form des schriftbezogenen Kultes durch beißenden Spott an den Götterbildern der das Judentum umgebenden Religionen (Bar 6; SapSal 13–15; DanBel), was in hellenistisch-römischer Zeit einerseits Befremden bei den zeitgenössischen Kulten auslöst, andererseits auf gewisse Sympathie in paganen philosophischen Kreisen stößt (Hengel 1988: 475; 540; 555).

Als eine Verschärfung des alttestamentlichen Bilderverbots lässt sich die neutestamentliche Titulierung Jesu Christi als wahres Bild Gottes lesen, in der die Motive von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen (s.o. 4.2.) und der Weisheit als Abglanz der Herrlichkeit Gottes (SapSal 7,24–26; vgl. Hebr 1,3) zusammenfließen: Ist nach Gen 1,26 allein der Mensch ein legitimes Gottesbild, so ist nach Kol 1,15–16 allein Jesus Christus das wahre Gottesbild.

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