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4.6. Gott als Lenker der Geschichte oder Jesus Christus im Spiegel alttestamentlicher Geschichtstheologien

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In den Ausführungen zu Gott als Schöpfer, als segnendem, verheißendem und bewahrendem Begleiter Abrahams, Isaaks, Jakobs und Josefs sowie als Befreier, Führer und Lehrer seines erwählten Volkes Israel ist bereits das theologische Motiv angeklungen, dass Gott der Herr der Geschichte und als ʼel ʽôlām der Herr von Zeit und Raum ist (Gen 21,33; Jes 40,28; vgl. Sir 36,22 [HB]). In den auf die Tora folgenden Büchern der Geschichte und der Prophetie liegt diese Denkfigur breit entfaltet und mit vielerlei Facetten vor. Sie, die alttestamentliche Geschichtstheologie, bildet den eigentlichen Wurzelgrund der alttestamentlichen Messiasvorstellungen.

Im Hintergrund der historiographischen Entwürfe des Alten Testaments, sei es der umfassenden narrativen Kompositionen im Bereich der deuteronomistisch redigierten Königsgeschichte in den Büchern 1Samuel bis 2Könige (mit dem literarischen späten Vorbau der auch deuteronomistisch geprägten Bücher Josua und Richter), sei es der großen, überwiegend poetisch gestalteten Prophetenbücher (Jesaja, Jeremia, Ezechiel und das ursprünglich auf einer Rolle geschriebene Zwölfprophetenbuch), stehen die tief in das kulturelle Gedächtnis Israels eingebrannten historischen Krisenerfahrungen des Zusammenbruchs des Königreichs Israel 722/720 v. Chr. im Schatten der Westexpansion des assyrischen Weltreichs sowie die Eroberung und Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. durch die Neubabylonier. In beiden Fällen bewirkte die Auflösung der politischen und kultischen Ordnungen des Staates, dessen offizieller Kult dem Staatsgott Jhwh galt, bei den geistigen Eliten Israels und Judas einerseits eine grundlegende Reflexion der Macht Jhwhs, die in der Vorstellung der universalen Geschichtsmächtigkeit Jhwhs, der die Mächte der Erde zur Erziehung seines Volkes Israels benutzt, mündete, andererseits eine Darstellung der Geschichte Israels als eines linearen, von Jhwh nach den Prinzipien von Schuld und Strafe gestalteten Geschehensverlaufs. Dieser Verlauf ist sowohl in |53|der Endgestalt der Geschichtsbücher als auch der Prophetenbücher eschatologisch, mitunter verhalten messianisch geprägt (vgl. Beck 2006; Schmitt 2001c; 2010; Collins/Yarbro Collins 2008: 25–47); in den Prophetenbüchern trägt er auch apokalyptische Züge, wenn mit einer radikalen Veränderung der Welt nicht mehr in der Zeit, sondern jenseits dieser gerechnet wird (vgl. Jes 24–27; Dan 7–12; 1Henoch). Die israelitisch-jüdischen Geschichtstheologien im Alten Testament und die sich aus diesen (wie aus bestimmten weisheitlichen Traditionen) entwickelnde Apokalyptik, wie sie sich in nicht kanonisch gewordenen frühjüdischen Apokalypsen niedergeschlagen hat (Collins 1998), bilden einen wesentlichen Vorstellungshintergrund für die neutestamentliche Interpretation Jesu Christi als Teil und Ziel des göttlichen Handelns in der Geschichte bzw. in Zeit und Ewigkeit.

Im Rahmen der Darstellung der Geschichte des Königtums (1Sam – 2Kön), wie ihn vor allem deuteronomistische Redaktoren im 7./6. Jahrhundert v. Chr. unter Verarbeitung älterer Erzählzyklen und Hofgeschichten geschaffen haben, und in den prophetischen Büchern kommt einzelnen Figuren als paradigmatischen Werkzeugen Jhwhs zur Durchsetzung und Deutung seines Geschichtsplans eine besondere Relevanz zu. Auf diesen soll hier, alternativ zu einem Ansatz, der an der historiographischen und eschatologischen Erzählstruktur der Geschichts- und der Prophetenbücher orientiert ist, der Schwerpunkt liegen.

4.6.1. An erster Stelle sind die Könige zu nennen, die im königszeitlichen Israel wie auch sonst im Alten Orient, als von Gott selbst eingesetzte Herrscher, irdische Repräsentanten der göttlichen Ordnung, höchste Priester und Garanten von Gerechtigkeit und Wohlergehen des Staats betrachtet wurden (Ps 72; Klgl 4,20; Witte 2012b: 46–52). Wie in Mesopotamien und Ägypten konnte in Israel/Juda der König als »Sohn Gottes« bezeichnet werden (Ps 2; 110), wenn auch nicht in einem biologischen, sondern in einem adoptianischen Sinn (s.o. 3.4.), und mit göttlichen Attributen versehen werden (Ps 45; vgl. Collins/Yarbro Collins 2008: 1–24).

Eine israelitische und judäische Besonderheit ist der wohl unter hethitischem oder westsemitisch-kanaanäischem Einfluss entstandene|54| Inaugurationsritus der Königssalbung, mittels dessen dem König symbolisch Macht, Kraft und Ehre übereignet wurde (vgl. 1Sam 10,1; 16,1–13; 2Sam 2,4; 1Kön 1,34; 2Kön 11,12; Ps 89,21). Aus diesem Ritus resultiert die Bezeichnung des Königs als des Messias/Christus/Gesalbten (1Sam 24,7; Ps 20,7; Klgl 4,20; s.o. 3.1.). Mit der Salbung des Königs zum Messias Jhwhs wird funktional dessen besondere Zugehörigkeit zu Gott ausgedrückt, was sich im Motiv der Verleihung des göttlichen Geistes an den Gesalbten widerspiegelt (1Sam 16,13; Feldmeier/Spieckermann 2011: 214–221). Die Funktionalität des Messias-Titels zeigt sich auch in der singulären Kennzeichnung eines nichtisraelitischen Herrschers, des Perserkönigs Kyros (II., etwa 590/580–530 v. Chr.), in Jes 45,1 – bezeichnenderweise in einem Text, der erst aus der Zeit nach dem Untergang des Königtums in Juda stammt (Schmid 2002: 186; 195).

Neben der Salbung der Könige kennt das Alte Testament vereinzelt auch die Salbung von Propheten (1Kön 19,16 Elisa als Nachfolger [Elias]; Jes 61,1, vgl. CD-A II,12; VI,1), wobei es sich hier nicht um einen historisch verifizierbaren Akt, sondern um eine theologische Qualifikation handelt, und – durchgehend in Texten aus nachmonarchischer Zeit – von Priestern, zumal des Hohepriesters (Ex 28,41; 29,1–3 bzw. Lev 4,3; 6,15; Num 35,25; Dan 9,25f.), der in der Zeit des Zweiten Tempels immer mehr die Rolle des früheren judäischen Königs übernimmt. Einmalig erscheinen in einem ebenfalls aus nachköniglicher Zeit stammenden Geschichtspsalm (Ps 105,9–15 par. 1Chr 16,16–22) die Erzväter als Gesalbte, was wie ihre Titulierung als Propheten (vgl. Gen 20,7) die besondere Zuordnung zu Jhwh ausdrücken soll und motivgeschichtlich eine späte Ausstaffierung mit einem religiösen Ehrentitel darstellt.

In der israelitisch-judäischen Königsideologie und ihrer Rede vom jüdischen König als dem (jeweils gegenwärtigen) Messias Jhwhs liegt die entscheidende Wurzel für die sogenannten Messiaserwartungen im Alten Testament und vor allem in der frühjüdischen Literatur. Diese richten sich an einen zukünftigen und endgültigen idealen König, einen »Sohn Davids«, der die voll realisierte Herrschaft Jhwhs auf Erden bringen wird.

Für die Herausbildung der Erwartung solch eines (königlichen) Messias im engeren oder eigentlichen Sinn sind religionsgeschichtlich|55| drei Faktoren verantwortlich: erstens die Grundstruktur der altorientalischen Königsideologie, die immer ein Moment des Zukünftigen, noch nicht Realisierten und Utopischen enthält (»präsentischer Messianismus«, Waschke 2001: 167), zweitens die reale Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit innerhalb des existierenden Königtums des 9./8. bis 6. Jahrhunderts v. Chr. und drittens die sukzessive Verklärung des Königtums Davids (ca. 1000–960 v. Chr.). Dieses mutiert, je größer der zeitliche Abstand wird, zu einer »goldenen Zeit«. Im Schatten der sogenannten Nathanweissagung (2Sam 7 par. 1Chr 17), in der David eine »ewige Dynastie« zugesagt wird, des (nachmonarchischen?) Motivs des Davidbundes (2Sam 23,5; Ps 89,4–5; 132,11–12), der Silisierung Davids zum exemplarischen von Gott Erwählten (Ps 78,20) und des endgültigen Zusammenbruchs des davidischen Königtums 587 v. Chr. entsteht zunächst die Hoffnung auf eine zeitnahe Restauration (vgl. Hag 2,23; Sach 4,6f. im Blick auf Serubbabel), dann die Vorstellung eines künftigen idealen Davididen bzw. eines David redivivus/wiedererstandenen Davids.

Wesentliche alttestamentliche Bezugspunkte dieser Vorstellungen sind prophetische Königsorakel bzw. Herrscherverheißungen (»messianische Weissagungen«). Ihr ursprünglicher Ort war die Inthronisation eines Königs. Erst im Kontext der Kritik am realen König, wie sie sich vor allem in den Prophetenbüchern findet, wurde sie auf einen in der Zukunft auftretenden Heilskönig aus der Dynastie Davids bezogen (Jes 7,10–17; 9,1–6; 11,1–8; 16,4b–5; 32,1–8; Jer 23,5–6; 30,8–9; 33,15–16; Ez 17,22–24; 34,23; 37,24; Hos 3,5; Mi 5,1–5; Sach 3,8; 4,1–14; 6,9–15; 9,9–10). Anfänge einer solchen Übertragung von Königsaussagen auf eine ideale Gestalt der nahen Zukunft finden sich wohl erstmals am Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr., zu ihrer vollen Entfaltung kommen sie aber erst in der königslosen Zeit des Zweiten Tempels, wo sie zur Vorstellung eines idealen Königs in der fernen Zukunft bzw. in der Endzeit weiter entwickelt werden (vgl. exemplarisch für das Jesajabuch Schmid 2002).

Bei diesen Herrscherverheißungen oder eigentlichen messianischen Weissagungen selbst, zu denen aufgrund ihres futurisch-messianischen Verständnisses im frühen Christentum, teilweise auch im römerzeitlichen Judentum, die eschatologisch transformierten Königspsalmen|56| (Ps 2; 20; 21; 45; 72; 89; 101; 110; 132; 144; Saur 2004), eschatologisierte Stammessprüche im Pentateuch (Gen 49,8–12*; Num 24,15–24) oder das sogenannte Protevangelium (Gen 3,15; vgl. Röm 16,20; Hebr 2,14) zählen, handelt es sich um literarisch vielschichtige Größen. In ihrer Mehrzahl stammen sie erst aus der Zeit nach dem Ende des judäischen Königtums. Sie spiegeln einen mehrfachen Fortschreibungs- und Aktualisierungsprozess wider und stellen unterschiedliche, historisch bedingte Konzeptualisierungen der Erwartung einer zukünftigen Heilsfigur dar, sind also Ausdruck eines bestimmten eschatologischen, messianischen Konzepts (Oegema 1998: 290–306). Sie gehören in den Zusammenhang weiterer eschatologischer Heilsvorstellungen im Alten Testament, zumal der Erwartung der kommenden Königsherrschaft Jhwhs (Fabry/Scholtissek 2002: 12), und entwickeln sich angesichts von negativen Erfahrungen, sei es mit dem bestehenden bzw. bisherigen Königshaus (Jes 11,1–9; Mi 5,1–3; Jer 23,5–6), sei es mit Krieg und Zerstörung (Sach 9,1–10) oder – in fortgeschrittener hellenistischer Zeit – mit der Jerusalemer Priesterschaft. Dabei sind partiell motivische Übernahmen aus dem hellenistischen Herrscherkult nicht ausgeschlossen (PsLXX 110; SachLXX 9,9–10; Collins/Yarbro Collins 2008, 48–54).

Gemeinsame Grundzüge der alttestamentlichen messianischen Weissagungen, in denen nie der Begriff »Messias«, sondern Ersatznamen (Jes 7,14; Jer 23,6; Sach 6,12; Ps 132,17) oder Umschreibungen (Jes 11,1; Jer 23,5; Ez 17,22) begegnen und die ihre Bezeichnung »messianisch« erst der expliziten messianischen relecture verdanken (Waschke 2001: 13–16; Fabry/Scholtissek 2002: 20), sind die Nähe der endzeitlichen Heilsfigur zu Jhwh und seiner Herrschaft, die (Geist-)Begabung und Beauftragung durch Jhwh, das Bringen von Frieden, Recht und Gerechtigkeit für das vereinigte Israel und die Herkunft aus der davidischen Dynastie; letzteres Element findet sich vor allem in mit einer Restitution des davidischen Königtums rechnenden Erwartungen (Jes 16,4b–5; Ez 37,24f.; Hos 3,5; Am 9,11f.; Hag 2,10–23). Ein einheitliches Messiasbild spiegeln diese Texte nicht: So kann neben einer machtvollen, mit Weisheit ausgestatteten Herrschergestalt (Jes 9,5f.; 11,5) auch ein erst durch Jhwh geretteter, armer und demütiger König (Sach 9,9 nach dem |57|hebräischen Text; vgl. Hab 3,13; Ps 20,7) stehen. Motivisch spielt in diese Stilisierung eine vor allem in nachexilischen Psalmen anzutreffende Bezeichnung der Frommen als (vor Gott) Arme und Demütige hinein (»Armutsideal/Armenfrömmigkeit«, vgl. Ps 22,27; 37,11; 69,33, aber auch Num 12,3).

Neben der Vorstellung eines individuellen endzeitlichen Heilsbringers und Herrschers taucht in alttestamentlichen Texten aus persisch-hellenistischer Zeit, gleichfalls als eine Reaktion auf den Untergang des realen Königtums, auch eine kollektive Messiasvorstellung auf (Jes 32,15–20; 55,1–5; Jer 33,16; Ps 89,51–52; 149). Hier nimmt Israel bzw. die ideale Gemeinde, möglicherweise auch der Zion als deren lokale Personifikation (Jes 61,1–3; Schmid 2002: 187–189), die Rolle des Messias ein. In dieser kollektiven Prägung der Messiaserwartung zeigt sich die Formel von Jhwh als dem Gott Israels und Israel als dem Volk Jhwhs (vgl. Ex 19,5–6; Dtn 7,6–8) in einer eschatologischen Farbe (Jes 32,15–18). Die Erwählung Israels zum Volk Jhwhs, die vorgeschichtlich im Exodusgeschehen und der Sinaioffenbarung gründet (Dtn 7,6–7) und die sich geschichtlich in der Gabe des Landes und der Staatlichkeit realisiert, findet ihre Fortsetzung in der eschatologischen Rolle Israels als Vermittler des Heils Jhwhs an die Völker (Sach 8,20–23; vgl. Joh 4,22).

Insgesamt spielen die Messiaserwartungen im Alten Testament weder literarisch noch theologisch eine zentrale Rolle. Sie sind ein Element der traditionsgeschichtlich und motivisch vielfältigen Eschatologie im Alten Testament. Allerdings stehen die eschatologischen Herrscherweissagungen in der Endgestalt der Prophetenbücher häufig betont am Schluss kleinerer oder größerer Texteinheiten (vgl. Jes 7*; 9*; 11*, 45*; 55*; 61*; Schmid 2002: 179; 183–195). Im Psalter finden sie sich an hervorgehobenen Stellen (vgl. Ps 2; 72; 89; Rösel 1999). Ebenso begegnen sie im Aufriss des Pentateuchs an den narrativen Nahtstellen eines Epochenübergangs (vgl. Gen 49,8–12*; Num 24,15–24*). Befördert durch eine zunächst gegen die Diadochenherrscher, später gegen die Hasmonäer, die Römer und schließlich die Herodianer gerichtete Einstellung jüdischer Kreise, in denen die heiligen Schriften Israels eschatologisch redigiert und eschatologisch ausgelegt wurden (s.o. 2.3.), verdanken die alttestamentlichen Messiasverheißungen ihre besondere theologische |58|Bedeutung zwei religions- und literaturgeschichtlichen Entwicklungen im hellenistisch-römischen Judentum:

erstens den vielfältigen Erwartungen endzeitlicher Heilsgestalten in unterschiedlichen eschatologisch orientierten jüdischen Gruppen des 2. Jahrhunderts v. Chr. – 1. Jahrhunderts n. Chr.; exemplarisch für diese sind die Psalmen Salomos 17–18, die das Motiv eines sündlosen Messias/Christus kennen (Psalmen Salomos 17,36), einzelne Texte aus Qumran, u.a. 1QSa II,11–21, wo nach gegenwärtigen Erkenntnissen erstmals die absolute Bezeichnung hammāsîa/der Messias für eine endzeitliche Rettergestalt belegt ist; 1QSb V,20–23; 4Q174 Frag. 1 I,21,2,10–13; 4Q252 V,3, möglicherweise auch der sogenannte Gottes-Sohn-Text 4Q246, sowie die aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. stammenden Apokalypsen in den »Bilderreden/Parabeln« des Ersten Henochbuchs (Kap. 37–71; vgl. besonders 1Henoch 48,10; 52,4) und des Vierten Esrabuchs (vgl. 4Esra 7,28f.);

zweitens den sich aus den frühjüdischen messianischen Vorstellungen speisenden neutestamentlichen Rezeptionen und Interpretationen auf Jesus von Nazareth als dem erwarteten Messias (vgl. Jes 7,14 in Mt 1,23; Mi 5,1.3 in Mt 2,6; Sach 9,9 in Mt 21,5; Jes 61,1–2 in Lk 4,18–19): Über die Aufnahme »alttestamentlicher« Messiastraditionen und im Milieu der bunten frühjüdischen Messiasvorstellungen wurde aus Jesus der Christus und der in Bethlehem geborene Sohn Davids (Mt 1,1; 2,6; Mk 10,47), der im nachösterlichen Ausbau einer Vor- und Nachgeschichte weitere Elemente israelitisch-jüdischer und paganer hellenistischer Herrschermotivik, wie die Geburt aus der Jungfrau (vgl. Mt 1,23; JesLXX 7,14) oder das »Sitzen zur Rechten Gottes« (vgl. Apg 7,55f.; Röm 8,34; 1Petr 3,22; Heb 1,13–14 mit Ps 110,1), an sich ziehen konnte.

Dabei fließen in die Gestaltung Jesu als Messias neben dem davidischen königsideologischen Hauptstrom auch priesterliche und prophetische Messiasvorstellungen ein. Im Hintergrund steht die genannte Erwähnung der Salbung von Priestern und Propheten im Alten Testament. Auch diese beiden Konfigurationen teilt das Neue Testament mit bestimmten Strömungen im frühen Judentum. So bezeugt das Schrifttum aus Qumran auch die Vorstellung eines priesterlichen Messias (1QS IX,11; CD-A XII,23–XIII,2; XIV,18–19; |59|CD-B XIX,7–11 – hier jeweils kombiniert mit einem zweiten, politischen Messias, vgl. Testament Simeons 7 und als Hintergrund Sach 4; 6,9–15; 1SamLXX 2,35) und eines prophetischen Messias (4Q521 Frag. 2 II,1; 11Q13 II,18; vgl. auch 4Q175 5–8 und 1Makk 14,41 vor dem Hintergrund von Dtn 18,15.18 und Jes 61,1, s.o. 4.4.1.). Wie in der neutestamentlichen Zeichnung Jesu als Messias sind in den qumranischen und anderen frühjüdischen Texten die Übergänge zwischen den Vorstellungen eines königlichen, priesterlichen und prophetischen Messias fließend (Zimmermann 1998: 470–480; Fabry/Scholtissek 2002: 36–52; Frey 2011: 281–290). Dabei können die frühjüdischen und die neutestamentlichen Messiasfigurationen die Aspekte weiterer zu Erlöserfiguren stilisierter Gestalten der Ur- und Frühgeschichte Israels (Noah, Henoch, Mose, Elia) oder des »Menschensohns« (s.o. 2.3.; 1Henoch 48,2) aufnehmen, auch wenn diese nicht den Titel »Messias« tragen.

Theologisch entscheidend für die israelitischen und frühjüdischen Geschichtstheologien, in denen Gott mittels eines gegenwärtigen, künftigen oder endzeitlichen Königs handelt, ist ihre durchgehend theozentrische Struktur: Gott ist es, der unbedingt und unabhängig erwählt. Selbst dort, wo der endzeitliche Messias gottähnliche Züge annimmt, bleibt er ein Werkzeug Gottes und der Königsherrschaft Gottes untergeordnet.

4.6.2. Neben den Königen sind es die Propheten, die in den großen theopolitischen Entwürfen des Alten Testaments als die Gottesgeschichte prägende und deutende Einzelfiguren auftreten. In den deuteronomistisch bearbeiteten Königsbüchern und davon abhängig in den chronistischen Geschichtswerken (1Chr – Esr/Neh) erscheinen sie vor allem als unerschrockene Anwälte Jhwhs, die jeweils an geschichtlichen Wendepunkten den sich nicht an die Tora haltenden Königen Israels und Judas gegenübertreten, die Einhaltung der Alleinverehrung Jhwhs sowie der kultischen und sozialen Gebote fordern und gelegentlich Wunder vollbringen (vgl. 1Kön 17,11–24; 2Kön 5,1–14). Hingegen spiegelt sich in den literarischen Biographien der Prophetenbücher, die erst aufgrund einer zum Teil mehrere Jahrhunderte umfassenden Fortschreibung die prophetischen Gestalten eines Jesaja, Jeremia oder Ezechiel hervorgebracht|60| haben, das Bild eines Israel, den Völkern und schließlich der gesamten Welt das von Jhwh gewirkte Gericht und Heil ansagenden, seine Verkündigung mit symbolischen Handlungen (vgl. Jes 20,1–6; Jer 13,1–11; Ez 4,1–6,14) unterstreichenden und geschichtliche Prozesse aus der Perspektive Jhwhs interpretierenden Empfängers göttlicher Visionen und Auditionen.

Wo sich die fortlaufend aktualisierten, kommentierten und redigierten Sammlungen prophetischen Spruchguts zu Bildern prophetischer Gestalten ausgewachsen haben, erscheint als ein Merkmal prophetischer Existenz das Leiden des Propheten, das ihm seitens seiner Zeitgenossen, bei denen seine Botschaft auf Widerstand stößt, zugefügt wird. In den dem Jeremiabuch redaktionsgeschichtlich erst nachjeremianisch eingelegten »Konfessionen« (Jer 11–20*) und in den damit verwandten »Gottesknechtsliedern« in der deuterojesajanischen Schicht des Jesajabuchs (Jes 42,1–4; 49;1–6; 50,4–9; 52,13–53,12) wird das Leiden zum Signum prophetischen Lebens schlechthin (vgl. Jak 5,10f.): In seinem Leiden wird der von Gott erwählte Prophet zum Abbild des selbst an Israel und der Welt leidenden Gottes, das seine letzte Begründung und sein Ziel in der Stellvertretung findet. Theologisch bedeutsam und im Blick auf die neutestamentliche Rezeption zentral ist die Verknüpfung der Verkündigung der universalen Herrschaft und Gerechtigkeit Gottes, die sich als roter Faden durch alle Prophetenbücher zieht, mit der Vorstellung des leidenden Gerechten, der als solcher die Herrschaft und Gerechtigkeit Gottes verkörpert (s.u. 4.6.3.).

Es können hier nicht die vielfältigen Theologien der Prophetenbücher in ihrer komplexen religions- und literaturgeschichtlichen Entwicklung dargestellt werden. Im Blick auf die Frage nach Jesus Christus als Thema der alttestamentlichen Theologie ist die Erkenntnis wesentlich, dass sich Jesus Christus mit seiner Botschaft von der βασιλεία τοῦ θεοῦ/basileia tou theou/Königsherrschaft Gottes und mit seinem Leiden nahtlos in die Linie der alttestamentlichen Propheten einschreiben lässt, wie sie von und in ihren Büchern geschaffen wurden (vgl. Lk 13,31–34; Joh 9,17). Dabei fließen in die Motivik des leidenden Gerechten, zumal in der Ausgestaltung der Passionsgeschichte Jesu, auch Elemente aus der frühjüdischen Märtyrertheologie ein, die im Tod der leidenden Gerechten eine |61|stellvertretende Funktion sieht (4Makkbäer 6,29; 17,22) und die ihrerseits eine spezifische Form von Geschichtstheologie darstellt.

4.6.3. Als Lenker individueller und kollektiver Lebensgeschichte ist Jhwh der Herr von Zeit und Ewigkeit, was sich letztlich auch in der wunderbaren Verwandlung des Lebens (vgl. Jes 35,5–6; 42,7; 61,1–3) und in der Herrschaft über den Tod ausdrückt (Jes 25,8). Dabei geht das in der Endgestalt des Alten Testaments vorliegende bunte Tableau von Interpretamenten und Metaphern der Erfahrung und der Hoffnung Jhwhs als Gott des Lebens religionsgeschichtlich auf einen vielschichtigen Prozess der sukzessiven Kompetenzerweiterung Jhwhs zurück (Janowski 2009: 112–125), in welchem die Herausbildung des Monotheismus, eine konsequente Schöpfungstheologie sowie die radikalisierte Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leidens des Gerechten wesentliche Faktoren sind. So stehen die traditionsgeschichtlich aus unterschiedlichen Hintergründen und Reflexionskontexten stammenden Bilder von der Neuschöpfung aus dem Tod (Ez 37,1–14), der Auferstehung und der Auferweckung (Jes 26,19; Dan 12,1–3; HiLXX 42,17; 2Makk 7,8), der Entrückung als der unmittelbaren Aufnahme bei Gott unter Umgehung der Todesgrenze (Ps 73,24 im Schatten von Gen 5,22–24 und 2Kön 2,3.5), der Unsterblichkeit der Seele (Ps 49,16; SapSal 3,1) oder der endgültigen Entmachtung des Todes (Jes 25,8; vgl. 1Kor 15,26) nebeneinander und konvergieren in der Vorstellung, dass sich das Wesen Gottes in seiner Stiftung von Leben zeigt (Röm 4,17). Die neutestamentlichen Beschreibungen des postmortalen Geschicks Jesu Christi, der nach einem frühchristlichen Überlieferungszweig gerade mit der von Gott bewirkten Überwindung der Todesgrenze in die Sohnschaft Gottes eingesetzt wird (vgl. Röm 1,3–4 versus SapSal 2,18; 5,5), greifen auf diese Bilder zurück und fokussieren sie, erneut unter Fortschreibung von Jes 52,13–53,12, auf die Vorstellung der Ermöglichung des Lebens nach dem Tod mittels einer im Glauben ergriffenen Partizipation an der Auferstehung Jesu Christi (Joh 3,15; vgl. Röm 8,17).

Damit sind die alttestamentlichen Formen, intensive Gottesnähe zu erfahren – der Sabbat (vgl. Ex 31,13–17; Ps 92), der Tempel (vgl. Ps 36,9–10), die Tora (vgl. Dtn 30,16; Sir 24,23) und die Weisheit |62|(vgl. Prov 3,18; Sir 24) – christologisch modifiziert. Jesus Christus erscheint so, mythisch gesprochen, als neuer Zugang zum Baum des Lebens (Gen 3,24), ja, als das Leben selbst (Joh 11,25).

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