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|1|Einführung

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Jens Schröter

Der vorliegende Band nimmt bereits in seinem Titel »Jesus Christus« das Grundbekenntnis des christlichen Glaubens und das Zentrum christlicher Theologie auf: »Jesus Christus« ist eigentlich eine Kurzform des Bekenntnisses »Jesus ist der Christus«, aramäisch: »der Messias«, deutsch: »der Gesalbte«. Dieses Grundbekenntnis wird in den einzelnen Disziplinen der christlichen Theologie mit je eigenem Schwerpunkt entfaltet: Die Wissenschaft vom Neuen Testament befasst sich mit denjenigen Schriften, die das Bekenntnis zu Jesus von Nazareth als der letztgültigen Offenbarung des Gottes Israels bezeugen. Die im – erst christlich so genannten – »Alten Testament« versammelten israelitisch-jüdischen Schriften gewinnen angesichts dieses Bekenntnisses eine neue Bedeutung. Die alttestamentliche Wissenschaft als Teil der christlichen Theologie lenkt hierauf ihr Augenmerk. Die Kirchengeschichte lässt sich als Nachvollzug eben jenes Bekenntnisses in Theologie und Frömmigkeit des Christentums auffassen. Die Systematische Theologie kann als Durchdringung dieses Bekenntnisses mit Hilfe philosophischer Begrifflichkeit – etwa in der Christologie und der Trinitätslehre – sowie als hermeneutische Reflexion des Zusammenhangs von einmaligem historischem Ereignis (nämlich von Wirken und Geschick Jesu von Nazareth) und seiner für das Heil jedes Menschen grundlegenden Bedeutung beschrieben werden. Die Praktische Theologie befasst sich damit, wie dieses Bekenntnis in kirchlichen Vollzügen – in der Predigt, der Seelsorge, im diakonischen Handeln – sowie in der Bildung, vor allem im Religionsunterricht, unter den je aktuellen Bedingungen zur Geltung zu bringen ist. Die Religionswissenschaft bzw. die Interkulturelle Theologie schließlich betrachtet das Bekenntnis zu Jesus Christus im Horizont anderer religiöser |2|Überzeugungen und fragt nach deren Verhältnis zur Bedeutung Jesu innerhalb des Christentums.

Was hat es mit dem Bekenntnis »Jesus (ist der) Christus« auf sich? Grundlegend lässt sich formulieren: In dieser Aussage verdichtet sich die Überzeugung, dass in dem Menschen Jesus von Nazareth die heilvolle Nähe und rettende Kraft Gottes endgültig und unüberbietbar Gestalt gewonnen hat. An diese Bestimmung knüpft sich jedoch sofort eine Reihe von Fragen, denen sich die christliche Theologie zu stellen hat: Wer war bzw. ist dieser Jesus von Nazareth? Was macht ihn so einzigartig, dass die Überzeugung, es handle sich nicht um einen gewöhnlichen Menschen, sondern um denjenigen, der als Repräsentant Gottes auf der Erde gewirkt hat, plausibel erscheinen kann? Handelt es sich dabei lediglich um eine kühne Behauptung, die seine ersten Anhänger – aus welchem Grund auch immer – in die Welt gesetzt haben, oder lassen sich Gründe benennen, die diese Überzeugung glaubhaft machen und sie auch für spätere Zeiten und Menschen, die Jesus nicht unmittelbar begegnet sind, bedeutsam werden lassen? Liegen diese Gründe im Wirken und der Lehre Jesu von Nazareth selbst, so dass dessen Inhalte und historische Umstände möglichst genau zu erforschen wären? Oder beruht das Bekenntnis zu ihm in erster Linie auf Vorstellungen seiner frühen Anhänger, die ihre Erwartungen und Hoffnungen nachträglich auf seine Person projiziert haben? Wie verhalten sich also der »historische Jesus« und der »geglaubte Christus« zueinander?

Zu bedenken ist weiter das Verhältnis des Glaubens an Jesus Christus zu den Schriften Israels und des Judentums. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Jesus selbst galiläischer Jude war, der fest im Glauben an den Gott Israels stand, in der Tora, der Weisung Gottes für sein Volk, unterwiesen war und sich mit seiner Botschaft an sein Volk Israel gesandt wusste. Was aber bedeutet dies für die verbindlichen Schriften Israels, für das Gesetz, für die Erwählung des Volkes? Bestand dies alles unverändert weiter oder musste es angesichts des Auftretens Jesu grundlegend neu durchdacht werden? Sind die Schriften und Traditionen Israels angesichts des Bekenntnisses zu Jesus Christus überhaupt noch verbindlich oder treten die Schriften des Neuen Testaments an deren Stelle |3|und machen sie fortan für die Christen überflüssig oder zumindest zweitrangig?

Das Bekenntnis zu Jesus Christus hat demnach nicht zuletzt auch Konsequenzen für den Glauben an den Gott Israels. Glauben Juden und Christen an denselben Gott – nur eben mit dem Unterschied, dass sich Christen außerdem noch zu Jesus Christus bekennen? Oder verändert der Glaube an Jesus Christus auch den Glauben an den Gott Israels in grundlegender Weise? Christen wie Juden sind davon überzeugt, dass der Gottes Israels der einzige Gott ist, Schöpfer des Himmels und der Erde. Wird dieses Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes nicht durch dasjenige zu Jesus Christus verletzt? In welchem Verhältnis steht schließlich dieses Bekenntnis zu denjenigen anderer Religionen? Gibt es zwischen der christlichen und der muslimischen Sicht auf die Bedeutung Jesu Konvergenzen oder bestehen hier unüberbrückbare Widersprüche?

Was folgt schließlich aus dem Bekenntnis zu Jesus Christus für die Gestaltung des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens? Gibt es ein spezifisches Ethos und verbindliche Lebensregeln für die an Jesus Christus Glaubenden? Können Weg und Lehre Jesu als Grundlage einer Ethik der christlichen Kirche dienen oder gehören sie in eine spezifische historische Situation, aus der sich keine unmittelbaren Konsequenzen für das christliche Leben späterer Zeiten herleiten lassen? Was aber könnte dann als Maßstab christlichen Lebens dienen?

Überblickt man dieses Spektrum von Fragen, kann kein Zweifel daran bestehen: Bei der Entstehung und Bedeutung des Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus geht es um die grundlegenden Inhalte des christlichen Glaubens, um die Gestaltung des Lebens in den christlichen Kirchen, und darum, was das christliche Bekenntnis von anderen Bekenntnissen und Überzeugungen unterscheidet. Das wird in den Beiträgen des vorliegenden Bandes, die das christliche Grundbekenntnis aus Sicht der verschiedenen theologischen Disziplinen in den Blick nehmen, auf je eigene Weise deutlich.

Markus Witte beleuchtet in seinem Beitrag die Bedeutung des Alten Testaments für das Bekenntnis zu Jesus Christus. Er setzt dazu nicht bei den sogenannten »messianischen Weissagungen« an – also denjenigen Texten aus den Schriften Israels, die bereits im |4|frühen Christentum als Vorausverweise auf Jesus Christus gedeutet wurden –, aber auch nicht bei anderweitigen Rekursen auf das Alte Testament im Neuen. Statt dieses oft beschrittenen Weges zeichnet sein Artikel vielmehr Grundstrukturen alttestamentlicher Rede von Gott als einen Rahmen nach, den das Urchristentum auf eigene Weise gefüllt hat. Grundlegend dafür seien zum einen die »Namen Gottes« – etwa Herr, König, Hirte, Herrscher –, die auf je eigene Weise für das Reden von Jesus Christus fruchtbar gemacht wurden. Zum anderen lasse sich in den großen Überlieferungsbereichen des Alten Testaments – den Schöpfungstexten, der Vätergeschichte, der Exodus- und Sinaiüberlieferung, den Heiligkeitsvorstellungen, der Geschichtstheologie sowie den Weisheitstexten – ein Gottes-, Welt- und Menschenverständnis erkennen, das im Urchristentum im Horizont des Glaubens an Jesus Christus aufgegriffen und fortgeschrieben wurde. Die zentralen Traditionsbereiche und Überlieferungsstränge Israels und des Judentums erweisen sich damit als offen für eine Rezeption im Horizont des Glaubens an Jesus Christus. Der Beitrag zeigt eindrücklich, dass die entsprechenden Traditionen und Überlieferungen dadurch nicht nur in ein neues Licht rücken, sondern selbst wichtige Potentiale für eine christliche Theologie des Alten Testaments in sich bergen. Jesus Christus erscheint auf diese Weise als »die entscheidende Verbindung zwischen beiden Testamenten«.

Der neutestamentliche Beitrag von Reinhard von Bendemann nimmt diesen Ansatz so auf, dass er auf die »Rezeption übergreifender narrativer Zusammenhänge und Motivkomplexe« des Alten Testaments – wie etwa Exodus, Sinaigeschehen, Schöpfungsvorstellung – im frühen Christentum verweist. Auf dieser Grundlage geht er sodann dem Wirken und Geschick Jesu und dessen Deutungen in den Schriften des Neuen Testaments – also den »neutestamentlichen Christologien« – nach. Für Jesus selbst wird die Vermittlung der Königsherrschaft Gottes in Worten und Gleichnissen sowie in seinem heilenden Wirken als charakteristisch herausgestellt. Kennzeichnend sei dabei die Gewissheit Jesu, die in seinem Wirken beginnende Aufrichtung der Gottesherrschaft werde nach seinem Auftreten eine Fortsetzung finden. Für die Christologie des Urchristentums tritt Jesus als erhöhter Herr an die Seite Gottes, was |5|etwa an der intensiven Rezeption von Ps 110,1, der auf das Sitzen Jesu zur Rechten Gottes bezogen wurde, erkennbar wird. Der Blick auf Paulus und seine Schule, die Evangelien sowie die Johannesoffenbarung zeigt sodann verschiedene Entfaltungen des urchristlichen Christusbekenntnisses. Wesentlich für das Denken des Paulus ist die Überzeugung von der in Jesus Christus geoffenbarten Gottesgerechtigkeit, die auf die Einheit von Juden und Heiden in Christus zielt. In den an Paulus anschließenden Briefen wird dies mit eigenen Akzentuierungen fortgeführt. Die synoptischen Evangelien stellen das christologische Bekenntnis in Form einer narrativen Entfaltung des Weges Jesu als des Sohnes Gottes dar, der als Lehrer und Wundertäter wirkt und dessen Weg durch Leiden und Tod zu Auferstehung und Erhöhung führt. Das Johannesevangelium betont die göttliche Würde des präexistenten Logos, der auch als irdischer die Vollmacht des von Gott gesandten Sohnes behält, was sich in den »Ich bin«-Worten in besonderer Weise verdichtet. Eine eigene Form christologischer Theozentrik liefert die Johannesoffenbarung mit ihrer Darstellung des zum Thron Gottes erhöhten Lammes, das die Macht der anderen »Tiere«, die das Römische Reich und seine Institutionen symbolisieren, bricht. Das neutestamentliche Zeugnis erweist sich damit als komplexe Verbindung von Hoheits- und Niedrigkeitsaussagen, die sich bereits in den ältesten Schriften nebeneinander finden. Die urchristliche Vielfalt der Deutungen Jesu Christi besitzt ihren Kristallisationspunkt im Tod Jesu und den durch dieses Geschehen evozierten Deutungen, ihr Konstitutivum in der stets bewahrten Theozentrik.

Martin Ohst legt bei seinem Gang durch die Kirchengeschichte den Akzent auf einen oft eher vernachlässigten Bereich. Statt eines dogmengeschichtlichen Rekurses auf die prägenden Begriffe und Lehrsysteme der christlichen Bekenntnisbildung stellt er »frömmigkeits-, theologie- und kirchengeschichtlich wirksame Bezugnahmen auf den Menschen Jesus« in den Mittelpunkt. Grundlegend ist die bereits in alten Texten (1Petr 2; 1Clem 16) begegnende, Jes 53 aufnehmende Darstellung Jesu als desjenigen, der in seiner Demut und Leidensbereitschaft den Glaubenden ethisches Vorbild geworden ist. Diese Orientierung am Christus humilis ist dann in verschiedener Weise entfaltet worden. Tertullian demonstriert |6|anhand der im Verhalten Jesu sichtbar gewordenen Geduld Gottes die Überlegenheit des christlichen Glaubens über die pagane Philosophie. In vergleichbarer Weise kann Cyprian im Kontext der Martyriumsparänese auf das Vorbild Christi verweisen und zur Leidensnachfolge aufrufen. Unter anderen politischen Bedingungen wird der irdische Jesus dann zur Orientierung für Mönche und Kleriker (Hieronymus) bzw. zum »Muster menschlichen Sichdeutens und Sichverhaltens überhaupt« (Augustin). Bei Augustin steht dies im Horizont einer Gnadentheologie, der zufolge bestimmte Menschen zur Einheit mit dem Sohn Gottes erwählt wurden. Die Orientierung am Vorbild des Verhaltens Jesu verfolgt Ohst von hier aus weiter durch die Armuts- und Frömmigkeitsbewegungen des Mittelalters. Besonders eindrücklich wird sie anhand der franziskanischen Bußpredigt aufgezeigt, die sich in umfassender Weise am Weg des irdischen Jesus orientierte und daraus den Ruf zur Umkehr des Sünders herleitete. Bei den Reformatoren lässt sich eine vergleichbare Sicht auf den Menschen Jesus aufzeigen, wie Ohst anhand von Martin Luthers Auslegung von Hebr 2,10 bzw. 5,9 zeigt: Christus »zieht und reißt … alle von den Dingen weg, welchen sie in der Welt anhängen … das ist ihr … Ihm-gleich-Werden«. In der Neuzeit ist es dann vor allem Friedrich Schleiermacher, der auf die Bedeutung der geschichtlichen Person Jesu Christi rekurriert und sie ins Zentrum der christlichen Religion rückt. Für das 20. Jahrhundert verweist Ohst abschließend auf das Gegenüber der Darstellungen Rudolf Bultmanns und Emanuel Hirschs. Hatte ersterer das urchristliche Kerygma in den Mittelpunkt gestellt, so betonte letzterer die Notwendigkeit einer Aneignung des Lebens Jesu in christlicher Theologie und christlichem Glauben.

Der eindrückliche Durchgang zeigt, dass neben der begrifflich-abstrakten Reflexion über die Bedeutung Jesu die Orientierung an seinem irdischen Weg in der Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte stets eine wichtige Rolle gespielt hat. Es wäre lohnend, dies im Horizont der neuzeitlichen Leben-Jesu-Forschung bzw. der Frage nach dem »historischen Jesus« weiterzudenken. Die gegenwärtige Jesusforschung (die sog. »Third Quest of the Historical Jesus«) gibt dazu vielfältige Anstöße. Sie fragt danach, was wir vom Wirken und Geschick Jesu mit den Mitteln historischer Kritik feststellen |7|können und möchte auf diese Weise der Reduktion der Christologie auf ein abstrakt-unanschauliches »Kerygma« durch historische Untersuchungen zu Leben, Leiden und Tod des galiläischen Wanderpredigers Jesus von Nazareth begegnen. Darin kann eine Fortsetzung der von Ohst aufgezeigten Linie unter den Bedingungen der historisch-kritischen Geschichtswissenschaft gesehen werden. Es wäre ein hermeneutisch fruchtbares Unterfangen, die aktuelle Jesusforschung aus dieser Perspektive in den Blick zu nehmen.

Der Beitrag von Notger Slenczka erschließt aus systematisch-theologischer Perspektive das Bekenntnis zu Jesus Christus als »Reflex des frommen Selbstbewusstseins«. Die an Friedrich Schleiermacher angelehnte Formulierung wird zunächst anhand des Philipperhymnus (Phil 2,5b–11) dahingehend entfaltet, dass an der Geschichte Jesu Christi – seiner Erniedrigung von der gottgleichen Gestalt bis zum Tod am Kreuz und der anschließenden Erhöhung und Verleihung des Kyrios-Namens – das Gottsein Gottes selbst in spezifischer Weise erkennbar wird: Wird der Weg Jesu Christi aus einer solchen Perspektive betrachtet, bedeutet das zum einen, dass Jesus Christus göttliche Würde zuerkannt, zum anderen, dass der Gott Israels als der Vater Jesu Christi bekannt wird. Die sich auf dieser Grundlage zu Gott und Jesus Christus Bekennenden sind damit selbst hineingenommen in das durch das Handeln Gottes an und durch Jesus Christus qualifizierte Heil. Die sich daraus ergebende Problematik der Verhältnisbestimmung von Gott und Jesus Christus führte in der altkirchlichen Bekenntnisbildung zu den Auseinandersetzungen vornehmlich mit der Position des Arius, die schließlich 325 im Konzil von Nicäa mit der Wendung »eines Wesens mit dem Vater« einer sich in der kirchlichen Tradition bewährenden Lösung zugeführt wurden. Dass diese Formel jedoch unterschiedlich ausgelegt werden konnte und entsprechend umstritten blieb, zeigt Slenczka anhand der Dispute um das christologische und trinitarische Bekenntnis bis zum Konzil von Chalcedon 451, das die Unterscheidung zwischen der einen Person bzw. Hypostase und den beiden Naturen Jesu Christi formulierte. Diese Lösung wird in der Reformationszeit im Kontext der Abendmahlsstreitigkeiten zum Problem, weil nunmehr die Frage auftaucht, wie der Leib Christi zugleich im Mahl realpräsent und zur Rechten |8|Gottes sitzen könne – ein Einwand, dem Luther mit der Lehre von der wechselseitigen Mitteilung der Eigenschaften (communicatio idiomatum) begegnete. Die beiden Naturen Jesu Christi dürfen demnach nicht als beziehungslos nebeneinander stehend betrachtet werden. Vielmehr ist bei den Ereignissen, die die eine Natur betreffen, auch die jeweils andere beteiligt (bei Kreuzigung und Tod auch die göttliche, beim Sitzen zur Rechten Gottes auch die menschliche).

Handelt es sich hierbei um eine stärker an systematisch-gegenständlichen Beschreibungen orientierte Soteriologie, so wird dem in der neuzeitlichen Christologie seit Schleiermacher eine stärker an der Erfahrung orientierte Sicht gegenübergestellt. Dazu wird auf das Leben Jesu – zunächst im Sinne des biblischen Christusbildes, noch nicht als »historischer Jesus« – rekurriert, woraus sich Impulse zur Stärkung des »frommen Selbstbewusstseins« ergeben sollen. Diese soteriologische Konzeption besitzt ihre Pointe – und ihre, wie Slenczka betont, trotz gelegentlicher Einsprüche im 20. Jahrhundert bleibende Bedeutung – darin, dass das »Werk« Christi hier nicht als etwas betrachtet wird, auf das der Glaube nachträglich Bezug nimmt, sondern dass durch dieses ein Gottesverhältnis strukturiert wird, in das der Mensch eintreten und dadurch sein Heil gewinnen kann, indem er zu seiner ursprünglichen Bestimmung findet.

Vor dem so entfalteten Zusammenhang von Christologie und Soteriologie wirft Slenczka sodann einen Blick auf die Diskussion um den »historischen Jesus«. Deren Beitrag sieht er vor allem darin, den existentiellen Bezug gegenständlicher christologischer Aussagen durch den Rekurs auf die Geschichte Jesu zu Bewusstsein zu bringen. Im Anschluss an Schweitzer und Bultmann stellt Slenczka heraus, dass es keinen von dem je eigenen Standort unabhängigen »objektiven« Zugang zu den historischen Ursprüngen gebe, zudem bereits in den Evangelien Ereignis und Deutung untrennbar miteinander verwoben seien. Die durch Jesus von Nazareth ausgelöste »soteriologische Erfahrung« schlage sich also bereits in den ältesten christlichen Texten nieder, was zum Beginn des Beitrags zurückführt – nämlich zu der Einsicht, dass die christologische Bekenntnisbildung insgesamt als hermeneutischer Vorgang aufzufassen|9| sei, in dem sich die Bedeutung des Bekenntnisses zu Jesus Christus existentiell – eben als »Reflex des frommen Selbstbewusstseins« – erschließt, dem sich darin der Zugang zu Gott und seinem Heil eröffnet.

Helmut Schwier wendet sich in seinem praktisch-theologischen Beitrag der Frage zu, wie das Bekenntnis zu Jesus Christus im praktischen Vollzug des Glaubens Gestalt gewinnen kann. Er befasst sich dazu zunächst mit dem Gottesdienst als »Feier und Kommunikation des Evangeliums«, in dem Jesus als Christus in vielfältiger Weise kommuniziert und gefeiert wird, insbesondere in der Schriftauslegung und in den Sakramenten. Näher in den Blick kommt dabei die Christuspredigt als Ort der Vergegenwärtigung Christi. Bemerkenswert ist weiter der im Blick auf den Religionsunterricht konstatierte Befund: Während in Lehrmaterialien der »Mensch Jesus« deutlich im Vordergrund steht, zeigen neuere empirische Untersuchungen, dass Schülerinnen und Schüler durchaus die »christologische« Frage nach Jesus als dem Sohn Gottes stellen. Daraus könnten sich, wie Schwier mit Recht konstatiert, wichtige Anstöße für Konzeption und Durchführung des Unterrichts ergeben, der häufig zu einseitig von der historisch-kritischen Jesusforschung her konzipiert wird und die Spannung zwischen »Jesus« und »Christus« zu wenig zur Geltung bringt. In Diakonie, Seelsorge und Beratung ist nach Schwier vor allem die »Praxis Jesu«, etwa seine Wunder und seine Tischgemeinschaften, ein wichtiger Bezugspunkt. Auch hier warnt Schwier davor, dass eine »(zu) schwache Christologie« kaum in der Lage sei, diakonisch-seelsorgerlich produktiv zu werden. Die Perspektive auf das munus regium – die Reich-Gottes-Botschaft Jesu – und seine Auferstehung könnten dazu verhelfen, die Überwindung von Not, Tod und Unheil als tröstende Botschaft des Evangeliums zur Wirkung zu bringen. Schließlich werden mit dem Blick auf »Christus und Kultur« die vielfältigen Rezeptionen der Christusgestalt außerhalb der traditionellen kirchlichen Lebensformen in den Blick genommen. In Film, Musik, Literatur usw. werden Inhalte des Lebens Jesu Christi – ganz unabhängig von ihrer historischen Verifizierbarkeit – aufgegriffen und in unterschiedlicher Weise fruchtbar gemacht. Die Präsenz und kulturprägende Kraft der Person Jesu Christi ist demnach – jedenfalls in traditionell |10|christlich geprägten Kulturräumen – keineswegs auf das »kirchliche Christentum« beschränkt.

Man könnte hier die Frage anschließen, wie es auch in Regionen, die von zum Teil dramatischen Traditionsabbrüchen gekennzeichnet sind und in denen eine Kenntnis biblischer Erzählungen und Grundaussagen des christlichen Glaubens nicht (mehr) vorauszusetzen ist, gelingen kann, die Geschichte Jesu Christi so zu erschließen, dass ihr lebensfördernder, heilvoller Gehalt deutlich wird.

Klaus Hock beleuchtet die Präsenz Jesu Christi in Islam und Hinduismus. Der Koran nimmt in 15 Suren auf Jesus Bezug, der als Prophet gewürdigt wird, aber auch mit dem (als Eigennamen verstandenen) Titel »Messias« (al-masîh) oder als (freilich nicht exklusives) »Wort Gottes« bezeichnet werden kann. Als »Zeichen Gottes« hat Jesus dabei für die muslimische Frömmigkeit besondere Bedeutung gewonnen. Hock stellt sodann dar, dass es im Islam eine lebendige Diskussion über die Bedeutung Jesu gibt, die sich zum Teil kritisch mit der christlichen Lehre auseinandersetzt, dabei aber durchaus eigene Zugänge zu Jesus als »Wort« oder »Geist« Gottes entwickelt, der die Kluft zu den sündigen Menschen überwinde, mit einer für alle Menschen bedeutungsvollen Botschaft aufgetreten sei und eine universale Ethik der Liebe und Mitmenschlichkeit gelehrt habe. Im Hinduismus lässt sich keine in vergleichbarer Weise weit zurückreichende Traditionslinie der Beschäftigung mit Jesus erheben. Gleichwohl hat die Gestalt Jesu in neuhinduistischen Ansätzen seit dem 19. Jahrhundert ebenfalls eine eigenständige Bedeutung gewonnen. Hock verdeutlicht dies anhand der auf Sri Ramakrishna, einen hinduistischen Priester des 19. Jahrhunderts, zurückgehenden Tradition, die mystisch-visionär ausgerichtet ist und in Christus einen Avatar (wörtlich: »Abstieg«) sieht, in dem das Göttliche auch als Mensch präsent geblieben sei. Eine zweite hinduistische Tradition sieht in Jesus den wahren Lehrer (Satguru), der als Inkarnation Gottes aufgefasst wird. Auch hierbei handelt es sich um eine mystisch orientierte Sicht, die auf eine Identifikation mit Christus zielt und durch die Hare-Krishna-Bewegung auch in Europa bekannt geworden ist. Schließlich weist Hock auf die Beschäftigung mit Jesus bei dem Philosophen und Dichter Rabindranath Thakur (Tagore) sowie bei Mahatma Gandhi hin, die auf je eigene Weise die Bedeutung|11| Jesu als Verkörperung des Göttlichen in einem Menschen, das besonders an seinem universalen Ethos der Menschlichkeit erkennbar werde, betont haben. Im dritten Teil seines Beitrags geht Hock auf einige »kontextuelle Christologien« ein. Grundsätzlich lässt sich dabei feststellen, dass die – oftmals erst vergleichsweise spät einsetzende – Beschäftigung mit der Person Jesu dadurch gekennzeichnet ist, sie im Horizont der jeweiligen religiösen, kulturellen und sozialen Bedingungen zu kontextualisieren – so etwa in Afrika als »guten Hirten« vor dem Hintergrund der Hirtenkultur nomadisierender Maasai. Hock stellt das damit verbundene Problem deutlich heraus: Einerseits wird eine Christologie notwendig »kontextuell« sein und ist es seit ihren ersten Anfängen auch immer gewesen. Andererseits gilt es zugleich immer wieder neu auszuhandeln, welche Inhalte für christliche Theologie und christlichen Glauben konstitutiv sind und – durchaus in variierenden Sprachformen und Bildern – auch bei der Erschließung neuer kultureller und religiöser Kontexte gewahrt bleiben müssen.

Der Überblick über die Beiträge dieses Bandes gibt demnach zu erkennen, dass Person und Weg Jesu Christi in der großen Weite der darin angelegten Deutungen in den Blick treten. Die Traditionen Israels und des Judentums, die sich als »Vorwort zu Jesus Christus« auffassen lassen, die Deutungen, die Jesus Christus in den Texten des Neuen Testaments gefunden hat, die Orientierung an seiner Demut und Leidensbereitschaft, das dadurch erschlossene Gottesverhältnis, in das der glaubende Mensch eintreten kann, die Präsenz seiner Person in kirchlichen und nicht-kirchlichen Kontexten der Gegenwart und schließlich die Auseinandersetzung mit seiner Bedeutung in nicht-christlichen Religionen sind spezifische Akzente, die dabei besonders hervortreten. Eine genaue Lektüre der Beiträge wird dies im Detail verdeutlichen. Die Zusammenfassung am Schluss des Bandes wird einige Akzente aufgreifen und aus der Perspektive der gegenwärtigen Jesusforschung und ihrer Bedeutung für das Christusbekenntnis zusammenführen.

Jesus Christus

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