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Das Modell der Strukturanalytischen Rezeptionsforschung

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Unter dem Begriff der Rezeption wird ein komplexer Prozess der Auseinandersetzung mit medialen Angeboten jeglicher Art (Film, Fernsehen, Smartphone, Radio, PC, Buch, Zeitung, Journale u. Ä.) gefasst. Die Rezeption beginnt mit der Zuwendung zu einem Medium, in der Regel nach einem vorausgegangenen Wahlvorgang (man entscheidet sich z. B. für ein bestimmtes Fernsehprogramm aus dem vielfältigen Angebot). Die Beschäftigung mit dem Fernsehprogramm kann konzentriert und ohne Unterbrechungen erfolgen. Praktiziert werden aber auch Rezeptionspausen (man verlässt z. B. vorübergehend das Fernsehzimmer) bzw. -abbrüche (man wechselt das Programm oder beendet den Fernsehkonsum). Die Motive für den Medienkonsum sind vielfältig: Sie reichen vom puren Unterhalten-werden-Wollen bis zur intensiven Reflexion seines eigenen Lebens im Spiegel von Mediengeschichte und Medienakteur. Oft wird der Medienkonsum von sozialer Kommunikation begleitet (man schaut sich z. B. ein Programm im Kreis von Freunden oder Familienmitgliedern an, entsprechend komplex fällt dann das gegenseitige Kommentieren des Gesehenen aus). Im Anschluss an die Rezeption findet eine Aneignungsphase statt: Der Rezipient vermittelt die Medienerfahrung mit seiner eigenen Alltagswelt, er ordnet das Gesehene oder Gehörte in seinen Lebenszusammenhang ein. Auch dieses Aneignungsgeschehen wird in der Regel von sozialer Kommunikation begleitet: In vielen Alltagssituationen kommt man beiläufig auf Medienereignisse zu sprechen und tauscht sich über seine Medienerlebnisse mit anderen aus. Solche Folgekommunikationen können vielfältige Funktionen erfüllen: Medieninformationen können eine Meinungsführerschaft bekräftigen, oder Medienerlebnisse können eine interpretative Gemeinschaft (Fangruppe) intensiver »zusammenschweißen«. Damit schließt sich ein Kreislauf: Die Medienrezeption entsteht in der Alltagspraxis, sie wird von ihr begleitet und sie wirkt auf diese zurück (→ Mikos, S. 146 ff.).

Der angesprochene handlungs- und subjekttheoretisch orientierte Blick auf die Praxis des Medienhandelns eröffnet einen mikroskopischen Blick auf Regeln, Formen und Funktionen der Auseinandersetzung von Individuen und Gruppen mit Massenmedien. Das Modell der Strukturanalytischen Rezeptionsforschung stellt folgendes Begriffsinventarium zur Verfügung (Charlton/Neumann [-Braun] 1992; Neumann-Braun 2000):

Unterschieden werden strukturelle und prozessuale Aspekte: Die strukturellen Aspekte der Medienrezeption (kultureller und situativer Kontext) umfassen zum einen die äußeren Rahmenbedingungen, zu denen sowohl allgemeine gesellschaftlich-kulturelle Gegebenheiten in der Gesellschaft zu zählen sind, als auch konkrete Interaktionserfahrungen innerhalb der Nahumwelt, womit an die spezifische Gestaltung der Rezeptionssituation gedacht ist, in der es regelhaft zur Ausbildung von Gewohnheiten und Ritualen kommt. Zum anderen sind die inneren Rahmenbedingungen aufzuführen, die der Rezipient aufgrund seiner kognitiven Kompetenz, seines Wissensstandes sowie seiner Bedürfnisstruktur (systematisch ableitbar über sozial-, entwicklungs- und tiefenpsychologische sowie lebenslauf- und biographieorientierte Referenztheorien; vgl. Charlton/Neumann[-Braun] 1990, 1992) mitbringt: Der Gebrauch von Individual- und Massenmedien ist einerseits an Verstehensleistungen gebunden, andererseits erfolgt er auf der Basis des Interesses des Rezipienten an bestimmten Inhalten und Themen, die sich aus seiner Bedürfnislage und seiner Lebenssituation ergeben und als handlungsleitende Themen die Wahrnehmung, Interpretation und Verarbeitung äußerer und innerer Vorgänge steuern. Diese bedürfnisbasierten Themen bestimmen den Verlauf der Auseinandersetzung mit den Medienangeboten. Entsprechend seiner thematischen Voreingenommenheit und der von ihm bevorzugten Abwehr- und Bewältigungskompetenzen (Ich-Prozesse) verarbeitet der Rezipient die objektive, allen Rezipienten gleichermaßen dargebotene Sinnstruktur des Medienangebots (das Video auf einer Online-Plattform, den Film, die Fernsehsendung etc.) selektiv und individuell.

Die Bedürfnisse, Motive und Themen, die Zuschauer und Hörer in der Medienrezeption verfolgen möchten, lassen sich von der Annahme herleiten, dass die Rezeption von Medien als ein wichtiges Moment der Lebensbewältigung aufzufassen ist, das vornehmlich den Prozessen von Identitätsaufbau und -bewahrung sowie der Selbstverortung dient. Das gesellschaftliche Sinnsystem stellt dem Rezipienten kognitive, normative und ästhetische Kategorien zur Entwicklung eines Selbst- und Weltverständnisses zur Verfügung. Die im Mediengebrauch verfolgten Ziele lassen sich systematisch zum einen auf besondere, persönliche Themen beziehen, zum anderen aber auch auf allgemeine Themen, die durch den gesellschaftlichen Zusammenhang vorgegeben sind. Aus psychologischen und soziologischen Theorien sowie Forschungsergebnissen lassen sich allgemeine Erwartungen ableiten, mit welchen zentralen Entwicklungs- und Lebensaufgaben sich eine Person in einem bestimmten sozialen Milieu und mit einer bestimmten Biographie (wichtig hier: Alter bzw. Entwicklungsstand, s.o.) auseinanderzusetzen hat. In dieser Perspektive lassen sich insbesondere auch die längerfristigen Themen und Lebensbewältigungsroutinen erkennen, die die einzelnen Rezeptionshandlungen beeinflussen. Diese Themen nehmen das Denken und Fühlen von Individuen intensiv »in Beschlag« und führen – wie erwähnt – zu thematischen Voreingenommenheiten. Rezipienten steuern die Auseinandersetzung mit Medien durch ihre Auswahl, selektive Zuwendung und ihre thematisch voreingenommene Auffassung vor, während und nach der eigentlichen Rezeption.

Die Medienrezeption im engeren Sinne lässt sich in prozessualer Perspektive in drei Phasen unterteilen, nämlich in eine Vorphase (soziale Einbettung der Rezeption), eine zweigliedrige Hauptphase (thematisch voreingenommenes Sinnverstehen und Rezeptionssteuerung) und eine zweigliedrige Nachphase (Aneignung und Vermittlung zwischen Medienangebot, Biographie und sozialer Lage sowie Folgekommunikation).

Ganz am Anfang der Rezeption – in der Vorphase – steht häufig ein Entscheidungspunkt, welche Medien man in welcher Situation wie und mit wem nutzen möchte. Der Gebrauch von Medien definiert Handlungssituationen in spezifischer Weise sozial – auch im Falle der Alleinnutzung: Die Nutzung eines MP3-Players in öffentlichen Verkehrsmitteln zum Beispiel schafft dem Hörer nicht nur ein persönliches sinnliches Musikvergnügen, sondern strukturiert gleichzeitig auch seine Beziehungen zur Mitwelt, gegenüber der er sich in diesem Fall sozial abgrenzt. Werden Medien gemeinsam genutzt, wenn beispielsweise Fotos auf dem Smartphone gezeigt werden, bedarf es expliziter sozialer Abstimmungsprozesse (vgl. Keppler 2013). Solche Abstimmungen können routinisiert sein, sie können aber auch aktueller Aushandlungen bedürfen. Virulent werden dann die Handlungsdimensionen der (1) Handlungskoordination (z. B. Herstellen eines gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus, Steuerung von Dialog und Auseinandersetzung, Erhalt bzw. Aufbau von Rollenverteilungen in Kleingruppen), (2) Macht und Selbstbehauptung (z. B. Ausüben von sozialem Druck, Beweisen von Kompetenz und Überlegenheit, Kontrollieren von Gruppenstimmungen, sich im Kontext der Mediennutzung dem Einfluss anderer entziehen) sowie (3) affektiven Beziehungsgestaltung (z. B. sich selbst mit Bezug auf Medienangebote mitteilen, sich mit Mediengeschichten versorgen/verwöhnen lassen [individuelle Playlisten erstellen, oder den eigenen Video-on-Demand-Account teilen], Herstellung von emotionaler Gemeinsamkeit über einen Medienbezug, Ablenken von sich selbst und seinen Bedürfnissen). Ganz unabhängig von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Medienangebot kommen demnach im Verlauf eines Rezeptionsvorgangs sehr vielfältige soziale Bedürfnisse und Motive zum Tragen. Es lässt sich folgern, dass es im Mediengebrauch immer auch darum geht, soziale Beziehungen in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen.

Wenn es dem Rezipienten mehr um die Inhalte als um die sozialen Rahmenbedingungen geht, gewinnt die zweite Rezeptionsphase besondere Bedeutung: Rezipienten gehen entsprechend ihren handlungsleitenden Themen thematisch voreingenommen in die Rezeptionssituation. Sie wählen zunächst aus einem breiten Angebot ein bestimmtes Medium bzw. einen bestimmten Medieninhalt aus. Selbst wenn ein Medienkonsument den Fernseher einschaltet und sich scheinbar gedankenverloren dem »programflow« mit der Fernbedienung in der Hand zu überlassen scheint, verfügt er doch normalerweise über wirksame Strategien der Aufmerksamkeitssteuerung – und sei es, dass er dem Reiz des Spektakels folgt und bei spektakulären Bildern »hängen bleibt«. Untersuchungen zeigen, dass Rezipienten tendenziell überwiegend die Themenwahl nach überdauernden thematischen Vorlieben vornehmen, es besteht aber auch die Möglichkeit, sich auf neue Inhalte assimilativ (d.h., Inhalte werden verändert, um sie der eigenen Weltsicht anzupassen) oder akkomodativ (d.h., Inhalte werden in die eigene Weltsicht integriert und verändern diese partiell) einzulassen.

Der Auswahl eines Medienangebots folgt die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Medieninhalt auf der Basis thematisch voreingenommenen Sinnverstehens sowie unter Anwendung von Strategien der Rezeptionssteuerung: Der Rezeptionseinstieg kann direkt oder mit Unterbrechungen erfolgen. Weiterhin kann zwischen verschiedenen illusiven (hier nicht als Täuschung, sondern als ergriffener Mitvollzug einer fiktiven Welt gemeint) respektive inlusiven (distanziertes Miterleben) Rezeptionsmodi (Rapp 1973) gewählt werden (TV-Programme können kommentiert oder passiv-selbstversunken angeschaut werden etc.). Darüber hinaus sind verschiedene Formen der Distanzierung zum Mediengeschehen (vorübergehende Distanzierung, Parallelhandlungen, vorübergehende Unaufmerksamkeit etc.) und der Beendigung des Medienkonsums (vorzeitiger Rezeptionsabbruch etc.) praktizierbar, gefolgt von der Frage, wie sich das Anschlussgeschehen gestaltet (erneuter Medienkonsum, andersartige Beschäftigung etc.).

Auf einer abstrakteren Ebene lassen sich spezifische Rezeptionshaltungen und -stile unterscheiden: Man kann sich dem Medienangebot – wie erwähnt – emotional gleichsam überlassen, womit es zu einer Form von unmittelbarem Miterleben kommt, das ganz im Zeichen von Illusion und Identifikation steht (aber auch hier lassen sich im Übrigen die soeben beschriebenen Distanzierungsstrategien zur Nähe-Distanz-Regelung einsetzen), oder der Rezipient setzt sich während des Sehens oder Hörens immer wieder reflexiv mit dem Medienangebot auseinander (etwa wenn er mit den Medienakteuren, laut oder leise, zu diskutieren beginnt), oder ein Rezipient kommentiert das Gesehene in den sozialen Medien oder auch mit anwesenden Ko-Rezipienten, deren Anwesenheit ihm wichtig ist (z. B. die Freundinnenclique, die zusammen eine Soap anschaut, resp. die Freundesclique, die zusammen Horrorfilme goutiert) – hier können sich individuelle Rezeptionsstile herausbilden wie z. B. der »coole Analytiker«, der die Mörder immer findet, oder der »hartgesottene Profi«, der auch die schlimmsten in einem Horrorfilm gezeigten Grausamkeiten ohne Wimpernzucken erträgt.

Ein Blick in die Handlungspraxis gemeinsamen Fernsehens zeigt, dass die Zuschauer dabei viel sprechen, wobei die Kommunikation meist knapp und komprimiert erfolgt, was dazu geführt hat, sie als »Häppchenkommunikation« zu bezeichnen. Diese »empraktische«, d. h. handlungsbegleitende Ko-Kommunikation, erfüllt situativ und ökonomisch angemessen spezifische Funktionen (z.B. Kooperationsorganisation, Verstehen und Deuten, Bewerten, sich Vergnügen [Lästern]), ohne dass dabei das Fernsehgeschehen verpasst würde) (Baldauf/Klemm 1997). Dies gilt übrigens auch für die Kommentierungen von Fernsehangeboten in den sozialen Medien (Michel 2015).

Das Ende eines Filmanschauens oder einer Lektüre darf nicht mit dem Ende des Rezeptionsprozesses gleichgesetzt werden. Es schließt sich in der Nachphase eine Aneignungsphase an, die für die Identitätsbewahrung von besonderer Bedeutung ist. In dieser Phase wird das Rezipierte an die eigene Lebenssituation assimiliert, oder der Rezipient akkomodiert seine Sicht der Dinge an die dargebotene Perspektive des Medien-anderen (parasoziale Interaktion mit einem medialen anderen i.S. des generalized other nach George H. Mead). Die Vermittlungstätigkeit zwischen Subjekt und kulturellem Angebot ist zeitlich nicht begrenzt: Häufig geht das Gespräch mit sich selbst (intrakommunikative Medienverarbeitung) in ein Gespräch mit anderen (interkommunikative Medienverarbeitung) über. Dies kann während der Rezeption (s. o.), unmittelbar nach ihr oder oft auch zeitversetzt erfolgen (am nächsten Morgen am Arbeitsplatz oder beim nächsten Treffen im Freundeskreis). Solche Re-Thematisierungen im Rahmen von Folgekommunikationen können aspekthaft vorgenommen werden (kurze Medienverweise) oder großflächig erfolgen (umfangreiche Medienrekonstruktionen), implizit (Medienspuren) oder explizit. Für viele Serienfans gehört das »Gespräch danach«, oder auch das Twittern zum Tatort, konstitutiv zum Anschauen der jeweiligen Sendung dazu, sie rezipieren die aktuelle TV-Folge also schon auf das spätere Gespräch oder das begleitende Twittern hin. Dann ist es bereits zu einer Verknüpfung von eigentlicher Rezeptionssituation und späterer Kommunikationssituation mit relevanten anderen gekommen, auf der Basis dessen, dass man etwas mit ihnen teilen möchte, sich also im Gespräch mit einem Gegenüber sozial verorten will. Die Förderung resp. Beeinträchtigung dieser Vermittlungsaktivität hängt insbesondere von der Art und Weise ab, wie gewohnte Darstellungs- und Denkschablonen bei der ästhetischen Gestaltung des Medienthemas transzendiert werden und eine Auseinandersetzung mit der Sachwelt, der sozialen Umwelt sowie mit sich selbst und seiner sozialen Positionierung monologisch oder dialogisch angeregt wird.

Die Medienkommunikation eröffnet wichtige Handlungsoptionen, die in natürlichen Face-to-Face-Situationen nicht gegeben sind: So entlastet z.B. die Fernsehrezeptionssituation von Handlungsverpflichtungen, das heißt, man kann fiktiv am Handlungsgeschehen teilnehmen, ohne dass man in dieses real verstrickt wäre und spezifischen Handlungsverpflichtungen nachkommen müsste. Die Rezeption von Medienangeboten ermöglicht somit eine besondere Art von identitätsrelevantem »Probehandeln«: Der Rezipient kann sich in seinem Prozess der Identitätsaushandlung aus der Sicht konkreter Bildschirmakteure resp. intersubjektiver Perspektive sehen und erkennen (Spiegelung; Looking-glass self [Charles H. Cooley]). Insofern die dargebotenen Identitätsangebote über die Routinen des Alltags hinausweisen, erfährt der Rezipient die Chance einer Horizonterweiterung. Medienerfahrungen sind also entsprechend von anderer Qualität als die in Face-to-Face-Beziehungen gewonnenen. Im Alltag werden diese beiden Formen von Erfahrung in spezifischer Weise verknüpft: Was im »stillen Kämmerlein« aus einem spezifischen Grund angeschaut wird (z. B. Soaps und das Vergnügen an Klatsch-Kommunikation), kann in der interpersonalen Folgekommunikation ganz anders begründet werden (z. B. Rechtfertigung der Soap-Rezeption durch berufliche Gründe im Kontext späterer Gespräche mit Kollegen). Damit wird ersichtlich, dass die Rezeption von Medienangeboten als ein längerer Prozess, als eine »Kaskade von Rezeptionsakten« (Krotz, 1997, S. 82) aufzufassen ist, die über die Rezeption einer einzelnen TV-Sendung weit hinausgehen, in dem mediale und interpersonale Kommunikationen sowie intra- und interkommunikative Prozesse in ein komplexes Verschränkungsverhältnis eintreten.

Für die beschriebenen Rezeptionsphänomene ist die Annahme der Aktivität und Autonomie des Rezipienten eine notwendige Voraussetzung. Nur wenn davon ausgegangen werden kann, dass Rezipienten über ihre Medienauswahl und den Verlauf der Auseinandersetzung mit einem Medienangebot wirklich selbst bestimmen können, macht es Sinn, von der Rezeption als einem komplexen und vor allem auch selbstverantworteten Geschehen zu sprechen. Die Frage ist jedoch, ob diese Annahme unter den Bedingungen des gegenwärtigen Mediensystems überhaupt zu halten ist. Insbesondere die Anhänger der so genannten Cultivationhypothesis (Gerbner/Gross 1976) gehen davon aus, dass das Angebotsspektrum an Medienthemen in unserer heutigen Mediengesellschaft aufgrund von politisch-wirtschaftlichen Interessen eine spezifische Engführung und Gleichschaltung erfährt: Unpopuläre Informationen geraten in den Hintergrund, während modische Themen doppelt und dreifach in den Medien verhandelt werden (»Schweigespirale«). Entsprechend wird die These formuliert, die inhaltliche Konsonanz der boulevardisierten Medienkommunikation übe eine nivellierende Wirkung auf die Rezipienten aus. Die Autonomie des Zuschauers finde demnach seine Grenzen an dem vereinheitlichten, entpolitisierten Themenangebot der Sender (»mainstreaming«). Der Weg wäre dann nicht mehr weit, bis der Medienkonsument im »kommunikativen Patt des Orientierungszirkels der Quotenmedien« (Schulze 1995) selbst aufgehe. Die Gegenposition wird z.B. durch dem Cultural-Studies-Ansatz verpflichtete Autoren (Stuart Hall, John Fiske) vertreten, die auf Seiten der Rezipienten die Rezeptionselemente von Eigensinn und Widerstand betonen: Medienprodukte, die sich als offene Texte (Umberto Eco) verstehen lassen, bieten einen großen Spielraum für Interpretationen, die einen souveränen und tendenziell bereichernden Umgang geradezu nahelegen. Auch das Rezeptionsvergnügen wird hier anders gesehen: Das Vergnügen der Zuschauer oder Hörer (»die Leute«) an der Rezeption von Unterhaltung kann geradezu als eine Art von Politik des Alltags gegen den Machtapparat von Medien, Wirtschaft und Politik (»der Machtblock«) angesehen werden. Wie so häufig scheint die Wahrheit in der Mitte zu liegen: Die Autonomie des Zuschauers ist eine Freiheit in Grenzen. Das Publikum wird in beiden Perspektiven zumindest prinzipiell doch als – mehr oder weniger stark ausgeprägt – aktiv, widerständig und autonom angesehen. Der minimale Widerstand besteht darin, bestimmten Themen und Programmen ausweichen zu können, er liegt also letztlich (immerhin) in der Nein-Stellungnahme zum ungeliebten Medienangebot (ausschalten). Er geht als maximale Variante darüber hinaus, wenn Medienthemen kritisch reflektiert bzw. selbst Medienangebote hergestellt werden (im Rahmen z. B. verschiedener Online-Video-Portale, Blogs und Webseiten oder auch der Angebote der »Offenen Kanäle«). Individuelle und gesellschaftliche Konstruktionen wirken immer in einem Prozess der Ko-Konstruktion zusammen, wenn Menschen sich im Spannungsfeld von »medialer Überwältigung und kritischer Rezeption« (Sutter 1995) mit Medienangeboten beschäftigen und auseinandersetzen.

Qualitative Medienforschung

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