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Agency im Medienerleben

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Das Beispiel der Computerspiele verdeutlicht, dass unterschiedliche Medien und Medientexte unterschiedliche Formen der Agency ermöglichen. Die verschiedenen Formen des Handelns lassen sich dabei als Taktiken beschreiben, die situational bedingt sind. In der Medienkommunikation bilden, neben der allgemeinen umgebenden sozialen Situation, die jeweilige Textualität, Medialität und Affordance-Struktur den situativen Rahmen und stellen einen Aufforderungscharakter an die Rezeption dar. So muss ein Computerspiel gespielt werden, der Film im Kino hingegen fordert in der Regel zu keiner haptischen Interaktion auf. Wird eine Handlungstaktik im Akt der Rezeption dominant, wird Agency für die Nutzerinnen und Nutzer ästhetisch erlebbar.

Diese spezifischen Taktiken der Medien-Agency können als Interaktivität, Partizipation, passive Kontrolle, allgemeine Medienkompetenz oder als diverse Fan-Aktivitäten auftreten – und dies auf individueller, kreativer und kollektiver Ebene. Kreative Agency kann sich beispielsweise als de Certeaus kreative und imaginative Textarbeit äußern oder lässt sich im Produzieren von Fan Art erfahren und ist dem eigentlichen Medienrezeptionsprozess damit oft zeitlich nachgelagert. Kollektive Agency ergibt sich in kollaborativen Medienumgebungen, wie es insbesondere soziale Medienkontexte erlauben, aber auch die spezifische Erfahrung des gemeinsamen Fan-Seins und der gemeinsam erlebten Fan-Aktivitäten.

Im Rezeptionsprozess unmittelbar erfahrbar sind die Taktiken der individuellen Agency. Bei narrativen Formaten wird Agency als Medienerleben beispielsweise dann dominant, wenn die Narration im Sinn der Hypothesenbildung und -abgleichung Erfolg hat. Ein stark konventionalisierter Genrefilm wie Selbst ist die Braut (Anne Fletcher, 2009) legt eine deutliche Übereinstimmung von Top-down- und Bottom-up-Prozessen in der Hypothesenbildung nahe und ermöglicht seinen Zuschauern so ein hohes Maß an passiver Kontrolle. Diese Taktiken können als interpretative Agency bzw. als Mastering Narration (Eichner 2014, S. 164) bezeichnet werden. Kognitive Aktivitäten und Interpretationsleistungen der Rezipientinnen sind im Medienrezeptionsprozess als »audience activities« zwar prinzipiell vorhanden, doch geht es im Erleben von Agency um jene spezifische Text-Rezipienten-Konstellation, die das kognitive Spiel als strukturierendes Textprinzip und Aufforderungs-Struktur in den Vordergrund stellt.

Eine andere Form der Agency-Taktik besteht in der Möglichkeit, eine bedeutsame Wahl zu treffen. Erlaubt ein Showformat die Benennung eines Kandidaten via Televoting oder wird eine subjektiv einflussreiche Entscheidung in einem Computerspiel getroffen, lässt sich dies als Mastering Choice erfassen (ebd., S. 167). Eine Wahl zu haben, setzt dabei immer eine Form von Kontingenz voraus. Anthony Giddens (1984) bezeichnet dies als den Zustand des »could have acted differently«, welchen er als einen Grundpfeiler menschlicher Handlungsbefähigung und Agency betrachtet.

Auch die Orientierung im Raum ist für das Rezeptionserleben audiovisueller Medien wesentlich. In grafischen Computerspielen wird am deutlichsten, wie erfolgreiches räumliches Navigieren zum dominanten Modus werden kann. Murray (1997) sieht die »spatial navigation« (ebd., S. 129) als eine Form von Agency-Erfahrung, die typisch für digitale Umgebungen und prinzipiell positiv besetzt ist. Auch narrative Medien, wie beispielsweise der Film Lola rennt (Tom Tykwer, 1998), »triggern« mit einem spezifischen räumlich-zeitlichen Organisationsprinzip Taktiken der Agency, die als Mastering Space zusammengefasst werden können (Eichner 2014, S. 171).

Die Taktik, in der Agency im Medienhandeln offensichtlich wird, ist die interaktive Nutzung von Medien mittels eines Interfaces, die Mastering Action (ebd., S. 169). In diesem Zusammenhang wurde Agency in den Game Studies als zentrale Form des Medienerlebens bereits oben beschrieben. Die erfahrene Selbstwirksamkeit ist hier besonders spürbar, weil sich das eigene Medienhandeln, also kognitive und verkörperlichte Handlungen, unmittelbar auf dem Bildschirm manifestiert. In zunehmend konvergenten Medienumgebungen ist diese Form der Medien-Agency jedoch nicht auf Computerspiele beschränkt. Erstens, da Medieninhalte auch trans- und crossmedial auftreten können, und zweitens, weil auch lineare Fernsehformate Strategien bereithalten, die verkörperlichte Handlungen (z. B. das Benutzen eines Smartphones zum Televoting) auf dem Bildschirm visualisieren können (wenn z. B. in einer Publikumsabstimmung einer Talentshow der Balken zugunsten des favorisierten Kandidaten ansteigt).

Qualitative Medienforschung

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