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Arten von Handlungstheorien und ihre Relevanz für Forschungsverfahren

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Das Feld der Handlungstheorien ist nur schwer einheitlich beschreibbar. Nach Lüdtke kann man wahrnehmungs- und motivationspsychologische, lerntheoretische, interaktionistische, entscheidungs- und rollentheoretische Handlungstheorien voneinander unterscheiden (Lüdtke 1978, S. 269). Felsch und Küpper (1998) dagegen unterteilen Handlungstheorien danach, ob sie rational oder normativ sind: Zu den Ersteren lässt sich zum Beispiel das Konzept des Homo oeconomicus rechnen, das auf Austauschtheorien und Nutzenoptimierung und damit auf Theorien beruht, die am Handeln als Wählen zwischen Alternativen ansetzen. Ein Beispiel für normative Handlungstheorien liegt mit dem Ansatz des Homo sociologicus und damit beispielsweise mit dem Werk des Strukturfunktionalisten Talcott Parsons vor, der Gesellschaft primär als durch normenbezogenes Handeln konstituiert versteht.

Es gibt also unterschiedliche Konzeptionen von Handeln. Im Hinblick auf das Verhältnis von Handlungstheorien und Forschungsverfahren lassen sich zwei Grundpositionen unterscheiden: Entweder wird Handeln so definiert, dass es von einem unabhängigen Beobachter von außen gültig beschrieben werden kann. Oder es wird davon ausgegangen, dass Handeln allein durch Beobachtung von außen nicht gültig beschrieben werden kann, weil dabei innere Prozesse des Menschen von zentraler Bedeutung sind, die ohne seine Mithilfe nicht verstanden werden können. Im ersten Fall sprechen wir von einer quantitativ konnotierten Definition, im zweiten von einer qualitativ konnotierten. Diese Unterscheidung hängt eng mit der wissenschaftsgeschichtlich wichtigen Unterscheidung zwischen Verhalten und Handeln zusammen, ist aber damit nicht identisch, sie ist vielmehr methodologisch ausgerichtet.

Zum quantitativ konnotierten Typus von Handeln gehören offensichtlich Ansätze von Handeln, die den Menschen als eine Art schwarze Kiste begreifen, die auf äußere Reize unter Rückgriff auf allenfalls mittelbar erschließbare innere Mechanismen reagiert. Die verhaltenstheoretische Soziologie, die zum Beispiel Kommunikation in Gruppen primär nach objektiv feststellbaren Kontakthäufigkeiten untersucht und daraus auf Gruppenstrukturen schließt, ist hier als Beispiel zu nennen. Dennis McQuail (1994) unterscheidet im Feld der Kommunikationswissenschaft vier paradigmatische Arten, wie Kommunikation verstanden wird. Zwei davon fallen unter diesen ersten Typus:

• Kommunikatives Handeln kann als Zuwendung von Aufmerksamkeit des Rezipienten zu medialen Reizen verstanden werden, eine Vorstellung, wie sie die Werbeforschung meist benutzt, weil sie ja die Erregung von Aufmerksamkeit beabsichtigt.

• Kommunikation kann als Transport von Informationen begriffen werden, der zwischen Menschen oder zwischen Mensch und Medium stattfindet.

In beiden Ansätzen sind weder die antizipierenden Aktivitäten bei der Herstellung eines Kommunikats noch das, was als »Verstehen« von Kommunikation bezeichnet wird, Teil des eigentlichen kommunikativen Handelns – was mindestens im Falle zwischenmenschlicher Kommunikation, also der Urform von jeder Kommunikation, eine ausgesprochen reduktionistische Annahme ist. Wenn man diese Position weiter treibt, so wird dann der Verstehensprozess als unerforschbar ignoriert und nach extern feststellbaren Wirkungen gesucht. Auch Theorien, die Handeln auf Wählen zwischen vorgegebenen Alternativen oder Kommunikation auf Selektionsprozesse beschränken, sind diesem Typus zuzurechnen (z. B. Jäckel 1996).

Derartige handlungstheoretische Ansätze beziehen sich im Allgemeinen auf eine quantitative, als objektiviert verstandene Messmethode, wenn es um empirische Forschung geht. Denn Messen setzt eine vom Messinstrument unabhängige und zumindest für den Messvorgang stabile, intersubjektiv feststellbare Wirklichkeit voraus, und genau darauf bezogen definieren solche theoretischen Ansätze Handeln und Kommunizieren.

Demgegenüber geht der Typus der qualitativ konnotierten Handlungstheorien von auf innere Prozesse bezogenen Konzepten wie Sinn und Bedeutung aus, über die Handeln, Erleben, Denken und Kommunizieren erst zustande kommen. Eine wesentliche und immer wieder zitierte Version dieses Verständnisses findet sich in den Arbeiten von Max Weber, einem der so genannten »Klassiker der Soziologie«. Für Weber war Soziologie eine Wissenschaft, »welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. ›Handeln‹ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei, ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. ›Soziales‹ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinen von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und darin in seinem Ablauf orientiert ist« (Weber 1978, S. 9).

Hier wird Handeln als Grundkategorie der Sozialwissenschaft entworfen, das auf Sinn und Bedeutung beruht, die vom Handelnden konstituiert werden. Die Benutzung einer Waschmaschine ist offensichtlich ein Fall sinnvollen Handelns, die Teilnahme an einem Fußballspiel ebenso ein Fall sozialen Handelns wie das Sprechen mit anderen oder die Nutzung von Kommunikationsmedien.

Sinnbezogenes Handeln muss, um in Webers Sprache zu bleiben, deutend verstanden werden, wenn es um empirische Untersuchungen geht. Das geht nicht durch ein als objektiv verstandenes Beobachten, sondern bedarf offener, kommunikativ angelegter Forschungsstrategien. Ein derartiges Konzept von Handeln auf der Basis von subjektiver Sinnkonstruktion unterstellen die beiden anderen, von McQuail (1994) beschriebenen Paradigmen der Kommunikationswissenschaft:

• Das »rezeptionsbezogene Paradigma«: Danach wird Kommunizieren primär durch das Verstehen definiert, ohne das von (geglückter) Kommunikation nicht die Rede sein kann. Verstehen heißt dabei, anschaulich gesprochen, dass der Rezipient die Medieninhalte mit seinen eigenen Vorstellungen und Gedanken zusammenbringt und sich so das Kommunikat aneignet.

• Das »rituelle Paradigma«: Danach wird Kommunikation vor allem als Basis von Gemeinschaft verstanden – dann steht im Vordergrund, dass die Menschen durch ihr Kommunizieren Teil sozialer Gemeinschaft werden. Plakativ ausgedrückt, ist es in diesem Paradigma wichtig, dass man Zeitung liest, nicht, was man darin genau liest.

In diesen Fällen muss wissenschaftliche Empirie Kommunikation in ihrem Ablauf rekonstruieren und dabei die Konstitution von Sinn und Bedeutung durch die handelnden Subjekte im Blick haben. Dies ist nur mit qualitativen Erhebungsund Auswertungsmethoden möglich, die grundsätzlich von einer gemeinsamen Wirklichkeit von Forscher und Beforschten ausgeht, durch die Forschung nicht behindert oder verfälscht, sondern erst möglich wird. Damit wird bei diesen beiden Paradigmen grundsätzlich ein Menschenbild unterstellt, das sich von dem unterscheidet, das zu den beiden ersteren Paradigmen gehört: Der Mensch ist Bewohner einer kommunikativ konstituierten symbolischen Welt, die über Sprache und andere Symbolsysteme sozial und kulturell vermittelt hergestellt wird. Im Gegensatz zum pawlowschen Hund, dessen Speichelproduktion durch das Klingeln unmittelbar und automatisch angeregt wird, handeln Menschen im Normalfall nicht automatisch oder rein reaktiv im Hinblick auf beobachtbares Geschehen. Sie handeln vielmehr aufgrund der Bedeutungen, die ein Objekt, ein Geschehen, ein Reiz oder allgemein, ein Zeichen für sie hat. Objekte, Geschehen, Reize sind Zeichen, die für etwas stehen, und dieses individuell bedeutsame, sozial konstituierte Etwas ist relevant für die Art, wie Menschen mit etwas umgehen.

Die Möglichkeit und die Wirklichkeit des Hantierens mit Zeichen und Symbolen auf der Basis von kommunikativ konstituierten Bedeutungen und insbesondere die Sprache trennen im Übrigen den Menschen auf charakteristische Weise vom Tier. Denn der Mensch ist Mensch nur dadurch, dass er bzw. sie über Kommunikation, symbolisch vermittelte Interaktion und über Sprache verfügt, und zwar in einer Elaboriertheit, die kein Tier beherrscht.

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