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Theoretisch-methodologische Einordnung

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Habitus und Lebensstil in einem Beitrag für das Handbuch Qualitative Medienforschung gemeinsam zu behandeln, gleicht auf den ersten Blick der Quadratur des Kreises. Beide Konzepte zielen zwar auf das Individuum, und es gibt einige Autoren, die Habitus mit »Stil« übersetzen und auch den Begriff »Lebensstil« verwenden, wenn sie mit Bourdieu das Handeln von Personen empirisch untersuchen (vgl. Beck u.a. 2013, S. 239), eigentlich aber handelt es sich um zwei getrennte Forschungstraditionen, die das Verhältnis von Akteur und Struktur unterschiedlich konzeptualisieren und in der qualitativen Forschung auch nicht gleich stark verankert sind.

Wer sich mit Lebensstilen beschäftigt, streicht normalerweise die Rolle des Individuums gegenüber den gesellschaftlichen Bedingungen heraus und nimmt an, dass wir in unserem Handeln mehr oder weniger frei gewählten Überzeugungen folgen. Dieses Konzept findet sich vor allem in der Mediennutzungsforschung und wird häufig mit quantifizierenden und elaborierten datenanalytischen Verfahren verknüpft. Der Begriff hat seine Wurzeln zwar in der klassischen Sozialwissenschaft (Thorstein Veblen, Georg Simmel, Max Weber), wird heute in der Marktforschung aber häufig einfach als Verhaltensmuster im Konsum- und Freizeitbereich definiert und dabei manchmal auch in »soziales Milieu« übersetzt. Einem solchen Milieu werden die Menschen nach ihren Aktivitäten, Werten oder Einstellungen zugeordnet.

Auch der Begriff »Habitus« hat eine lange ideengeschichtliche Tradition, wird aber heute vor allem mit der Soziologie Pierre Bourdieus verbunden (vgl. Wiedemann 2014, S. 88). Habitus steht dort für den Versuch, den Dualismus von Handeln und Struktur zu überwinden (vgl. Park 2014, S. 3), und wird in der Literatur deshalb auch als Mittelweg »zwischen Subjektivismus und Objektivismus« beschrieben (Schwingel 2005, S. 73 f.). Von Anhängern des Lebensstil-Konzepts ist Bourdieu vorgeworfen worden, den Menschen zum Gefangenen der gesellschaftlichen Strukturen und vor allem seiner sozialen Position zu machen. Diese Vorwürfe sind richtig und falsch zugleich. Wenn man annimmt, dass soziale Unterschiede nahezu unbedeutend geworden sind und dass deshalb heute jeder Mensch relativ frei von den Vorgaben einer sozialen Position und ohne Not im »Raum der Möglichkeiten« seinen eigenen Lebensentwurf wählt, dann kann man mit Bourdieu nicht viel anfangen (vgl. Schulze 1992). Der Habitus ist bei ihm nicht angeboren, sondern speist sich aus den Erfahrungen, die ein Mensch in seinem Leben macht. Diese (individuellen und kollektiven) Erfahrungen wiederum hängen in erster Linie von der sozialen Position ab und führen zu »Systemen dauerhafter Dispositionen«, die als »strukturierende Strukturen« wirken (Bourdieu 1976, S. 165), als »Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata« (Bourdieu 1987a, S. 101). Übersetzt: Der Habitus legt fest, was möglich ist – wie ein Akteur die Welt wahrnimmt, wie er andere bewertet, welchen Geschmack er hat, wie er denkt und handelt, wie er seinen Körper präsentiert und wie er sich bewegt (Bourdieu 1976, S. 165–167). Bourdieu selbst hat zwar jede Festlegung auf ein bestimmtes methodologisches Lager abgelehnt und z. B. auch mit Statistiken gearbeitet (vgl. Park 2014), gerade das Habitus-Konzept aber, das versucht, individuelles Handeln mithilfe der Lebensgeschichte zu erklären, legt einen qualitativen Zugang nahe.

Qualitative Medienforschung

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