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Unterschiedliche qualitativ konnotierte handlungstheoretische Ansätze

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Den im Folgenden genauer dargestellten handlungstheoretischen Ansätzen liegt nun die Annahme zugrunde, dass Handeln auf der Basis von Sinn und Bedeutung zustande kommt. Insbesondere finden deshalb beim (kommunikativen) Handeln stets auch innere Prozesse statt, ohne die man gar nicht von Kommunikation sprechen kann: Kommunikate müssen etwa von ihren Konstrukteuren im Hinblick auf die anderen Beteiligten antizipierend entworfen werden, und sie müssen von den Rezipienten verstanden werden. Diese Aktivitäten sind deshalb Teil von Kommunikation. Sie können von einem Außenbeobachter nicht »objektiv« beschrieben oder gar verstanden werden. Deshalb müssen derartige Handlungstheorien mit qualitativen Verfahren, die von einer kommunikativ konstruierten Wirklichkeit ausgehen, empirisch untersucht werden.

Fünf unterschiedliche Typen solcher handlungstheoretischer Ansätze sollen kurz skizziert werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich diese Ansätze nicht immer scharf voneinander unterscheiden.

1. Symbolischer Interaktionismus

Der durch die Schriften George Herbert Meads (1969, 1973) begründete Symbolische Interaktionismus geht davon aus, dass menschliches Handeln immer auch symbolisches Handeln ist, das im Rahmen einer sozial begründeten und individuell interpretierten Wirklichkeit stattfindet. In Anlehnung an Herbert Blumer, der den oft gescholtenen Begriff des Symbolischen Interaktionismus erfunden hat, kann man diesen sozialpsychologisch begründeten Ansatz auf drei handlungstheoretisch formulierte Grundaussagen zurückführen: Menschen handeln Dingen und Menschen gegenüber auf der Grundlage von Bedeutungen, die diese Dinge bzw. Menschen für sie haben; diese Bedeutungen sind in den Interaktionen der Menschen untereinander für die einzelnen entstanden; und sie werden von den Menschen im Rahmen ihrer Alltags-praktiken gehandhabt und dabei rekonstruiert und weiter entwickelt (Blumer 1967).

Umgekehrt – und darin liegt eine Besonderheit dieses Ansatzes – zeigt Mead, wie der Mensch durch die soziale Gemeinschaft, in der er entsteht, aufwächst und lebt, Kommunikationskompetenz erwirbt und im Zusammenhang damit zu dem Menschen seiner Zeit und Kultur wird, der er ist. Bewusstsein und Selbstbewusstsein, Identität und innere Struktur, Kompetenz und Erfahrung sind demnach durch soziales und kommunikatives, aufeinander bezogenes Handeln entstanden (vgl. auch Burkitt 1991, Burkart 1995, die sich beide auch mit Bezug derartiger Überlegungen zu anderen Theorien beschäftigen).

Wie komplex die damit verbundenen Prozesse sind, zeigen etwa die empirischen Studien von Erving Goffman (1980, 1997), der sich diesem Ansatz zurechnen lässt. Auch das Konzept der parasozialen Interaktion und der parasozialen Beziehungen, das auf zwei Arbeiten von Horton/Wohl (1956) sowie Horton/Strauss (1957) gründet, ist in diesem Rahmen entstanden (und von anderen theoretischen Ansätzen adaptiert worden). Und mit der so genannten Methode der Grounded Theory hat Anselm Strauss (zusammen mit dem nicht symbolischinteraktionistisch orientierten Barney Glaser) ein allgemeines Verfahren der Konstruktion von Theorien entwickelt (Glaser/Strauss 1967) – »Grounded Theory«, weil man damit systematisch und nachvollziehbar in empirischen Daten begründete Theorien gewinnt (die einer weiteren, etwa quantitativen Prüfung nicht mehr bedürfen, vgl. auch Kleining 1995; → Lampert, S. 596 ff.).

2. Phänomenologische Ansätze

Von ihrer klassischen sozialwissenschaftlichen Fundierung her sind sodann hermeneutisch und phänomenologisch begründete Handlungstheorien zu nennen. Phänomenologische Ansätze werden beispielsweise von Harold Garfinkel (1973), Alfred Schütz (1971) sowie Peter L. Berger und Thomas Luckmann (1980) vertreten. Sie gehen davon aus, dass die Menschen ihren Alltag als kreative Methodologen konstituieren und sich den subjektiven Sinn ihres Handelns wechselseitig anzeigen. Dies tun sie in Bezug auf eine Art sozialer Grammatik, an der sie ihr Handeln und ihr Kommunizieren orientieren. Dabei ist diese Grammatik allein natürlich nicht für eine Beschreibung konkreten Handelns ausreichend – wichtig sind zudem die Kontexte, in denen Handeln stattfindet. Auf diese Handlungstheorie bezogene empirische Verfahren sind die Ethnomethodologie und die Konversationsanalyse, die einerseits diese Handlungsgrammatik herausarbeiten, andererseits die Analyse kommunikativ konstituierter Lebenswelten möglich machen. Dabei werden die feststellbaren Phänomene als eine Art Indikatoren begriffen, von denen auf diese sozialen Hintergründe geschlossen werden kann.

Hermeneutische Ansätze (z. B. Hitzler/Honer 1997) gehen demgegenüber davon aus, dass es darauf ankommt, den subjektiven, mit Handlung bzw. Kommunikation verbundenen sozialen Sinn herauszuarbeiten, um soziales Geschehen wissenschaftlich zu erforschen (→ Reichertz, S. 66 ff., → Hagedorn, S. 580 ff.). Sie konzentrieren sich deshalb mehr auf das Problem des Verstehens dieses subjektiven, aber objektiv feststellbaren Sinns, der sich im Handeln und Kommunizieren ausdrückt. Dieser Sinn kann in einem beschreibbaren Verfahren mehr oder weniger intersubjektiv unabhängig festgestellt werden, wobei unterschiedliche Vorgehensweisen zum Einsatz kommen können (Oevermann 1983; Reichertz 1997). Derartige Untersuchungen können allerdings ausgesprochen aufwändig sein, etwa wenn ein Verfahren so angelegt ist, dass zunächst alle möglichen subjektiven Sinndeutungen ermittelt und dann durch Textanalysen die nicht zutreffenden eliminiert werden.

3. Cultural Studies

Als weiterer handlungstheoretischer Ansatz dieses Typs müssen die Cultural Studies Erwähnung finden (→ Winter, S. 86 ff.). Sie werden auf der Basis ihres semiotischen Grundverständnisses der sozialen und kulturellen Welt zu den Handlungstheorien gerechnet, die für die Kommunikationswissenschaft relevant sind. Zwar zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie theoretisch auch auf unterschiedliche Theorien ganz anderer Art Bezug nehmen: insbesondere auf einen modifizierten Marxismus, der am Konzept der Hegemonie von Gramsci ansetzt, auf eine semiotisch begründete Psychoanalyse in Anlehnung an Lacan sowie auf Foucault und den (Post-) Strukturalismus (vgl. z. B. Storey 1998). Jedoch liegt in der darin angelegten Verweigerung einer monolithisch abgeschlossenen Theorie die These verborgen, dass alles Soziale und Kulturelle konkret ist, was sich besonders in der Rezeptionsvorstellung des »Texts are made by the readers« ausdrückt und erkenntlich macht, dass Realität durch das konkrete Individuum in der Gesellschaft hergestellt wird. Im Hinblick auf die empirische Forschung im Rahmen der Cultural Studies werden zwar ganz unterschiedliche Verfahren verwendet, um multimethodisch die Dinge von verschiedenen Seiten her zu beleuchten; dazu zählen auch quantitative Verfahren. Doch kann man sagen, dass ethnographische Forschungsdesigns zusammen mit textanalysierenden Verfahren wie der Diskursanalyse zum Kernbestand der Forschungsmethoden der Cultural Studies gehören und andere Verfahren eine bloß ergänzende Rolle spielen.

4. Strukturelle Anthropologie

Im Anschluss daran ist auf einen mittelbar handlungstheoretischen Ansatz zu verweisen, der durch seine Orientierung an ethnographischen Vorgehensweisen als eine Art strukturale Anthropologie menschlicher Kommunikation verstanden werden kann – dieser Ansatz erschließt sich als eigenständig nur mittelbar, indem man beachtet, wie hier Handeln und Kommunizieren untersucht werden. Der Ethnograph lässt sich auf die Welt ein, insofern er einerseits alltäglich an ihr Teil hat, in ihr handelt und damit den Anspruch aufstellt, Kultur und Gesellschaft durch sein praktisches Handeln mitzugestalten, weil er sich dadurch die Kultur aneignet (Hirschauer/Amann 1997). Andererseits versucht er, Gastkultur und Gastgesellschaft systematisch zu durchdringen und in ihren Sinnzusammenhängen rekonstruktiv zu beschreiben, also die eigene Praxis zu reflektieren. Ethnographie beschäftigt sich dementsprechend mit einer »Vielfalt komplexer, oft übereinander gelagerter oder ineinander verwobener Vorstellungsstrukturen, die fremdartig und zugleich ungeordnet und verborgen sind und die er zunächst einmal irgendwie fassen muss. […] Ethnographie betreiben gleicht dem Versuch, ein Manuskript zu lesen (im Sinne von ›eine Lesart entwickeln‹) […]« (Geertz 1991, S. 15).

Sie ist auf Beobachtung beruhende Interpretation praktischen Geschehens, sodass »dichte Beschreibungen« von Kultur und Gesellschaft entstehen (→ Eichner, S. 112 ff., → Mikos, S. 362 ff., → Winter, S. 588 ff.). Dabei wird »dicht« als etwas verstanden, das im Gegensatz zu der abstrakten Blässe mathematischer oder funktionaler Zusammenhänge steht, mit denen sich quantitative Empirie häufig begnügt. Die basale Unterstellung der Ethnographie ist damit die fundamentale Bedeutsamkeit des alltagspraktischen Handelns für Kultur und Gesellschaft.

5. Weitere handlungstheoretische Ansätze

Schließlich ist auf weitere handlungstheoretische Ansätze zu verweisen, die in der Regel qualitative Forschungsmethoden verlangen: Die Psychoanalyse hat als naturwissenschaftliche Theorie begonnen, beinhaltet aber in vielen späteren Versionen eine eigenständige, qualitativ konnotierte Handlungstheorie, etwa in der auf die Sozialwissenschaften gerichteten Konzeption von Alfred Lorenzer (1972). Lorenzer rückt ein Konzept von szenischem Handeln in den Mittelpunkt, das jenseits von Rationalitäts- und Bewusstheitsannahmen über den Prozess des szenischen Verstehens kommuniziert wird und darüber auch methodisch kontrolliert rekonstruiert werden kann (wenn auch nicht von jedermann zu jeder Zeit). Erwähnenswert sind weiter der an Mead und Moreno anknüpfende Versuch von Hans Joas, deren rollenbezogene Handlungskonzepte zu erweitern, insofern Handeln auch als kreativer Akt deutlich wird (Joas 1989), in dem sich der Mensch realisiert, oder an den Entwurf einer prozessual gedachten Verbindung von Handlungs- und Systemtheorien von Jürgen Habermas (1987) – um nur einige weitere theoretische Konzeptionen zu nennen.

Allen diesen Ansätzen und generell allen handlungstheoretischen Ansätzen gemeinsam ist das Problem, dass es bisher schwer fällt, vom Handeln der Menschen ausgehend die Existenz übergreifender, objektiviert erlebter Strukturen und Phänomene wie die Existenz einer Gesellschaft oder einer Kultur herzuleiten, auch wenn Kultur und Gesellschaft als Handlungsbedingungen beschrieben werden können.

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