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3.1Konzepte und Diskurse der Nachhaltigkeit in der Waldwirtschaft Nachhaltigkeitsanspruch und forstliche Entscheidungsprobleme

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Dass im Jahre 2013 das 300-jährige Erscheinen der Sylvicultura oeconomica von Hans Carl von Carlowitz in Deutschland im Rahmen eines großangelegten bundesweiten Aktionsprogramms in einer bis dato unvergleichlichen Weise gefeiert wurde (vgl. DFWR 2013), ist in mindestens zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Dabei wird deutlich, in welchem Maße der Nachhaltigkeitsbegriff im 21. Jahrhundert erstens zum Gründungs-narrativ der Marke „Forstwirtschaft aus deutschen Landen“ gehört und zweitens als symbolische Klammer über eine mindestens 300-jährige Geschichte herhalten muss (Slogan: „Wir sind nachhaltig – und das seit 300 Jahren“), welche die unterschiedlichsten Ziele, Strategien, Bewirtschaftungskonzepte und mithin alle erfolgreichen und auch weniger erfolgreichen Wege der Waldbewirtschaftung umgreift. Beide Tatsachen verweisen auf eine zentrale Funktion der Verwendung des Nachhaltigkeitsbegriffs in den Forstwissenschaften und in der Forstwirtschaft: Er ist zunächst Platzhalter für eine unüberschaubare Fülle an diversen, oft widersprüchlichen Wahrnehmungen, Bewertungen, Strategien und Handlungen, wenn es um den langfristigen Umgang mit Wäldern geht. Dabei wird er nach innen zum einigenden Band eines ganzen Fachbereichs und hier im Rahmen des Feierjahres gleichzeitig zum „Original“ erklärt, das als Reaktion auf die inhaltliche Ausweitung und den inflationären Gebrauch eben auch der Abgrenzung nach außen dient.

Die forstliche Nachhaltigkeit ist nicht allein mit Blick auf ihre identitätsstiftende Bedeutung zu verstehen, sondern muss vor dem Hintergrund der Entscheidungsprobleme bzw. Erkenntnisprobleme gesehen werden, die sich in Forstwirtschaft bzw. Forstwissenschaften stellen. Dass die Bewirtschaftung von Wäldern durch eine spezifische Komplexität charakterisiert werden kann, ist vielfach beschrieben worden und hat in erster Linie mit der Langfristigkeit forstlicher Entscheidungen zu tun: zentrale Entscheidungen wie die Wahl von Baumarten oder Baumartenzusammensetzungen oder der sog. „Umtriebszeit“ (des Nutzungsalters von Baumbeständen) sowie die Entscheidung für die geeigneten waldbaulichen Strategien (Ernteverfahren, Verfahren der Durchforstung oder der sog. „Verjüngung“ von Wäldern) sind eng an natürliche Gesetzmäßigkeiten und durch die Umwelt gegebene Voraussetzungen geknüpft. Das langsame Wachstum von Bäumen, die in unseren Breiten (und abhängig von natürlichen Voraussetzungen wie menschlichen Zielsetzungen) frühestens im Alter von 60 Jahren, zumeist aber deutlich später (nicht selten nach bis zu 150 Jahren) geerntet werden, bedingt eine Weitsicht, die kaum durch das Wissen über die natürlichen Wachstumsbedingungen in diesem in der Zukunft liegenden Zeitraum gedeckt ist – ganz abgesehen vom Wandel der Eigentümerzielsetzungen und den Veränderungen im gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen oder technologischen Kontext, die sich im Laufe dieser Dekaden ergeben.

Die Komplexität, die sich mit Blick auf die Wälder der Zukunft als Resultat des Zusammenspiels von natürlichen und sozialen Faktoren ergibt, ist groß – und je weiter der forstliche Entscheider in die Zukunft blickt, umso unschärfer das Bild und umso lauter das Rauschen. Forstwirtschaft ist der Versuch, Wälder langfristig zielgerichtet zu steuern – unter Bedingungen, die eine präzise Langfriststeuerung unmöglich machen. Wenn generell gilt, dass bei komplexen Entscheidungsproblemen die Voraussetzungen dafür fehlen, optimale Entscheidungen zu definieren, so fehlen mit Blick auf die Langfristigkeit der Forstwirtschaft zudem die Voraussetzungen für streng rationales Handeln, wo beim Zusammenspiel von natürlichen und sozialen Faktoren neben im engeren Sinne sachliche auch politische und moralische sowie affektive, d. h. emotionale Entscheidungskriterien treten.

Die oben genannten zentralen Entscheidungen bei der Bewirtschaftung von Wäldern sind dabei niemals solche, die sich auf eine bestimmte Funktion von Wäldern (also z. B. die Holzproduktion oder ihre Bedeutung für den Naturschutz, die Wasserqualität etc.) bezieht: Vielmehr betrifft jede Nutzungsentscheidung zugleich Schutz- oder Erholungsfunktionen von Wäldern und umgekehrt. Jede Entscheidung zur Nutzung eines Baumes etwa ist zugleich die Entscheidung darüber, welche Wuchsbedingungen nach seiner Entnahme fortan herrschen, und es gehört zu den Notwendigkeiten bei der Waldbewirtschaftung, dass jedwede Nutzung des „Naturvermögens“ („Forstliche Produktion“) der Tatsache Rechnung trägt, dass die Gesundheit und Produktivität des gesamten Ökosystems („Reproduktion“) erhalten bleiben. Andernfalls drohen – und diese Tatsache stellt neben der Langfristigkeit das zweite zentrale Charakteristikum der Forstwirtschaft dar – irreversible, durch keinerlei künstliche Reparaturen auszugleichende Schädigungen. Dies ist auch der Grund dafür, dass Waldbesitz zumindest in Mitteleuropa mannigfaltigen und für Außenstehende oft schwer zu verstehenden Eigentumsbeschränkungen (z. B. Kahlschlagsverbote) unterliegt. In den relativ engen, dicht besiedelten Staaten Mitteleuropas sind Wälder flächenmäßig noch immer sehr bedeutsam, die klassischen Waldfunktionen („Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion“) werden gesellschaftlich sehr stark nachgefragt, und die hohen gesellschaftlichen Ansprüche, denen sich die Bewirtschaftung von Wäldern stellen muss, heben diese in vielerlei Hinsicht in den Rang von öffentlichen Gütern.

Der Nachhaltigkeitsbegriff und seine Verwendung in Geschichte und Gegenwart müssen vor genau dieser Folie betrachtet werden, und wenn Forstleute mit ihrer Urheberschaft des „Nachhaltigkeitsprinzips“ zugleich den Anspruch verbinden, komplexe Waldökosysteme auch tatsächlich langfristig steuern zu können (Schanz 1994), wird gerne auf ertragreiche und vielfältige Wälder, eine leistungsstarke Forstwirtschaft und international gesehen hohe Bewirtschaftungsstandards verwiesen.

Was davon allerdings das Ergebnis langfristiger Bewirtschaftungsstrategien und gezielter sog. „Produktionsprogramme“ ist, bleibt in der Regel unklar. Bei genauerem Blick wird deutlich, dass der jeweils aktuelle Zustand von Wäldern im Einzelfall keineswegs das Endprodukt Jahrzehnte übergreifender Planung und konsistenter Umsetzung von Langfriststrategien ist. Genauso entscheidend tragen Kalamitäten, Stoffein- und -austräge, Standortveränderungen, das Marktgeschehen, der Wandel von Bewirtschaftungszielen und -moden, veränderte klimatische Verhältnisse, gewandelte gesellschaftliche Ansprüche an Wälder und Waldbewirtschaftung, neue Gesetze etc. zur Gestalt unserer Wälder bei. Was oft als Ergebnis nachhaltiger Forstwirtschaft deklariert wird, ist eine Mischung von Geplantem und Unvorhergesehenem, Erwartetem und Zufälligem, und die Forstgeschichte lässt sich als fortwährende Aktualisierung einer Grunderfahrung lesen: Es kam (und kommt) anders, als gedacht. Dieser Befund ergibt sich dabei sowohl, wenn man die Geschichte der Wälder in Mitteleuropa gleichermaßen auf der Makroebene liest,2 als auch dann, wenn man sich tiefer in die Geschichte einzelner Forstbetriebe bzw. Waldungen vertieft und hier Anspruch und Wirklichkeit, Planung und reale Entwicklungen einander gegenüberstellt: „Trotz periodischer Betriebsregelungen der Forsteinrichtung und intensiver Bewirtschaftung des Waldes ist es im Verlaufe von über eineinhalb Jahrhunderten in keinem Falle gelungen, eine stabile Waldentwicklung in Richtung auf die angestrebten IDEAL-Strukturen zu gewährleisten“ (Dittrich 1986: 137) – so resümiert etwa eine Studie aus der Mitte der 1980er Jahre, die Anspruch und Wirklichkeit forstlicher Planung und Realität in einer historischen Längsschnittstudie einander gegenüberstellt.

Dabei aber tritt ein für die Forstwirtschaft zentraler, die Waldbewirtschaftung grundierender Widerspruch zutage: Der Anspruch, Wälder langfristig zielgerichtet und plangemäß steuern zu können („Nachhaltigkeitsstrategie“), ist nur schwer mit der Tatsache der Komplexität, der Zukunftsunsicherheit und dem mangelnden Wissen in Einklang zu bringen.

Wie sich zeigt, sind es Zäsuren oder einschneidende Erfahrungen wie die des Klimawandels, die bei Forstleuten das Bewusstsein dafür schärfen, wie sich Wälder (und mit ihnen die Waldbewirtschaftung) in nicht vorauszusehender Weise ändern, dass stets Zukunftswissen fehlt und etabliertes Erfahrungswissen permanent entwertet wird. Der im Klimawandel wahrgenommene „Ausnahmezustand“, als den forstliche Praktikerinnen und Praktiker die Situation von Handlungsnotwendigkeit angesichts von Unwissen und Ignoranz beschreiben, ist der Normalfall.

Zu konstatieren ist also einerseits das vor allem in der Langfristperspektive nicht aufzulösende Problem der Entscheidung unter Unsicherheit und Ignoranz. Andererseits lässt sich mit Blick auf Gegenwart und Geschichte von Forstwirtschaft und Forstwissenschaften eine ungebrochene Popularität des Nachhaltigkeitsbegriffs feststellen – und beide Tatsachen hängen miteinander zusammen.

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