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4. Ewige Bewegtheit statt Chaos

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Bereits im ersten Buch der Metaphysik (983b7–11) erwähnt Aristoteles kritisch, dass diejenigen, die „zuerst Philosophie betrieben“, d.h. die Vorsokratiker, davon ausgingen, dass der Ursprung allen Seins in einem Urstoff oder Element im Sinne der Materie (hýlē) zu suchen sei. Dies weist er kategorisch zurück, v.a., da man mit Sein und Materie nicht den Wandel (metabolḗ) erklären könne. Der aristotelische Kosmos basiert deshalb auf Bewegung (kínēsis) als oberstem Prinzip. In Folge werden zwei |16|Modalitäten jeglicher Substanz (ousía) unterschieden: dýnamis und enérgeia, das Vermögen (Möglichkeit) und seine Verwirklichung (Wirklichkeit).

Namentlich Hesiods Vorstellung vom Chaos kritisiert Aristoteles ausgehend vom tópos, der einen Raumort meint oder genauer: einen Bereich, in dem sich Ort und Raum gegenseitig bedingen (Physik IV 208b27–209a2). Der „natürliche Ort“ eines Körpers, zu dem dieser teleologisch hinstrebt, wird von Aristoteles zwar als trennbar von dessen aktuellem Aufenthaltsort gedacht. Man könne aber keinen Raum denken, in dem nichts ist und der als Weltbehälter den Kosmos aufnehme. Gegen die Atomisten und ihr Konzept der Leere entgegnet er, dass die Leere selbst nicht bewegt werde und auch nichts in ihr bewegt werden könne (vgl. auch Metaphysik I 985b4–19). Damit ist auch eine Kritik an Platons Raumbegriff formuliert. Platon sieht den Raum als ein Drittes zwischen Sein (Welt der Ideen) und Werden (Welt der Wahrnehmung) an, der als „Amme des Werdens“ fungiert, als ein aufnehmender Raum oder platzbietendes Feld (chṓra, von chôros für: Tanzplatz), in und qua dem die Elemente und schließlich die Welt überhaupt erst erschaffen werden können. Platon setzt sich dabei mit dem Chaos auseinander, das als ontologische Problematik auch im Begriff ‚Information‘ noch aufscheint (→ II.8), weil in und gleichzeitig mit und aus etwas formiert wird, ohne angeben zu können, „woraus“ dieses etwas ist. Einerseits gilt: „Seiendes, Raum und Werden waren, bevor noch der Himmel entstand, als in dreifacher Weise“ (Timaios 52d). Dabei handelt es sich um drei Formen der einen Vernunft. Andererseits hat der Raum für Platon eine mediale Funktion zwischen Geistigem und Realem, denn als formloser, aber bewegter Raum ist er selbst formativ. In und mit ihm werden die noch nicht in Maßverhältnissen vorliegenden Vorfahren der vier Elemente vom Demiurgen gerüttelt und geschüttelt und nach Dichte und Schwere zu einem Weltganzen geordnet (ebd.: 52e/53a). Dagegen fragt Aristoteles kritisch, warum Platons „Formen“ und „Zahlen“ nicht an einem Ort sind (Physik IV 209b33–210a2). Denn so haften die platonischen Abbilder den ideell-ewigen Substanzen nur irgendwie an, wohingegen nach Aristoteles (2011) die Substanzen in ihrer Verhältnismäßigkeit (als „Elemente“) selbst werden und vergehen.

Für Aristoteles ist die Welt nicht erschaffen, sondern ewig, und mit ihr die Zeit. Ihn leitet die Ansicht, dass das Verändernde seine Form stets mitbringen muss (Physik III 202a9–12), was gegen das Chaos spricht. Auch der Ort kann nicht allem vorgeordnet sein im Sinne eines „irgendwo“ eines Körpers. Eine Ordnungsstruktur schafft vielmehr die Zeit, die als Zeitlichkeit (früher/später) in die Bewegung fällt, ohne mit ihr identisch zu sein. Die uns über Veränderung phänomenal zugängliche Zeitlichkeit der Zeit ist die Wirklichkeit des Möglichen als solchem (Metaphysik XI 1065b15f.; Physik III 201a9f.). Im Fortgang des dritten Buchs der Physik setzt sich Aristoteles ausführlich mit Anaximanders Apeiron, dem Grenzenlos-Unbestimmbaren, auseinander, das nur der Möglichkeit nach, aber nicht in Wirklichkeit existiere. In diesem Zusammenhang steht auch das aristotelische Konzept der potenziellen Unendlichkeit. Sie ist mengentheoretisch zu denken als dasjenige, zu dem es immer noch ein Äußeres gibt (Physik III 207a1). Ein Unendliches, das als Ganzes vorliegt, gibt es für Aristoteles hingegen nicht (→ I.1.B).

|17|Die Vorstellung, dass es nur einen Himmel, aber unterschiedliche Sphären der Himmelskörper gibt, ist der Hintergrund für Aristoteles’ kosmologische Theorie des „unbewegten Bewegers“ (Metaphysik XII 1071b3ff.), der aus logischen, nicht ontologischen Gründen gesetzt wird. ‚Er‘ befindet sich als oberstes Bewegungsprinzip an der äußersten Grenze des damals bekannten Himmels, d.h. direkt hinter der Sphäre der Fixsterne, und sorgt für die kontinuierliche Kreisbewegung des Kosmos. Der unbewegte Beweger ist ewig und ungeschaffen. Diese aristotelische Annahme und Platons „Weltseele“ in den Nomoi sind die Basis des sog. „kosmologischen Arguments“ als einem Argumenttypus, der die Naturphilosophie und Physik bis in die Gegenwart durchzieht. Darin sind Positionen versammelt, die für und gegen einen hinreichenden Grund für die Annahme von „Welt“ (→ II.3) sowie für eine erste Ursache (lat.: prima causa) des Kosmos argumentieren. Zur Argumentfamilie gehören Fragen nach der Existenz Gottes, der Ewigkeit der Welt, der Notwendigkeit der Schöpfung (→ II.2), der Natur von Raum und Zeit (→ II.4) sowie der Möglichkeit von Unendlichkeit (vgl. Reichenbach 2019).

Am Ende seiner Metaphysik lässt Aristoteles keinen Zweifel daran, welche Einsichten er – und damit auch die philosophische Nachwelt – den Vorsokratikern verdankt, zuvorderst die, dass beim Erklären die Wirklichkeit der Möglichkeit vorausgehen müsse. „Also war nicht eine unendliche Zeit Chaos oder Nacht, sondern immer dasselbige, entweder im Kreislauf oder auf eine andere Weise, sofern die Wirklichkeit dem Vermögen vorausgeht“ (Metaphysik XII 1072a7–9).

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