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4. Flüchtige Solidarität

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Die gebastelte spätmoderne Identität ist in hohem Maße eine konsumistische Identität Der Aufbau der Person erfolgt durch die Dekoration mit Accessoires, die auf einem reichhaltigen Markt eingekauft werden können. Aber erst alle Elemente der spätmodernen Welt zusammen (Dispositionen und Interpretationen, Musikgeschmack und Freizeitgestaltung, Sprach-, Sex- und Freizeitgewohnheiten, Piercing und Tattoo) ergeben das Mosaik einer Persönlichkeit. Doch auch diese persönliche Identität bedeutet keinen festen Rahmen; denn eine festgelegte, stabile, „innengeleitete“ Identität26 würde den Anforderungen einer flexibel-turbulenten Gesellschaft und den Wünschen eines optionshungrigen Individuums widersprechen. Eine festgelegte Identität wäre ja schon wieder eine Einschränkung, sie würde mögliche Wählbarkeiten ausschließen. Wenn das Wesen des gelingenden Lebens darin besteht, dass keine Möglichkeiten versperrt sind, dass das Maximum von Optionen konsumiert wird, dass alle Widersprüchlichkeiten möglich sind – dann muss selbst die Identität offen und flexibel gehalten werden.27

Auch in Anbetracht dieser Charakterisierung stellt sich die Frage nach den Chancen solidarischen Verhaltens. Nicht nur die Individualität und damit die Nicht-Ähnlichkeit der Personen lässt die Solidaritätschancen prekär erscheinen, auch die Verunsicherung der Personen, die mit ihrer Aneignung einer liquiden Identität einhergeht, mindert die Chancen für solidarische Haltungen. Die meisten vermuten mit Recht, dass Solidarität eine sichere Grundlage benötigt – Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, Orientierung. Wer mit sich selbst nicht ins Reine kommt, wird es schwer haben, mit anderen solidarisch zu sein. Es steht ihm das Wasser bis zum Hals, denn in der Tat fließt um ihn herum alles,28 und er wird weitere kräfteraubende Ansinnen eher ablehnen. „Solidarität ist ein vergängliches Band.“29 Der Mainstream geht ohnehin eher in die „Geiz ist geil“-Richtung. Denn auch die modernen Gierigen, die sich nicht scheuen, mittels ausgeklügelter steuerlicher Umgehungsstrategien ihre Einkommen und Vermögen in einem Niedrig-Steuer-Land anzulegen, werden eher beneidet als verachtet. Solidarität ist nicht unbedingt die große Botschaft der Epoche, viel eher das Verständnis dafür, dass man zulangt, wo es geht. „Die klassische Erfahrung, daß sich solidarische Handlungspraxis und politisch-moralische Orientierung wechselseitig hervorbringen und stabilisieren, bestätigt sich nach dem Zerfall der übergreifenden Ideologien und sozialmoralischen Milieus im Schrumpfen der moralischen Horizonte und der Beteiligungspraxis vieler auf das Maßverhältnis der direkten sozialen Erfahrbarkeit.“30

Die zeitliche Flüchtigkeit der Identitäten würde eher dafür sprechen, dass auch die Interaktionen zwischen den Menschen flüchtigen Charakter haben. „Weak ties“ haben ihre Stärken,31 aber auch ihre Schwächen; und zu den Letzteren gehört eine geringe Belastbarkeit oder Verpfliehtungsfähig-keit. Nicht dass Individuen unter diesen Umständen gar nicht solidarisch sein können – aber die Belastbarkeit dieser Solidarität ist (über unverbindliche Sympathiebekundungen hinaus) begrenzt. Zu vermuten ist eher, dass es wohl Solidaritätsäußerungen gibt, dass diese aber auf Fälle beschränkt sind, in denen die Sache nicht viel kostet: eine Low-cost-Solidarität. Man ist so weit solidarisch mit einem von Abschiebung bedrohten Flüchtling, dass man bei einer Unterschriftenaktion mitmacht; aber diese Minimal-Solidarität ist etwas anderes als die Bereitschaft, den Flüchtling in seiner Wohnung aufzunehmen. Man ist solidarisch mit den Menschen in den Bürgerkriegen Zentralafrikas, aber der Anteil, den man aus dem eigenen Einkommen zur Hilfe aufbringen würde, muss sich in einer Größenordnung halten, wo er nicht wirklich spürbar wird. Wenn Solidarität aufwändig wird, Arbeit, Zeit, Mühsal oder Ressourcen erfordert, kommt das Engagement für die gute Sache in vielen Fällen rasch zum Erliegen.

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