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Eine Welle der Erinnerung in Europa

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Das Vereinigte Königreich war das erste europäische Land, das öffentlich seine wesentliche Beteiligung am transatlantischen Sklavenhandel eingestand. Die ersten britischen Anläufe zur Pflege der Erinnerung an den Sklavenhandel gehen auf die Mitte der 1990er-Jahre zurück. 2007 aber kam es anlässlich der Erinnerung an den 200. Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei durch Großbritannien auf Drängen mehr oder weniger gut organisierter dunkelhäutiger Aktivisten zu einer regelrechten Welle der Erinnerung. Mehrere der Beteiligten oder deren Eltern waren in den ehemaligen britischen Kolonien der Karibik auf die Welt gekommen. Aufgrund ihrer Herkunft aus Sklavenhaltergesellschaften waren diese Gruppen wirtschaftlich, sozial und rassisch aus der britischen Gesellschaft ausgeschlossen. Die ehemaligen Häfen des Sklavenhandels wie Bristol und Liverpool gestanden schrittweise ihre Rolle im transatlantischen Sklavenhandel ein und sorgten dafür, dass dieses umstrittene Kapitel ihrer Vergangenheit auch im Stadtbild sichtbar wurde. Die wichtigste Initiative in diesem Zusammenhang war die Gründung des Internationalen Sklavereimuseums, das 2007 in Liverpool eröffnet wurde. Auftrag dieses Museums ist es nicht nur, die Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels und der Sklaverei darzustellen, sondern auch, die Bevölkerung für die Probleme der Sklaverei und des Rassismus heute zu sensibilisieren.

Die Vergangenheit Frankreichs als Land, das Sklavenhandel trieb, trat 1998 im Kontext der Feiern zum 150. Jahrestag der zweiten Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung (die erste wurde ja bereits 1794 während der Französischen Revolution verfügt, aber 1802 von Napoleon Bonaparte wieder zurückgenommen). Bis zu diesen Gedenkfeierlichkeiten war die Erinnerung an die Sklaverei vornehmlich mit Victor Schoelcher, dem „großen Emanzipator“, in Verbindung gebracht worden, während man darüber die Rolle vergaß, die die Sklaven selbst bei der gesetzlichen Abschaffung der Sklaverei gespielt hatten. Seinerzeit prangerten Gruppierungen von Farbigen afrikanischer wie karibischer Herkunft die geringe Präsenz des Themas Sklaverei im öffentlichen Raum ebenso an und wie den Rassismus und den Ausschluss aus der Gesellschaft, denen die Schwarzen in Kontinentalfrankreich weiterhin ausgesetzt waren. Der so entstandene Druck führte zu konkreten Ergebnissen, und zwar insbesondere dazu, dass Frankreich seiner Rolle im transatlantischen Sklavenhandel und in der Sklaverei anerkannte. Am 21. Mai 2001 verabschiedete das französische Parlament das Gesetz 2001-434, das sogenannte Taubira-Gesetz1, das die Sklaverei und den Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufte. Die Verabschiedung dieses Gesetzes war mit wissenschaftlichen Kolloquien und Veröffentlichungen verbunden sowie mit öffentlichen Diskussionen über den Platz, der der Sklaverei und der kolonialen Vergangenheit in der Geschichte Frankreichs eingeräumt werden soll.

2005 führte der Tod von zwei Jugendlichen afrikanischer Herkunft bei einer Verfolgung durch die Polizei in einer Pariser Vorstadt zu Unruhen in mehreren Regionen des Landes. Im gleichen Jahr löste Artikel 4 des Gesetzes 2005-158 vom 23. Februar 2005 mit seinem Bezug auf die Anerkennung der „positiven“ Rolle der französischen Kolonisation heftige öffentliche Debatten aus, was dazu führte, dass Staatspräsident Jacques Chirac das Gesetz zurücknahm. Während diese Debatte noch andauerte, verlangten einige Verbände schwarzer Aktivisten, dass im öffentlichen Raum mehrerer französischer Städte wie zum Beispiel Nantes und Bordeaux auf deren frühere Rolle im Kontext der Sklaverei verwiesen werde. Später haben dann auch Le Havre, Honfleur, Rouen und La Rochelle Initiativen entfaltet, um ihre Verbindung mit dem transatlantischen Sklavenhandel zu verdeutlichen. Aufgrund des Taubira-Gesetzes entstand auch ein „Komitee für die Erinnerung an die Sklaverei“. Aus der öffentlichen wurde so eine offizielle Erinnerung. Das Komitee schlug den 10. Mai als nationalen Tag des Gedenkens an die Abschaffung der Sklaverei im französischen Mutterland vor. Es gab auch noch etliche weitere Initiativen, die es unternahmen, die nationale Meistererzählung zum Thema Sklaverei und transatlantischer Sklavenhandel zu ändern und zu korrigieren. In diesem Rahmen wurden Änderungen der Lehrpläne ebenso vorgeschlagen wie die Einführung nationaler Gedenkfeiern, die Errichtung von Denkmälern und einschlägige Ausstellungen.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben weitere europäische Länder ihre Teilnahme am transatlantischen Sklavenhandel eingestanden. In den Niederlanden wurde der Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen im Jahr 2002 erreicht, in dem in Amsterdam ein großes Denkmal für Sklaven errichtet wurde. In jüngster Vergangenheit löste der 2013 begangene 150. Jahrestag der Abschaffung des Sklavenhandels in den holländischen Kolonien auf dem amerikanischen Kontinent wichtige öffentliche Diskussion aus, bei der oft auch der heutige Rassismus und der Ausschluss der dunkelhäutigen Bevölkerung aus der niederländischen Gesellschaft angeprangert wurden. Selbst in der Schweiz ist es wegen der Beteiligung Genfer Kaufleute am Sklavenhandel zu einer Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit gekommen. Obwohl diese Welle von Debatten europaweit so stark zunahm, haben Spanien und Portugal es bis in die jüngste Vergangenheit unterlassen, ihre Beteiligung an diesen Vorgängen offen einzugestehen. Doch ändert sich auch hier die Lage: 2009 hat ein Team von Archäologen im südportugiesischen Lagos einen ehemaligen Sklavenfriedhof entdeckt und 2016 wurde in derselben Stadt ein Sklavenmuseum, Núcleo Museológico Rota da Escravatura (Museum der Sklavenstraße), eingeweiht. Untergebracht ist diese Einrichtung in einem Gebäude, das gemeinhin den Namen Sklavenmarkt trägt. Damit verfolgt Portugal zum ersten Mal ein Projekt, das sich öffentlich mit seiner historischen Rolle im Sklavenhandel befasst. In Spanien stellt sich die Lage recht ähnlich dar. 2010 hat die Gleichheitskommission, die Comisión de Igualdad, zwei Gesetzesvorschlägen zugestimmt: dem Entwurf für ein Gesetz zur Anerkennung der schwarzen Bevölkerung Spaniens und einem Gesetz zur Erinnerung an die Sklaverei, für die Anerkennung und die Unterstützung der afrikanischen wie afrikanischstämmigen schwarzen Bevölkerung Spaniens. Beiden Gesetzen ist es gemeinsam, dass sie den Millionen Menschen Anerkennung zollen, die in der ganzen Welt für die Abschaffung der Sklaverei gekämpft haben, dass sie die schwarze Bevölkerung Spaniens offiziell anerkennen, dass sie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpfen und ein Denkmal zu Ehren der Opfer der Sklaverei errichten wollen. Zwar steht bis heute noch kein solches Mahnmal in Madrid, doch haben Barcelona und Lissabon mit der Ausarbeitung von Stadtrundgängen zu Stätten, die mit dem Sklavenhandel zu tun haben, begonnen.

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