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Die Mittelpassage
ОглавлениеIn den USA ist die Erinnerung an die Zeit der Sklaverei in den 1990er-Jahren wieder ins öffentliche Bewusstsein getreten. Im Hafen von Charleston (South Carolina) kamen 1 500.000 Sklaven aus Afrika an, etwa 40 Prozent der Gesamtzahl von Sklaven, die in die USA verbracht wurden. Bis Ende der 1980er-Jahre blieb die öffentliche Anerkennung dieser Vergangenheit in dieser touristischen Stadt ausgesprochen problematisch. Der Old Slave Mart, der Alte Sklavenmarkt, war einer der wenigen Orte, an dem die Geschichte der Sklaverei und des Sklavenhandels in dieser Stadt angemessen gewürdigt wurde. Das hat sich aber geändert. Zum einen haben das Ende des Kalten Kriegs und entsprechende Aufforderungen der UNESCO die Entstehung einer Auseinandersetzung mit dem Sklavenhandel und der Sklaverei befördert. Zum anderen hat der Druck afroamerikanischer Aktivisten Charleston dazu gezwungen, sich mit seiner Vergangenheit zu befassen. Eine Reihe von Initiativen beschäftigte sich mit der Insel Sullivan, auf der die Sklaven und die Mannschaft nach ihrer Landung in South Carolina in Quarantäne geschickt wurden. 1999 wurde die erste offizielle Tafel enthüllt, die darauf verweist, dass die Insel der Ankunftsort für afrikanische Sklaven war. Sie betont die Widerstandskraft der Afrikaner und ihrer Nachkommen und erkennt den Beitrag der afrikanischen Kulturen zu derjenigen der USA an.
2008 weihte die Schriftstellerin Toni Morrison im Rahmen ihres Projekts Bench by the road eine Gedenkbank zu Ehren der nach Amerika verbrachten Sklaven und ihrer Nachkommen ein. Diese verfügten bislang über keinen derartigen Ort zu Ehren ihrer Vorfahren. 2009 wurde in Fort Moultrie die Ausstellung African Passages eröffnet. Sie zeigte vor allem Kunstwerke und Gegenstände, die mit der Mittelpassage – so nannte man die Überquerung des Atlantiks im Rahmen des Sklavenhandels – zu tun hatten, und erzählte zugleich die Geschichte von Afrikanern, für die die Insel Durchgangsstation, eben Passage, war. Heute ist die öffentliche Erinnerung an Charleston als Landungsort der afrikanischen Sklaven in den USA bereits fest etabliert und im Jahr 2014 wurde nach langen Erörterungen ein Denkmal für Denmark Vesey enthüllt, für den Mann, der die Sklavenrevolte von 1822 angeführt hatte. Außerdem ist ein großes internationales afroamerikanisches Museum im Gebiet des Gadsden-Kais in Planung.
Auch in den Städten im Norden der USA ist die öffentliche Erinnerung an die Sklaverei erwacht. Bei der Errichtung eines neuen Gebäudes der US-Regierung in New York wurden die Reste von Hunderten Skeletten gefunden. Eine Untersuchung der Knochen kam zu dem Ergebnis, dass sich an diesem Ort früher ein Friedhof befand, auf dem die sterblichen Überreste von etwa 15.000 Afroamerikanern und Afrikanern liegen, von Sklaven ebenso wie von Freien, die dort im Lauf des 17. und 18. Jahrhunderts beigesetzt worden waren. Dieser Friedhof, der in einer Hafenstadt liegt, in der ungefähr 8500 Sklaven aus Afrika angekommen sind, ist der größte seiner Art in den Vereinigten Staaten. Die Frage, was mit diesem Ort geschehen solle, führte zu zahlreichen Kontroversen unter den Mitgliedern der Bundesregierung, Hochschullehrern und Aktivisten, die sich gewissermaßen als Nachfahren der dort beerdigten Personen betrachteten. Es ging dabei um die Art und Weise, wie die Geschichte der Sklaverei öffentlich sichtbar gemacht werden solle und wie man der afroamerikanischen Vorfahren öffentlich gedenken könne. So ist dieser Friedhof zu einem umstrittenen Ort der Erinnerung an die Sklaverei geworden. Seine Entdeckung und seine Präsentation sind untrennbar mit Rassen- und Identitätsfragen verbunden, die ihrerseits nicht in direktem Zusammenhang mit der historischen Vergangenheit dieses Ortes stehen, sehr wohl aber etwas mit der bisher fehlenden öffentlichen Darstellung der Sklavenhaltervergangenheit dieser Stadt und mit dem gesellschaftlichen Ausschluss der schwarzen Bevölkerung zu tun haben. 2007 wurde am Ort des alten Friedhofs eine Gedenkstätte eröffnet, die deutlich macht, dass es die Sklaverei nicht nur im Süden gab, sondern bis zu ihrer Abschaffung im Jahr 1827 auch in einer Stadt wie New York.