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Das Leiden anderer betrachten
ОглавлениеDie traumatische Erinnerung an diese Episode rührt an eines der wesentlichen Prinzipien des Roten Kreuzes: die Neutralität. Es geht von Anfang an darum, allen Opfern zu helfen, ohne zu urteilen oder anzuprangern. Dieser Ansatz ist auf diplomatischer Ebene klug. Das Argument ist bekannt: Niemand kann den Opfern bewaffneter Konflikte helfen, ohne von allen Beteiligten akzeptiert zu werden. Es muss allerdings hinterfragt werden: Ist es angesichts extremer Situationen wie der Folter angemessen, zu schweigen und neutral zu bleiben? Wird die Neutralität nicht zu einer passiven Komplizenschaft? Diese Frage stellt sich auch im Anschluss an Angriffe auf Betreuungszentren in Syrien, im Jemen oder im Gazastreifen. Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass die öffentliche Anprangerung solcher Aktionen dazu führt, dass spätere Einsätze verhindert werden. Doch – und diese Frage übersteigt den Rahmen des Roten Kreuzes – ist das nicht der Preis, den es zu entrichten gilt, um der „Haltung des Zuschauers oder des Feiglings, der unfähig ist hinzuschauen“1, zu entkommen?