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Kollektive und öffentliche Erinnerung
ОглавлениеFrüher blieb die Erinnerung von Gemeinschaften, deren Vorfahren Sklaven gewesen waren, dem Familienkreis und der Privatsphäre verhaftet. In den letzten beiden Jahrzehnten ist sie aber Bestandteil eines öffentlichen Diskurses geworden. Die kollektive ist dadurch zur öffentlichen Erinnerung geworden, die sich politisiert und es sich zum Ziel gesetzt hat, die Identität von Gruppen, deren Angehörige sich mehrheitlich als Abkömmlinge von Sklaven verstehen, zu entwickeln, zu behaupten und zu stärken. Eine solche Identität bildet sich auf der Grundlage mehrerer Elemente, die in Gesellschaften, die auf Sklavenhaltergesellschaften folgen, als rassische Elemente gelten: Herkunft, Hautfarbe, physische Charakteristika, soziale Stellung und Religion. Die gesellschaftlichen Gruppen, in denen mehrere Formen der Erinnerung aufeinandertreffen und mitunter in Konflikt geraten, bilden oft Vereine, um auf diese Weise die öffentliche Anerkennung der Erinnerung an die Sklaverei zu erreichen. Wenn dieses Ziel erreicht ist, wird diese Erinnerung zu einer öffentlichen.
Auch in Westafrika ist diese Erinnerung wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Seit den 1960er-Jahren sind die Insel Gorée und das Haus der Sklaven im Senegal weithin bekannt geworden. Letzteres ist trotz dieser Berühmtheit ein umstrittener Ort geblieben. Sein ehemaliger Konservator, der verstorbene Boubacar Joseph N’Diaye, beschrieb dieses Gebäude als Lagerraum für Sklaven und erzählte den Besuchern detailreich die schrecklichen Erfahrungen der Sklaven, die ihm zufolge in diesem Gebäude zusammengepfercht wurden. Dank seiner Berichte ist das Haus der Sklaven heute weltweit einer der bekanntesten Orte der Erinnerung an die Sklaverei. Er sprach von zehn bis 15 Millionen afrikanischer Sklaven, die diese Station durchliefen, bevor sie nach Amerika transportiert wurden. Tatsächlich ist das aber die Gesamtzahl von Afrikanern, die während der gesamten Zeit des Sklavenhandels den Atlantik überqueren mussten. Auch öffnet sich die berühmte Porte du non-retour, das Tor ohne Wiederkehr, unmittelbar auf die Klippen, was es unwahrscheinlich macht, dass an dieser Stelle Sklaven eingeschifft wurden. Zudem gehörte dieses Haus nicht einem europäischen Händler, sondern einer gewissen Anna Colas, einer afroeuropäischen Sklavenhändlerin, einer Signare. Trotz dieser Ungereimtheiten wurde das Haus der Sklaven weiterhin von Staatsoberhäuptern wie Barack Obama und François Hollande besucht, was zur Fortdauer des Mythos dieses Gebäudes beiträgt.