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Nationalistische Erinnerungen
ОглавлениеDurch das Aufkommen der modernen Nationalstaaten im langen 19. Jahrhundert wurde die europäische Erinnerung an Kolumbus und da Gama im übertragenen wie im eigentlichen Sinn in Stein gemeißelt. Im Jahrhundert des Denkmalbooms sprossen Statuen der Entdecker wie Pilze aus dem europäischen Boden – vor allem anlässlich des 400-jährigen Jubiläums der Entdeckung Amerikas 1892. Der Logik des Nationalismus entsprechend, erfasste das Denkmalfieber vor allem Portugal, Spanien und Italien, doch auch anderswo in Europa wurden Kolumbus und da Gama in Denkmälern, Straßennamen oder öffentlichen Feiern gedacht.
Ein Blick auf die heute noch existierenden Monumente für Kolumbus und da Gama in europäischen Städten unterstreicht die Bedeutung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Höhepunkt der Entdeckungsmemorialistik. In Spanien wurden zu den Feierlichkeiten des 400. Jubiläums der Landung des Kolumbus auf den Antillen zwei Monumente in den zwei größten spanischen Städten errichtet: In Barcelona wurde das Monument in der zentralen Plaça del Portal de la Pau gegenüber dem alten Hafen zur Eröffnung der Weltausstellung 1888 eingeweiht. Das Kolumbus-Monument im Paseo de la Castellana in Madrid wurde pünktlich zum Jubiläum am 12. Oktober 1892 errichtet. Auch in Portugal boten die 400-Jahres-Feiern der Entdeckung des Seewegs nach Indien die Gelegenheit, um die Erinnerung an da Gama im öffentlichen Raum zu positionieren. Schon 1880 wurden die sterblichen Überreste von da Gama und bezeichnenderweise Luís de Camões, der dem Seefahrer ein literarisches Denkmal gesetzt hatte, in das Hieronymitenkloster in Belém, Lissabon, überführt und feierlich wiederbestattet. Pünktlich zum Jubiläum der Entdeckung der Seeroute nach Indien 1898 wurde dann das Aquarium Vasco da Gama eingeweiht.
Die Feierlichkeiten zum 400. Jubiläum standen in beiden Ländern ganz und gar im Dienst der nationalen Narrative, sie betonten die Entdeckungen und Eroberungszüge des 16. Jahrhunderts als Säulen der Ende des 19. Jahrhunderts angegriffenen iberischen Nationalidentitäten: Spanien hatte die amerikanischen Kolonien verloren und Portugal sah mit dem britischen Ultimatum von 1890 seinen kolonialen Besitz in Afrika bedroht. Neben Spanien und Portugal gesellte sich aber auch Italien zu den Feierlichkeiten, schließlich soll Kolumbus Genueser gewesen sein. In Rom wurde deshalb 1892 eine Büste von Kolumbus feierlich eingeweiht. Auch viele andere Städte Italiens – insbesondere Genua – gedachten seiner in jener Zeit durch Monumente, Statuen und Gedenktafeln. Auch hier sollte Kolumbus als Nationalheld gefeiert und somit Italiens Beitrag zur europäischen Vormachtstellung in der Welt unterstrichen werden.
Portugal, Spanien und Italien hatten historische Gründe, sich im Zeitalter des Nationalismus als Entdeckernationen in Szene zu setzen. Es überrascht deswegen kaum, dass die größte Dichte an Monumenten, Straßennamen, feierlichen Veranstaltungen und Publikationen zum 400. Jubiläum in diesen Staaten zu verzeichnen war. Überraschend wirkt aber, dass auch Länder wie Deutschland und Österreich mit Erinnerungsorten an Kolumbus und da Gama gedachten. Hierbei spielten neu gegründete geografische Gesellschaften eine wichtige Rolle, finanzierten sie doch Expeditionen sowie Publikationen und unterstützten sogar die Errichtung von Kolumbus- und Da-Gama-Monumenten.
In diesem Kontext entstanden etwa die eingangs erwähnten Statuen der zwei Entdecker an der Kornhausbrücke in Hamburg. Sie wurden von den Künstlern Hermann Hosaeus und Carl Börner im Auftrag der Stadt Hamburg gestaltet und 1903 eingeweiht. Die Statuen erfüllen dabei in erster Linie ein Bedürfnis der lokalen Erinnerungspolitik, betonen Hamburgs Identität als Hansestadt und Tor nach Übersee. Doch die Tatsache, dass ausgerechnet Kolumbus und da Gama – im ursprünglichen Zustand ebenfalls James Cook und Ferdinand Magellan auf der Südseite der Brücke – als Symbole der Weltoffenheit fungieren, ist charakteristisch für den zeitgenössischen Erinnerungsdiskurs. Beide stehen für den imperialen Drang der europäischen Nationen, der zur Zeit der Kolumbus- und Da-Gama-Jubiläen Ende des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte. In diese Linie schreibt sich ebenfalls die 1897 eingeweihte Statue Kolumbus in Bremerhaven ein.
Über solche lokalen Dynamiken hinaus lässt sich in diesen Initiativen aber auch der Drang erkennen, Deutschland als Teil des europäischen kolonialen Projekts zu stilisieren: Die Aneignung der Erinnerungsfiguren Kolumbus und da Gama unterstrich den imperialen Anspruch des 1871 gegründeten Deutschen Reichs im Zeitalter Wilhelms II. Hierfür sprechen auch die Straßennamen in anderen Städten des Deutschen Reiches, die sich als Industriestädte ebenfalls durch ihre Beteiligung am Welthandel definierten: In Dresden wurde die Columbusstraße 1892 pünktlich zum Jubiläum eingeweiht, aber auch in München (1893), Solingen (1897), Bremen (1898), Mülheim (vor 1902) und Düsseldorf (1909) wurden ähnliche Straßenbenennungen vorgenommen.
Die Teilhabe Deutschlands an den erinnerungspolitischen Aktivitäten des 400. Jubiläums der Entdeckung Amerikas war zugleich Zeichen einer wachsenden europäischen Identität, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt über den Kolonialismus definierte. Ähnliches galt auch für Österreich. In Wien finden sich heute noch zahlreiche Monumente, die Kolumbus und Vasco da Gama gewidmet sind, obgleich das Land anders als Deutschland nicht am imperialen Wettlauf um Afrika und andere überseeische Territorien beteiligt war. Wie im Fall Deutschlands dienten die Denkmäler hier der Konstruktion einer nationalen Identität, die sich zugleich in das koloniale Selbstverständnis der Epoche einschrieb. So befindet sich eine Statue von Kolumbus beispielsweise in der Wiener Handelsakademie, wo sie, gepaart mit einer Statue von Adam Smith, die Eingangstreppe des neoklassizistischen Gebäudes flankiert. Dieser Kontext verdeutlicht das Erinnerungspotenzial von Kolumbus: Zwar war Österreich-Ungarn nicht formell eine Kolonialmacht, doch das Land wollte ebenfalls an dem europäischen Freihandelsimperialismus partizipieren. Ähnlich wie Deutschland positionierte sich Österreich damit selbstbewusst im Konzert der europäischen Kolonialmächte. Auch das Naturhistorische Museum in Wien liefert Hinweise auf die Stellung der beiden Seefahrer im nationalen Selbstverständnis Österreichs. In dieser Stätte, die symbolisch für die wissenschaftliche Aneignung der Welt steht, befinden sich vier Statuen von Entdeckern – wie schon auf der Hamburger Kornhausbrücke handelt es sich dabei um Kolumbus, da Gama, Magellan und Cook, also jene vier Seefahrer, die um 1900 den europäischen Kanon der Entdeckungsgeschichte bildeten.