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Die Stunde der Feinmechaniker
ОглавлениеIn vielen Meeres- oder Schifffahrtsmuseen Europas blinkt den Besucher heute eine Vielzahl von in Messing gearbeiteten, hochkomplexen Instrumenten für die Navigation auf See an, die wahre Kunstwerke an Präzision und nebenbei auch an Schönheit darstellen. Doch jeder, der in seinem Leben nur einmal einen mechanischen Wecker auseinander- und dann vergeblich wieder zusammengebaut hat, ahnt etwas von der Komplexität und Präzision solcher Miniaturmaschinen. Im Zeitalter von elektronischen Zeitgebern sowie immer und überall abrufbaren GPS-Daten ist es ohnehin nur noch schwer vorstellbar, wie Seeleute einst überhaupt jenseits der Sichtbarkeit von Küsten navigierten oder auch nur Inseln in den Ozeanen wiederfanden. So darf die Navigation getrost als eine besondere Kunst gelten, die neben dem hohen handwerklichen Spezialwissen auch die Beherrschung einer Reihe anderer Künste wie etwa Mathematik und Astronomie, Kartografie und Geografie oder Meteorologie erfordert.
Zunächst mag noch die Bestimmung einfach erscheinen, in welche Himmelsrichtung ein Schiff fuhr, wenn die Sonne sichtbar war. Weitaus genauer gelang eine Richtungsbestimmung mit dem Kompass – ursprünglich eine chinesische Erfindung –, den europäische Seefahrer in der Zeit der Kreuzzüge über die Araber kennengelernt hatten. Seinerzeit war ein Kompass nicht mehr als eine magnetisierte Eisennadel, die sich, auf einer Korkscheibe gelagert, in einem kleinen Wasserschälchen nach Norden ausrichtete – ein sogenannter nasser Kompass. Wahrscheinlich von der italienischen Seestadt Amalfi, deren Schiffsführer enge Beziehungen in den Nahen Osten unterhielten, hat sich dieses italienisch bussola genannte Instrument wohl schon im 12. Jahrhundert im Mittelmeerraum verbreitet. Bald darauf gehörte der immer weiter verbesserte Magnetkompass zur Grundausrüstung jedweder längeren Schiffspassage. Weitaus komplizierter als die Bestimmung der Himmelrichtung war aber die Ermittlung der eigenen Position auf einer die tatsächliche Wasserfläche der Erde teilabbildenden Karte.
Ihre jeweilige Position auf den Breitengraden, also den parallel zum Äquator die Erde umlaufenden gedachten Linien, konnten Seeleute schon länger genauer bestimmen. Die vom lateinischen latitudo, englisch als latitude bezeichnete geografische Breite stellt das Winkelmaß einer Position auf der Erdoberfläche vom Äquator dar, wobei eben in eine nördliche oder südliche Entfernung unterschieden wird. Dieser Breitenwinkel ϕ lässt sich relativ problemlos entweder aus dem höchsten Sonnenstand, der sogenannten Mittagsbreite, oder aus der Höhe eines bekannten Sterns wie etwa des Polarsterns, der fast senkrecht über dem Nordpol steht, ermitteln. Ursprünglich dienten einfachere Instrumente wie etwa der Jakobsstab oder das Astrolabium für die Ermittlung der ungefähren Breitengrade. Doch erst durch die Konstruktion und Einführung von Präzisionswinkelmessern im 18. Jahrhundert ist eine für die exakte Navigation erforderliche Genauigkeit erzielt worden. Zu diesen neuen Instrumenten gehörte der anfangs noch aus Holz konstruierte Oktant, der schon bald durch den noch heute bei der nautischen Navigation benutzten Sextanten aus Messing abgelöst worden ist. Beide unterscheidet im Grunde nur der Umfang des angebrachten Ableseausschnitts, wobei der Sextant noch einige weitere Raffinessen wie etwa einen einblendbaren künstlichen Horizont oder verschiedene Lichtfilter für die dem Auge damit mögliche ungefährliche Sonnenanpeilung besitzt. Schon bald nach der Einführung auf Segelschiffen ließ sich bei ruhiger See mit einem Sextanten eine Genauigkeit bei der Positionsbestimmung von einer Bogenminute, also einer Seemeile, erzielen.