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Risikoarmer Transport von Gewalt: die Schiffskanonen

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Am Ende des 16. Jahrhunderts setzten dann weitere grundlegende technische Veränderungen in der europäischen Seefahrt ein. Schon die spanische Große Armada hatte 1588 auf der Fahrt gegen England schmerzhaft spüren müssen, dass ihre Galeonen und Galeeren nun nicht mehr vornehmlich als Transportmittel für Soldaten dienen mochten, mit denen man sich gegenseitig entern konnte, sondern dass die Seefahrzeuge hauptsächlich selbst zu Waffen geworden waren. Das hatte mit der nun immer stärkeren Bestückung mit Kanonen zu tun. Die traditionelle Galeere der mediterranen Welt besaß schon allein wegen der Anordnung der Riemen an den Seiten der Schiffe nur beschränkte Aufstellungsmöglichkeiten von Kanonen, sodass die meisten „Stücke“ auf einer Art Vorderkastell standen. Die ausschließlich gesegelten Schiffe des Atlantiks und der nördlichen Binnenmeere konnten nun jedoch ein Vielfaches von diesen Geschosse speienden Ungetümen auf übereinanderliegenden Decks tragen. Weniger Soldaten, mehr Kanonen, so ließe sich der Entwicklungstrend vereinfacht zusammenfassen.

Und neben der Möglichkeit, dass Kriegsschiffe nicht mehr nur im Enterkampf Bordwand an Bordwand liegen mussten, sondern sich auch in Artillerieduellen auf weitere Distanzen beschießen konnten, gab es einen weiteren Effekt: Mit den Kanonen ließ sich nun die Möglichkeit der Gewaltausübung bis in die entferntesten Regionen der Erde transportieren, ohne dass dafür noch große Soldatenmengen untergebracht und für diese enorme Wasser- und Nahrungsvorräte gebunkert werden mussten. Massenausfälle durch Mangelkrankheiten verloren ihren Schrecken, denn Kanonen bekommen keinen Skorbut. Somit ist klar, dass die vermehrte Verwendung von Kanonen auf Kriegs- und über einen langen Zeitraum auch auf Handelsschiffen – letztendlich eine Art von risikoarmem Transport von Gewalt – eine entscheidende Bedingung für die erfolgreiche Eroberung neuer und oft weit entfernter Gebiete durch europäische Mächte darstellte.

Die Konstruktion von kanonenbestückten Segelschiffen dürfte jedoch eines der schwierigsten Probleme des vorindustriellen Europas gewesen sein, wie der Marinehistoriker Jan Glete herausfand und wie man es sich leicht ausrechnen kann: Die für weite Schussentfernungen notwendigen Langrohrkanonen mit größerem Kaliber besaßen ein beeindruckendes Gewicht. So brachte ein 24-Pfünder aus Gusseisen, der Eisenkugeln von zwölf Kilogramm verschießen konnte, etwa zweieinhalb bis drei Tonnen auf die Waage. Einhundert solcher Ungetüme wogen also allein schon 300 Tonnen, etwa das Doppelte, was frühere portugiesische und spanische Karavellen als Gesamtverdrängung besaßen. Sowohl das Eigengewicht der Kanonen als auch die für diese notwendigen stabileren Konstruktionen der Kanonendecks machten die Schiffe immer schwerer, was gelegentlich zu Beeinträchtigungen bei der Manövrierfähigkeit führte. Und mitunter konnte das im wahrsten Sinn des Wortes auch schiefgehen: Die Galeone Vasa, eines der großen Kriegsschiffe, die König Gustav II. Adolf von Schweden (reg. 1611–1632) ab 1625 bauen ließ, besaß 64 Kanonen erstmals auf zwei Decks. Doch das Prestigeobjekt des Königs kenterte 1628 nach einer einfallenden Bö schon im Hafen von Stockholm und versank, ohne auch nur eine Seemeile auf offenem Meer zurückgelegt zu haben. Zu viele Kanonen und ein etwa 20 Meter über dem Wasserspiegel liegender Achteraufbau waren dem damit viel zu instabilen Schiff zum Verhängnis geworden.

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