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Der Wettstreit um Prestige
ОглавлениеIm 15. Jahrhundert wurden in Europa die schiffstechnischen und nautischen Grundlagen für zukünftige Weltumfahrungen gelegt. Seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts kam es dann zu Erdumrundungen zur See, von denen die unter der Führung von Fernão de Magalhães (1480–1521) begonnene Expedition von 1519 bis 1522 die berühmteste sein dürfte, weil zum ersten Mal einer Hand voll Männern auf einem Schiff eine vollständige Umfahrung gelang. Von nun an versuchten in den nächsten zwei Jahrhunderten in dichter Folge Seefahrer aus Spanien, England, Frankreich oder den Niederlanden bei ihren erdumspannenden Fahrten neue Länder zu entdecken, handelspolitisch zu durchdringen oder gleich zu erobern. James Cook (1728–1779) etwa brach ab 1768 dreimal zu solchen Fahrten auf und wurde damit zum vielleicht bedeutendsten Entdecker am Beginn der modernen Welt. Im 19. Jahrhundert hatten dann auch fast 30 russische Expeditionen dezidiert eine Weltumsegelung zum Ziel. Von jenen Fahrten dürfte die von 1815 bis 1818 dauernde Rurik-Expedition wegen der persönlichen Teilnahme und literarischen Verarbeitung durch den Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso (1781–1838) in den europäischen Erinnerungen am deutlichsten präsent sein. Ohnehin gehörte es im 19. Jahrhundert zum Prestige und Selbstverständnis der sich formierenden europäischen Nationen, Schiffe ihrer jeweiligen, wenn auch noch so kleinen Kriegsmarinen die Erde umrunden zu lassen, Preußen etwa in den Jahren 1822 bis 1824, Schweden von 1839 bis 1842 oder die k. u. k. Marine Österreich-Ungarns von 1857 bis 1859.
In eine solch geartete Kategorie der Vermehrung des Nationalprestiges dürfte auch die erste „Umtauchung“ der Welt fallen, die 1960 dem U-Boot USS Triton innerhalb von 60 Tagen gelang und die belegen sollte, dass US-Militärs technisch in der Lage waren, praktisch zeitlich unbegrenzte Unterwasseroperationen ausführen zu können. Eine Art literarischer Vorlage dazu hatte vielleicht erneut Jules Verne geliefert, als er den im Roman Vingt mille lieues sous les mers auftretenden Kapitän Nemo ein Unterseeboot befehligen ließ, das, elektrisch betrieben, unendlich tauchen und unter Wasser an die 100 Kilometer pro Stunde fahren konnte. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass jener Preis, der für die schnellste Weltumrundung per Segelboot vergeben wird, als Trophée Jules Verne bezeichnet wird. Diese Trophäe hatte im Januar 2012 die französische Rennjacht Banque Populaire V mit einem sensationellen Rekord errungen: In nicht ganz 46 Tagen hatte der Trimaran unter dem Skipper Loïck Peyron (*1959) die Erde, entlang der südlichen Kaps segelnd, umrundet, ein Törn, der in den Gewässern der Roaring Forties – so nennen Segler die Gewässer zwischen dem 40. und 50. südlichen Breitengrad mit ihren praktisch ohne Landhindernisse dahinjagenden Westwinden und dem daraus resultierenden angsteinflößend hohen Seegang – alles andere als eine gemütliche Spazierfahrt gewesen sein muss.
Der Luftraum hingegen geriet in Ermangelung tauglicher Luftfahrzeuge erst spät in den Blick ehrgeiziger Weltumrunder. Immerhin brauchte 1929 das Luftschiff Graf Zeppelin dafür 35 Tage. Flugzeuge schafften das Umfliegen der Erde schon seit 1924, doch mussten die Maschinen auf ihrem Weg immer wieder landen, um neuen Kraftstoff aufzunehmen. Erst 1986 konnte ein Flugzeug den Erdball umfliegen, ohne zwischendurch betankt zu werden. Die schnellste Erdumrundung gelang dem französischen Überschalljet Concorde. Sie flog im August 1995 in etwas mehr als 31 Stunden um die Erde, ein Rekord, den bisher noch kein anderes Flugzeug brechen konnte. Die Internationale Raumstation ISS jedoch umkreist die Erde, also die Erfüllung jenes klassischen europäischen Topos, in nur noch rund eineinhalb Stunden. Das ist etwa dieselbe Zeitspanne, die schon die erste Erdumrundung im Weltraum 1961 durch den sowjetischen Kosmonauten Juri Gagarin (1934–1968) gedauert hatte. Aus dieser Perspektive gesehen, ist die Erde tatsächlich zu einem schnell zu umrundenden Ball geworden.