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Marion Meyer

Kilikien: örtliche Gegebenheiten und archäologische Evidenzen

1. Das Ebene Kilikien – Geographie und Geschichte

Die Diskussion um die Heimat Homers betrifft den östlichen Teil der Landschaft Kilikien, das so genannte Ebene Kilikien. Es schließt an das gebirgige Raue Kilikien an und erstreckt sich nördlich der am weitesten im Nordosten gelegenen Küste des Mittelmeers. Diese fruchtbare Schwemmebene, auf türkisch Çukurova (hohle Ebene) genannt, wird im Westen und Norden bogenförmig von Ausläufern des Tauros bzw. Antitaurosgebirges, im Osten vom Amanosgebirge umschlossen und von den in diesen Bergen entspringenden Flüssen Kydnos (Tarsus Çayı), Saros (Seyhan) und Pyramos (Ceyhan) durchzogen. Die Flüsse änderten im Laufe der Zeit mehrmals ihren Lauf; das Aussehen der Küstenregion hat sich nicht nur durch die heftige Industrialisierung der letzten Jahrzehnte erheblich gewandelt. Die Berge des Amanos im Osten reichen nahe an das Meer heran; die Südausläufer des Tauros und Antitauros im Norden der Ebene sind hingegen ca. 50 bis 60 Kilometer vom Meer entfernt, so dass man den nördlichen Teil der Çukurova nicht als Küstenregion wahrnimmt.

In der Antike wurde die Fruchtbarkeit der Ebene sehr geschätzt. Man erntete Oliven und Obst; ferner gab es eine bedeutende Pferdezucht. Der Tauros lieferte wertvolle Bodenschätze (Eisen, Blei, Silber) und Holz für Schiffe. Der Tribut Kilikiens an die achämenidischen Könige bestand aus 360 weißen Pferden und 500 Silbertalenten (Herodot 3,90)1.

Man könnte bei diesen geographischen Gegebenheiten meinen, die sich anbietenden Verkehrswege seien die zur See gewesen: nach Süden und von Süden. Zu manchen Zeiten waren die Landwege anscheinend die wichtigeren Verbindungen: Drei Pässe ermöglichten den Übergang in die Nachbargebiete, die Kilikische Pforte nach Inneranatolien, die Amanische Pforte nach Kommagene und Mesopotamien und die Syrische Pforte in die Amuq-Ebene und nach Syrien, und diese Pässe wurden seit dem 7. Jahrtausend v. Chr. für Handelsrouten genutzt. Kilikien war ein klassisches Durchgangsland.2 Im 2. und frühen 1. Jahrtausend v. Chr. war die politische Geschichte und die Kulturgeschichte der Ebene geprägt durch die Landnachbarn im Norden und im Osten. Kulturell gehörte Kilikien in dieser Zeit zu Anatolien, mit engen Verbindungen zum syromesopotamischen Raum. Unter dem Namen Kizzuwatna war das Gebiet um 1500 v. Chr. unabhängiges Königreich, seit ca. 1350 v. Chr. Teil des hethitischen Großreiches. Hauptort war Adanija (Adana), erstmals erwähnt in hethitischen Quellen um die Mitte des 16. Jahrhunderts v. Chr. Die Sprache war das mit dem Hethitischen verwandte Luwisch; mit den Hethitern teilten die Kilikier Religion und Kulte, wobei sie als maßgeblich verantwortlich für die Vermittlung hurritischer Gottheiten und Religionsgebräuche vom Mitanni-Reich an die Hethiter angesehen werden.3 Dass sich das Land nach Süden zum Meer öffnete und die Nordküste Zyperns und die Küste Syriens sozusagen vor der Tür liegen, weniger als hundert Kilometer entfernt, scheint in der Zeit des hethitischen Großreiches eine geringere Rolle gespielt zu haben.

Nach dem Zusammenbruch dieses Reiches um 1200 v. Chr. etablierten sich in Südostanatolien und Nordsyrien die so genannten hethitischen Nachfolgestaaten, die sprachliche und ethnische Unterschiede, hinsichtlich der materiellen Kultur aber weitgehende Gemeinsamkeiten aufweisen. Seit dem 9. Jahrhundert v. Chr. expandierte das neuassyrische Reich in diese von den Assyrern so genannten Hatti-Länder, und seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. schlug sich die assyrische Oberherrschaft auch in massiver Rezeption von Assyrischem in der materiellen Kultur nieder.4

Vom Schicksal Kilikiens in dieser Zeit erfährt man hauptsächlich aus den Annalen der assyrischen Könige. Es liegt in der Natur dieser Quellen, dass das Land immer dann erwähnt wird, wenn ein Feldzug unternommen und/oder ein Aufstand niedergeschlagen wurde. Hinzu kommen epigraphische Zeugnisse von einheimischen Herrschern, dem Herrn der Burg von Karatepe, Azatiwada, und einem lokalen König namens Warikas, die beide im späten 8. Jahrhundert v. Chr. bzw. auch noch im frühen 7. Jahrhundert v. Chr. (Azatiwada) lebten. Aus diesen punktuellen Quellen eine kohärente Geschichte dieser Jahrzehnte zu schreiben, bedarf wohl dichterischer Inspiration.5

2. Kontakte zum Ägäisraum

Nicht nur in Bezug auf Detailfragen, auch in Bezug auf größere Zusammenhänge gibt es eine Reihe von offenen Fragen, die beim jetzigen Wissensstand wohl auch offen bleiben müssen: Was geschah nach dem Zusammenbruch des hethitischen Großreiches? Kamen im Zuge des so genannten Seevölkersturms griechische Zuwanderer ins Land? Wie stand es in der Folgezeit mit griechischen Interessen an diesem Gebiet? Welche Interessen hatten die Phöniker? Welche Auswirkungen hatte die assyrische Oberherrschaft auf die Kultur Kilikiens?

Ich will mich auf die Frage nach der Präsenz von Griechen in Kilikien im späten 2. und frühen 1. Jahrtausend v. Chr. konzentrieren, weil archäologisches Material bei der Erörterung dieser Frage immer wieder herangezogen wird. Es ist zu prüfen, welche archäologischen Zeugnisse es für das späte 2. und frühe 1. Jahrtausend v. Chr. gibt – und welche Rückschlüsse sie zulassen.

2.1. Mopsos in Adana: Zuwanderer aus dem Ägäisraum?

Adana, jetzt die fünftgrößte Stadt der Türkei, ist aus hethitischen Quellen des mittleren 16. Jahrhundert v. Chr. als der zentraler Ort dieser Region bekannt, und es behielt diese Bedeutung bis ins 6. Jahrhundert v. Chr.6 Es gibt eine Siedlungskontinuität bis zum heutigen Tag. Die Lage des antiken Siedlungshügels ist bekannt: der Tepebağ Höyük ist eine niedrige, breite Erhebung am Flussufer des Saros. Grabungen in den 1930er Jahren sind jedoch über Schichten der hellenistischen Zeit nicht weiter vorgedrungen.7

Zwei Bilinguen, die im späten 8. Jahrhundert v. Chr. jeweils in der lokalen Schrift und Sprache (hieroglyphen-luwisch) und auf phönikisch verfasst wurden und in Çineköy (südlich von Adana) bzw. Karatepe gefunden wurden, belegen, dass Adana zu dieser Zeit der Sitz des lokalen Königs war.8 Als Gründer der Dynastie wird ein Mann genannt, dessen Name in diesen Inschriften Muksas bzw. Mopsos lautet.9 Manche sehen in diesen Zeugnissen eine Bestätigung der griechischen Quellen, denen zufolge der Seher Mopsos nach dem Trojanischen Krieg aus Kleinasien nach Kilikien zog und dort die Städte Mopsuhestia, Mopsukrene und Mallos gründete.10 Auf die (fiktiven) Angaben zur Chronologie,11 aber auch den sprachwissenschaftlichen Streit über den Ursprung des Namens Muksas/Mopsos (mykenischgriechisch oder anatolisch)12 braucht nicht weiter eingegangen zu werden. Namensgleichheit oder -ähnlichkeit ist eine unsichere Basis für eine Entscheidung über die Identität des lokalen Dynastiegründers mit dem griechischen Seher. Überzeugend ist das Szenario, das R. Lane Fox kürzlich entwarf, demzufolge Griechen, die nach Kilikien kamen und den Namen des lokalen Dynastiegründers erfuhren, in diesem ihren Seher ›wiederfanden‹ – und den griechischen Mopsos in Kilikien ›lokalisierten‹.13

Die vieldiskutierte Frage einer möglichen Zuwanderung eines Muksas/ Mopsos ist im vorliegenden Zusammenhang insofern von Relevanz, als die Herrscher des »Hauses des Mopsos« im 8. Jahrhundert v. Chr. in Adana residierten. Hinsichtlich des Herrschaftssitzes gab es also eine Kontinuität von der Bronze- in die Eisenzeit. Das besagt freilich nichts über die Kontinuität von Herrscherlinien und Herrschaftsformen. Wäre ein Mopsos zugewandert und hätte er das Königreich übernommen, wäre nur für den (rein hypothetischen) Fall, dass zugleich die gesamte Führungsschicht ausgewechselt worden wäre, ein Kulturwandel zu erwarten, der archäologische Spuren hinterließ.

2.2. Archäologische Evidenzen: 14. bis 8. Jahrhundert v. Chr.

Für die späte Bronzezeit und frühe Eisenzeit sind die Befunde der wenigen Grabungsplätze sowie Oberflächenfunde von Surveys relevant.

Im Westen des Ebenen Kilikien wurden in den 1930er Jahren Grabungen in der Stadt Tarsos (an der alten Handelsstraße von der Kilikischen Pforte nach Osten gelegen), in der Küstenstadt Mersin und in Kazanlı (zwischen Mersin und Tarsos) durchgeführt. In Tarsos ermittelte ein amerikanisches Team in dem Gözlükule genannten Siedlungshügel 33 Schichten von neolithischer bis frühmittelalterlicher Zeit. 2001 wurden die Arbeiten von türkischer Seite wieder aufgenommen.14 In Mersin-Yumuktepe wurden Schichten vom Neolithikum bis ins Mittelalter festgestellt; seit 1997 wird dort wieder gegraben.15 Die Forschungen in Kazanlı erbrachten Funde und Befunde aus der Zeitspanne von der Frühbronzezeit bis ins mittlere 1. Jahrtausend v. Chr.16

In jüngster Zeit sind für die hier interessierende Periode vielversprechende Grabungsprojekte im östlichen Teil des Ebenen Kilikien angelaufen.

Kinet Höyük, der größte Siedlungshügel im östlichen Kilikien, liegt 30 Kilometer nördlich von Iskenderun zwischen dem Golf von Issos und dem bis auf wenige Kilometer an die Küste herantretenden Amanosgebirge, an der Landroute zur Syrischen Pforte und mit Kontrolle über die Ebene, auf der im Jahre 333 v. Chr. die Schlacht zwischen Alexander und Dareios stattfand. Die antike Siedlung befand sich auf einem Landvorsprung an der Mündung eines Flusses, mit einem Hafen im Norden und einem im Süden. Sie ist wahrscheinlich mit der von den Griechen Issos genannten Stadt zu identifizieren.17 Seit 1992 wird Kinet Höyük von der Bilkent Universität bei Ankara ausgegraben. Es war seit dem Chalkolithikum kontinuierlich besiedelt, bis es im mittleren 1. Jahrhundert v. Chr. aufgegeben wurde. Seit dem späten 16. Jahrhundert bis zum Ende des hethitischen Großreichs gehörte die Stadt nach der Evidenz der materiellen Kultur, vor allem der Keramik, zum hethitschen Kulturkreis.18

Sirkeli Höyük liegt am Durchbruch des Pyramos durch die Misisberge, an dem alten Verkehrsweg, der vom 40 Kilometer westlich gelegenen Adana nach Osten und weiter über die Amanische Pforte nach Kommagene bzw. nach Südosten über die Syrische Pforte in die Amuq-Ebene und nach Syrien hinein führt.19 Hier gräbt seit 2006 ein deutschtürkisches Team eine Siedlung aus, die vom Chalkolithikum bis in die Kaiserzeit bestand.20

In Misis, einer der Städte, die in der Antike den Namen des Mopsos trug (Mopsos bzw. Mopsuhestia), sowie in der östlich des Ortes gelegenen Flussregion führt seit 2000 ein italienisches Team Surveys durch, mit dem dezidierten Ziel, der Frage der »Greek presence in the area« nachzugehen und »to explore the characteristics, extent and nature of this presence«.21

Das in Misis arbeitende Team unterscheidet auf theoretischer Ebene drei Stufen des Kontaktes: Handelskontakte mit dem Ägäisraum (Funde von Keramik oder Prestigegütern in lokalem Kontext), Kontakte mit griechischen Kolonien in Kilikien (die sich durch eine Vielzahl von Merkmalen, die für einen bestimmten geographischen und kulturellen Raum spezifisch sind, von lokalen Siedlungen mit lokalen Merkmalen abheben), und nicht zu konkretisierende Kontakte, die zu Akkulturationsphänomenen führten (das heißt zu Phänomenen, die Merkmale sowohl der griechischen als auch der lokalen Kultur aufweisen).22 Hinzuzufügen ist, dass sowohl Handel als auch die Rezeption von Phänomenen ägäischer Kultur auf direkter Ebene (Kontakte zwischen Personen aus dem Ägäisraum und Kilikiern) wie auf indirekter (über Mittelsmänner bzw. verschiedene Stationen der Rezeption) erfolgen kann.

In der Zeit vor dem 8. Jahrhundert, das heißt vor dem Beginn der so genannten Großen Kolonisation, beschränken sich archäologische Zeugnisse für direkten oder indirekten Kontakt mit dem Ägäisraum auf Keramik.

Als das Ebene Kilikien zum hethitischen Großreich gehörte (bis zu dessen Ende ca. 1200 v. Chr.), wurde dort – wie auch in anderen hethitisch beherrschten Regionen – sehr wenig Keramik importiert; das gilt sowohl für Ware aus Zypern, die im Westen wie im Osten von Kilikien selten ist,23 wie auch für mykenische Keramik aus dem Ägäisraum.24 In den Grabungsstätten Tarsos, Mersin und Kazanlı sowie an zwei Orten südlich von Adana kamen insgesamt ca. zwanzig Fragmente von Keramik zutage, die Phasen vor SH IIIC, das heißt vor 1200 v. Chr., zuzuordnen sind.25

Das ist im benachbarten Zypern anders. Auf der Insel gibt es große Mengen von mykenischer Importkeramik älterer Phasen (SH IIIA bis SH IIIB1), vor allem im Südosten. Auf Zypern begann man bereits im späten 13. Jahrhundert v. Chr. mit lokaler Produktion von Keramik mykenischen Typs, so genannten Nachahmungen. Diese wurde dann auch exportiert. Auf Zypern angefertigte Ware mykenischen Typs fand man in Ugarit in Schichten, die kurz vor der Zerstörung um 1200 v. Chr. anzusetzen sind,26 und auch für die in Kilikien gefundene mykenische Keramik aus der Zeit vor ca. 1200 v. Chr. nimmt Ch. Mee zyprische Provenienz an.27 S. Sherratt und J. Crouwel sehen in der lokalen zyprischen Produktion von Keramik mykenischen Typs einen Ersatz für Importe originaler mykenischer Keramik, einen Import, der auf Zypern gegen Ende des 13. Jahrhundert v. Chr. offenbar ausblieb.28

Die Masse der in Kilikien gefundenen Keramik, die als ›mykenisch‹ klassifiziert wurde, gehört der Phase SH IIIC an (12. Jahrhundert v. Chr.). Das gilt für das bei den Grabungen29 in Tarsos und Kazanlı zutage gekommene Material30 wie für die bei Survey-Unternehmen der 1930er und 1950er Jahren an 21 weiteren Orten als Oberflächenfunde geborgenen Stücke.31 Es ist allerdings die Frage, ob diese Keramik tatsächlich aus dem Ägäisraum kam bzw. wie hoch der Anteil an Importkeramik ist. Schon beim ersten Survey (1930) unterschied E. Gjerstad zwischen importierter und lokaler (von ihm helladokilikisch genannter) Ware.32 Auf diesem Gebiet hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht.33 Für die Masse des Materials aus Tarsos konnte E. French in den 1970er Jahren feststellen, dass es sich um lokal hergestellte Ware handelt, die Keramiktypen und -stil aus dem Ägäisraum imitiert.34 Man machte also in Kilikien das Gleiche wie die Zeitgenossen auf Zypern: man produzierte eigene Keramik nach dem Vorbild der ägäischen. Dafür ist die Präsenz von Musterstücken vorauszusetzen, der Anteil der Importkeramik aus dem Ägäisraum aber gering zu veranschlagen (im Gegensatz zu Keramik aus Zypern, die nach dem Ende des hethitischen Großreichs häufig in Kilikien eingeführt wurde und auch zyprische Nachahmungen mykenischer Keramik einschloss).35 Welcher Prozentsatz der Altfunde nicht, wie ursprünglich angenommen, importiert, sondern lokal produziert wurde, lässt sich nicht mehr genau feststellen, da mehr als die Hälfte des bei den Surveys von M.V. Seton-Williams geborgenen Materials verlorenging.36 Im Licht der neueren Forschungen reichen die Fundplätze ägäischer Importkeramik jedenfalls nicht, wie von M.V. Seton-Williams kartiert, im Osten bis zu einer Linie, die in südlicher Verlängerung auf den nördlichsten Teil des Golfes treffen würde,37 sondern konzentrieren sich auf die Region um Mersin und Tarsos im Westen, mit Einzelfunden bis südlich von Adana.38

Der beträchtliche Verlust der Altfunde, die insgesamt geringe Gesamtzahl des fraglichen Materials sowie die Gewissheit, dass in den letzten Jahrzehnten an vielen Stätten Kilikiens noch nicht erforschte archäologischer Befunde unwiederbringlich verloren gingen und verloren gehen,39 schränken die Basis für Schlussfolgerungen stark ein. Mit der gebotenen Vorsicht lässt sich Folgendes sagen:

Wo sich in Kilikien der Übergang von der Zeit des hethitischen Großreichs zum 12. Jahrhundert v. Chr. verfolgen lässt, ist zweierlei festzustellen: ein Fortbestand der bestehenden Kultur auf niedrigerem Niveau und die Aufnahme von Impulsen von außen – allerdings nicht notwendigerweise aus dem Ägäisraum.

Die Ausgräber von Tarsos interpretieren die Schicht, aus der die Keramik der Phase SH IIIC stammt, als Beleg für eine ärmliche Siedlungsphase nach der Zerstörung der hethitischen Stadt um 1200 v. Chr.40 Eine Dissertation über spätbronzezeitliche Architektur und Keramik in Tarsos kam zu dem Ergebnis, das einzige neue Element nach 1200 v. Chr. sei mykenische Keramik der Phase SH IIIC, ansonsten habe die frühere Kultur weiterbestanden.41 Mittlerweile wurden auch in der traditionellen einheimischen Keramik dieser Übergangszeit Neuerungen festgestellt; diese weisen auf inneranatolische Verbindungen42. Die seit dem späten 9. Jahrhundert v. Chr. in der Stadt nachzuweisende griechische (vorwiegend ostgriechische) Importkeramik macht zusammen mit der zahlreicher angetroffenen zyprischen Keramik im Zeitraum von ca. 850 v. Chr. bis zur Zerstörung der Stadt im Jahre 696 v. Chr. nur etwa zehn Prozent der gesamten Keramik aus.43 In Tarsos gefundene Keilschrifttäfelchen des 7. Jahrhundert v. Chr. belegen ausschließlich luwische Namen.44

In Mersin-Yumuktepe wurde keine Keramik der Phase SH IIIC gefunden; hier gibt es bis ca. 700 v. Chr. fast ausschließlich lokale und zyprische Produktion.45

In Kinet Höyuk wurde vor kurzem eine Phase ergraben, die durch zyprische Importe in das frühe 12. Jahrhundert v. Chr. zu datieren ist und »subhethitisch« genannt wurde, weil die Keramik Traditionen der früheren Zeit weiterführt, allerdings auf weniger hohem Niveau, mit zuvor ungewohnter Relation von Ware und Gefäßtypus, und – anders als zuvor – ohne Töpfermarken. Diese subhethitische Phase wurde durch ein Erdbeben beendet.46 Im 9. und 8. Jahrhundert v. Chr. wurde überwiegend kyprischkilikische Keramik benutzt, Importe gibt es nur wenige (darunter einige euböische Skyphoi). Ein Kulturwandel gegen Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. wird als Konsequenz einer neuassyrischen Besatzung interpretiert.47

Es zeichnet sich also für Kilikien ab, dass nach dem Ende des hethitischen Großreiches eine Art Neuorientierung stattfand. Es wurden Kontakte zur See aufgenommen oder intensiviert – auf jeden Fall mit Zypern und, was den westlichen Teil des Ebenen Kilikiens betrifft, möglicherweise auch zum Ägäisraum. Dabei ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass die in sehr geringer Anzahl in Kilikien gefundene importierte mykenische Keramik über Zypern ins Land kam.

Grundsätzlich ist der Nachweis griechischer Importkeramik allein kein ausreichendes Kriterium für den Nachweis einstiger griechische Präsenz an den Fundstätten.48 Die (insgesamt geringen) Funde von Keramik aus dem Ägäisraum wie auch die lokale Produktion von Nachahmungen mykenischer (und submykenischer sowie protogeometrischer und geometrischer49) Keramik bezeugen nicht einmal direkte Kontakte zwischen Mykenern bzw. Griechen und Kilikiern. Die im östlichen Mittelmeergebiet gefundene Keramik aus dem Ägäisraum kann über mehrere Stationen verhandelt und als Alternative zu traditionellen lokalen Waren nachgemacht worden sein, wie beispielsweise die Surveyergebnisse in der vom Mittelmeer durch das Amanusgebirge abgetrennten Amuq-Ebene zeigen.50

Gegen die Annahme einer Zuwanderung von Mykenern bzw. Griechen im 12. Jahrhundert v. Chr. spricht, dass Keramik in Kilikien das einzige Zeugnis mykenischer materieller Kultur ist. Es gibt keine sonstigen archäologischen Funde, die Kontakte (direkte oder indirekte) zum Ägäisraum belegen. Bei den dürftigen Befunden für das spätbronzezeitliche bzw. früheisenzeitliche Kilikien mag das als nicht sehr aussagekräftig erscheinen. Für Zypern lässt sich ein deutlicheres Bild gewinnen. Auf der Insel gibt es im 11. Jahrhundert v. Chr. auch Gräber mykenischen Typus (Kammergräber), ferner griechische Sprachzeugnisse.51 Man könnte von einer ›Achäisierung‹ der Insel sprechen. Davon kann, was das Ebene Kilikien betrifft, beim derzeitigen archäologischer Kenntnisstand nicht die Rede sein, für das 12. Jahrhundert v. Chr. nicht und auch lange danach nicht.52 Eine mögliche Präsenz von Einzelpersonen oder kleiner Gruppen ist mit archäologischen Zeugnissen nicht auszuschließen, aber eben auch nicht zu fassen.

2.3. Archäologische Evidenzen: 8. bis 6. Jahrhundert v. Chr.

Wenden wir uns der Zeit der griechischen Kolonisation zu:

In der Sicht der griechischen Quellen ist Soloi, die westlichste Hafenstadt des Ebenen Kilikiens, eine Gründung von Lindos auf Rhodos aus der Zeit um 700 v. Chr., und Nagidos und Kelenderis, beides Hafenstädte im Rauen Kilikien, werden als Gründungen von Samos präsentiert.53 Soloi wäre damit die östlichste griechische Siedlung in Kilikien in vorhellenistischer Zeit.54 Es sind aber Zweifel an der historischen Zuverlässigkeit der griechischen Darstellungen aufgekommen.55 Polybios (21, 24,10) berichtet, die Rhodier hätten sich für Soloi eingesetzt, weil es mit ihnen verwandt und wie sie eine argivische Gründung sei. Das sieht verdächtig nach einer Konstruktion aus Gründen politischer Opportunität aus. Die seit 1999 in Soloi laufenden archäologischen Untersuchungen können hier eventuell Klarheit schaffen. Befunde und Funde aus der Hethiterzeit zeigen, dass es am Ort bereits eine Siedlunglange vor der Ankunft der Griechen gab. Der bisher veröffentlichten Keramik des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. ist nicht zu entnehmen, dass ihr Spektrum von dem anderer Fundorte an der kilikischen Künste abwiche; spezifisch rhodisches Material wurde jedenfalls nicht vorgelegt.56 Für Nagidos im Rauen Kilikien hat sich interessanterweise ergeben, dass die dort gefundene früheste Keramik, die aus der 2. Hälfte des 7. und dem Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. stammt, lokal oder kyprisch ist. Aus dem griechischen Raum importiert wurden einige ionische Vogelschalen, aus Zypern kamen zahlreiche Imitationen griechischer Keramik. Die für diese Zeit so charakteristische ostgriechische Keramik (»wild goat« und Fikellura) fehlt hingegen, ebenso korinthische Ware. Die frühe Terrakottaproduktion in Nagidos ist lokal, Typen und Stil sind kyprisch. Das veranlasst die Ausgräberin zu dem Schluss, dass die ersten Siedler von Nagidos aus Kleinasien und Zypern kamen. Erst seit dem späteren 6. Jahrhundert v. Chr. verdichten sich für Nagidos die archäologischen Indizien für Handelsverkehr mit dem Ägäisraum.57

Generell ist allerdings festzustellen, dass seit etwa 800 v. Chr. mit griechischer Keramik in Kilikien zu rechnen ist58. Im 7. Jahrhundert v. Chr. kommt vor allem ostgriechische Keramik ins Land, und zwar auch die in Nagidos vermissten, für das späte 7. und frühe 6. Jahrhundert v. Chr. typischen Gattungen.59 Interessant ist hier der Befund ganz im Osten. In Kinet Höyük zeichnet sich der Ausgräberin zufolge im 7. und frühen 6. Jahrhundert v. Chr. ein »shift from a Cypro-Cilician regional culture to a broader eastern Mediterranean one, dominated by Aegean influence« ab, festzustellen an griechischer Importkeramik, die relativ weit gestreut ist (Ostgriechisches, aber auch Korinthisches und Attisches).60 Im Verlauf des 7. Jahrhunderts v. Chr. begann man mit lokalen Nachahmungen griechischer Ware (was sich durch die Funde von Töpferöfen und Materialanalysen beweisen lässt).61 Dies passierte in einem Umfeld, das politisch geprägt war von der assyrischen Oberherrschaft und kulturell von den so genannten hethitischen Nachfolgestaaten.62

Die Teilnahme an einer ostmediterranen, von Griechen des Ägäisraums geprägten Kultur war offenbar auf die Küstenregion beschränkt. Im Hinterland sind Funde von Objekten, die Kontakte mit dem Ägäisraum belegen, für den Zeitraum des 8. bis 1. Jahrhundert v. Chr. äußerst spärlich.63

2.4. Zwischenbilanz

Wenn man die archäologischen Evidenzen im Hinblick auf griechisches Kulturgut in Kilikien auf den Punkt bringen will, muss man sagen, dass das Material für Direktkontakte noch weniger aussagekräftig ist als geläufig angenommen wird.

Seit dem 12. Jahrhundert v. Chr. ist die materielle Kultur des Ebenen Kilikiens anscheinend stark von Zypern geprägt. Auf Zypern wiederum regten intensive Kontakte bereits während der mykenischen Palastzeit Imitationen von mykenischer Keramik an, die wiederum in die Nachbarregionen exportiert wurde. Sowohl bei nachgemachter griechischer Keramik wie auch bei Importstücken griechischer Provenienz ist daher zumindest mit der Möglichkeit zu rechnen, dass sie über Zypern nach Kilikien gekommen sind und damit nicht einmal Primärkontakte belegen.

Selbst für die Zeit der griechischen Kolonisation, in der ostgriechische, aber auch korinthische und attische Keramik im kilikischen Raum sogar den Ostrand der Ebene erreichte, sind griechische Gründungen nicht sicher nachzuweisen. Grundsätzlich können Funde griechischer Keramik, sofern sie die einzigen Zeugnisse aus dem Ägäisraum sind, keine Evidenz für griechische Ansiedlungen sein.64 Keramik griechischer Provenienz in Kilikien ist ein sicheres Indiz für Handelskontakte – und diese können direkte oder indirekte gewesen sein.

In der Zeit um 700 v. Chr. gab es allerdings auch andere Arten von Kontakt. 715 v. Chr. schlug die assyrische Armee Sargons II. einen Aufstand nieder, der von Phrygien ausgegangen war und an dem auch Griechen beteiligt waren (in Sargons Annalen werden Ionier mit Wohnsitzen mitten im Meer erwähnt).65 Im Jahre 696 v. Chr. gelingt Sargons Sohn Sanherib der Sieg über einen im Rauen Kilikien ansässigen Rebellen, der von Tarsos und Ingirra im westlichen Ebenen Kilikien und anscheinend auch von Griechen unterstützt worden war. In den Annalen dieses Königs ist von gefangenen ionischen Seeleuten die Rede.66

2.5. Archäologische Evidenzen: die Reliefs von Karatepe

In diesem Zusammenhang ist eines der Reliefs der Burg von Karatepe, um 700 v. Chr. angefertigt, von Interesse. Am Nordtor ist ein Schiff zu sehen, das durch den Rammsporn als Kriegsschiff zu erkennen ist (Abb. 2). Nach der überzeugenden Analyse von A. Özyar handelt es sich um ein Schiff ägäischen Typs, kein phönikisches.67 Es belegt somit die Kenntnis solcher Schiffe in Kilikien um 700 v. Chr. und ist damit eine visuelle Parallele zu den Angaben über Begegnungen mit griechischen Schiffen in den oben genannten assyrischen Schriftquellen. Im Unterschied zu Reliefs in neuassyrischen Residenzen sind die Reliefs in Karatepe aber keine visuelle Unterstützung königlicher Tatenberichte. Sofern sie keine mythischen Szenen wiedergeben, schildern sie generische Situationen und Rituale (Krieger, Bankette, Opfer, Tänze), keine einmaligen Ereignisse.68 Das Kriegsschiff ist denn auch nicht in einer Interaktion dargestellt und nicht mit weiteren Szenen verbunden.

Da die Reliefs von Karatepe bei der Diskussion um griechische Präsenz in Kilikien auch eine Rolle spielen, sollen einige Bemerkungen zu ihnen angeschlossen werden.

Die Burg von Karatepe ist sicher die eindrucksvollste archäologische Stätte Kilikiens aus der frühen Eisenzeit. Der am Ufer des Pyramos und an den südlichen Ausläufern des Taurosgebirges in hügeligem Bergland gelegene Fürstensitz mit einer Residenz und einem Befestigungsring mit zwei mächtigen Toranlagen wurde 1946 von einem Archäologenteam der Universität Istanbul entdeckt und in den folgenden Jahrzehnten erforscht und restauriert. Berühmt geworden ist der Ort vor allem wegen der Orthostatenreliefs der beiden Tore. Sie bereichern das Repertoire der so genannten späthethitischen Reliefs um eine ganze Reihe von sonst nicht bekannten Szenen (darunter die besprochene Schiffsszene). Aufgrund der bilinguen Inschrift, die zusammen mit den Reliefs geplant und angebracht wurde, datiert die Ausgräberin den Komplex in die Jahre um 700 v. Chr.69

Raoul Schrott war von der Anlage so beeindruckt, dass er in ihr das Vorbild für Homers Troja sah.70 Nun lässt sich mit archäologischen Evidenzen nicht beweisen, wovon sich ein Dichter inspirieren lassen konnte oder auch nicht – mag der Dichter Homer oder Schrott heißen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Karatepe ca. 40 Kilometer Luftlinie von der Küste entfernt liegt. Belagerer dieser Stadt würden sich nicht regelmäßig zu einem Schiffslager zurückziehen können. Die Burg liegt auf einem steilen Hügel und wurde im Osten vom Pyramos und im Süden von einem Zufluss des Pyramos umgeben (jetzt liegt sie als Halbinsel an einem Stausee, Abb. 1). Weder ist es möglich, von den Stadtmauern Kämpfenden zuzusehen, noch ist es möglich, jemanden um die Stadt zu jagen oder zu schleifen. Die große Götterstatue, die nahe beim Südtor aufgestellt war, ist eine Statue des Baal-Tarhunzas, des großen Wettergottes.71 Die Hauptgottheiten von Troja waren bekanntlich Apollon und Athena.

Die Reliefs wurden 2003 von H. Çambel, die bereits Mitglied des Entdeckerteams von 1946 war, und ihrer Mitarbeiterin A. Özyar veröffentlicht. In ihrer Untersuchung zur Ikonographie kann Özyar in vielen Fällen hethitische, späthethitische oder mesopotamische Traditionen aufzeigen. Für einige Szenen gibt es in der anatolischen und vorderasiatischen Bilderwelt keine Parallelen. Darunter sind Bilder, deren Motive aus der altorientalischen Literatur bekannt sind, so das Motiv des Vogelfängers, aber auch Bilder, von denen Özyar meint, ihre Themen ließen sich »nur auf das Weiterleben westlicher Einflüsse ... zurückführen«.72 sie belässt es nicht bei diesem diffusen Begriff des Einflusses, sondern führt ikonographische Elemente, die sich nicht in der altorientalischen Bilderwelt nachweisen lassen, auf Kontakt mit Personen aus dem griechischen Raum zurück, Angehörigen der so genannten Seevölker, die sich nach 1200 v. Chr. in Kilikien niedergelassen hätten.73

Özyars »Themen und Motive ... aus der westlichen Kunst«74 sind im Folgenden zu überprüfen.

Für zwei Bildelemente verweist Özyar auf Parallelen in der griechischen Bilderwelt – Parallelen, die zwar frühestens aus dem späten 7. Jahrhundert v. Chr. stammen, aber ältere Bräuche wiedergeben könnten:

Özyar fiel auf, dass einige Männer ihr Kurzschwert umgehängt haben, anstatt es in den Gürtel zu stecken (Abb. 3). Die Aufhängung des Schwerts an einem über die Schulter geführten Riemen sei ohne Parallele auf späthethitischen Reliefs. Für das Schwert selbst führt sie allerdings eine im Kaukasos gefundene Parallele an.75 Ein ähnliches Schwertband (mit einem auch durchaus ähnlichen Schwert) habe ich bei einer Grabstatue in Aleppo aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. gefunden (Abb. 4).76 Schwertbänder sind also nicht spezifisch für die griechische Kultur.

Ferner fragt sich Özyar bei dem auffallend rundlichen Gesäß eines Tänzers (Abb. 5), ob es sich um ein ausgepolstertes Kleidungsstück handelt, und denkt an die so genannten Dickbauchtänzer, die in der korinthischen Vasenmalerei vorkommen und dann in Athen rezipiert werden.77 Hier liegt offenbar ein Missverständnis vor. Andere Reliefs in Karatepe zeigen, dass das Gesäß immer dann sehr rundlich wiedergegeben wird, wenn die Beine angewinkelt sind (Abb. 6).78 Die Darstellung des Tänzers erklärt sich also nicht durch ein ausgepolstertes Kleidungsstück, sondern durch die gängige Darstellungskonvention.

Bei drei Kompositionen, die ohne Parallelen in der altorientalischen Bilderwelt sind, denkt Özyar an eine bildliche Umsetzung von griechischen Ritualen. Sie impliziert damit eine Vertrautheit mit spezifisch griechischen Vorstellungen und Werten, deren visueller Ausdruck diese Rituale sind.

Auf dem oberen Teil eines zweizonigen Reliefs mit Musikszenen flankieren Frauen eine kleiner wiedergegebene Frau mit Tamburin (Abb. 5). Während Özyar keine Schwierigkeiten hat, für die Musikantinnen und Musikanten beider Reliefbilder Parallelen zu finden, sieht sie sich genötigt, für die beiden Frauen, die zusammen einen runden Gegenstand halten, auf Siegerkränze der westlichen Welt zu verweisen.79 Abgesehen davon, dass der Gegenstand für einen Kranz zu breit ist, ergibt ein von zwei Personen gehaltener Kranz keinen rechten Sinn, und ich kenne dafür keine Parallele. In Analogie zu dem unteren Bild mit den männlichen Musikanten und dem Tänzer möchte ich annehmen, dass auf dem oberen Bild Frauen bei Musik und Tanz dargestellt sind und die beiden Frauen auf die Musik der Tamburinspielerin reagieren, nicht mit Hüpfen (wie im unteren Bild), sondern mit angemessenen Schritten, wobei sich die Tanzenden nicht an den Händen halten, sondern durch eine Art Reifen miteinander verbunden sind.

Auf einem weiteren Relief sind zwei antithetische Reiter mit Speeren unter einem Bild mit zwei antithetischen Kriegern zu sehen, die einen Mann erstechen (Abb. 7). Während es für die letztgenannte Szene Parallelen im späthethitischen Raum gibt, bleiben die antithetischen Reiter singulär. Özyar schlägt vorsichtig eine Wettkampfszene vor, was dann ein »westlicher Gedanke« wäre.80 Angesichts der in der späthethitischen Bilderwelt und auch in Karatepe immer wieder anzutreffenden Vorliebe für antithetische Kompositionen (Abb. 6) ist meines Erachtens damit zu rechnen, dass auch einmal Bildelemente gespiegelt werden, für die das sonst nicht belegt ist. Wie das obere Bild, aber auch andere antithetische Kompositionen in Karatepe zeigen, werden derartige Verdoppelungen dazu verwendet, eine Übereinstimmung beider Bildelemente und damit eine Betonung bzw. Verstärkung der dargestellten Figuren bzw. ihrer Aktion zu veranschaulichen. Angesichts dieser Verwendung antithetischer Kompositionen in der späthethitischen Bilderwelt erscheinen sie für eine Visualisierung einer Konkurrenzsituation nicht geeignet.

Die dritte Szene zeigt ein Opfer. Zwei Männer halten einen Stier an den Hörnern bzw. am Schwanz fest, und ein neben dem Stier stehender Mann hebt die Doppelaxt zum Schlag (Abb. 8). Wegen dieser Doppelaxt sieht Özyar hier einen »westlichen Ursprung dieses dargestellten Stieropfers«81, da im zentralanatolischen Bereich dem zu opfernden Stier die Kehle durchgeschnitten würde. Sie verweist einerseits auf eine große hethitische Reliefvase des 16. Jahrhunderts v. Chr. mit einer entsprechenden Szene, andererseits auf schriftlich überlieferte Kultgebräuche aus dem griechischen Bereich, bei denen derjenige, der den Stier mit der Axt erschlagen hat, oder die Axt selbst für die Tötung bestraft wird.82 Dazu ist zu sagen, dass im griechischen Bereich die Betäubung oder Tötung des Opfertieres mit der Axt dem Durchschneiden der Kehle vorausging. Bei großen Tieren war ein derartiges Vorgehen erforderlich. Nur kleinere Tiere konnten vom Opfernden selbst festgehalten und mit dem Messer geschlachtet werden. Dargestellt wurde der Akt des Betäubens wie auch der des Durchtrennens der Kehle in der griechischen Bilderwelt allerdings äußerst selten83. Es ist aus praktischen Gründen davon auszugehen, dass im anatolischen Bereich ähnlich vorgegangen wurde. Auf der hethitischen Vase ist der Stier, dem die Kehle durchschnitten wird, bereits am Boden fixiert. Es handelt sich bei diesem Vasenbild und dem Relief von Karatepe nicht um unterschiedliche Bräuche, sondern um unterschiedliche Stadien eines Stieropfers.84 Die Doppelaxt kann jedenfalls nicht als ein ›westliches‹ Opferinstrument gelten. C. Mavriyannaki kam bei ihrer Untersuchung zur Doppelaxt in der griechischen Welt der Bronzezeit zu dem Ergebnis, philologische wie auch ikonographische Indizien sprächen für einen nichtgriechischen, klein- oder vorderasiatischen Ursprung.85

Das einzige Bildelemente der Reliefs von Karatepe, das von Kontakt mit Personen aus dem griechischen Raum zeugt,86 ist also das Kriegsschiff ägäischen Typs, das als visueller Beweis dafür gelten kann, dass um 700 v. Chr. griechische Kriegsschiffe auch vor der kilikischen Küste gesichtet wurden.

2.6. Ergebnis und Ausblick

Die Suche nach Indizien für griechische Präsenz in Kilikien selbst ist für das späte 2. und das frühe 1. Jahrtausend v. Chr. aus archäologischer Sicht negativ verlaufen. Allerdings ist die Nichtexistenz von Evidenzen auch in diesem Fall keine Evidenz für Nichtexistenz.

Ich möchte mit einigen Hypothesen zur erörterten Frage schließen. Dass es keine griechischen Gründungen östlich von Soloi gab (falls Soloi eine war), wird mehrere Ursachen haben. Die Präsenz lokaler Kleinstaaten wie auch die Kampagnen der Assyrer, die das Land schließlich in ihr Reich integrierten, werden dazu gehören. In der Inschrift aus Çineköy vermerkt der in Adana residierende lokale Herrscher, er habe acht Burgen im Osten und sieben im Westen seines Gebietes angelegt.87 Man hatte es in Kilikien mit staatlichen Einheiten zu tun, deren Interessen und Aktionsspielräume für potentielle griechische Siedler wenig berechenbar gewesen sein dürften und die zu einer dauerhaften Niederlassung kaum eingeladen haben werden.

Eine weitere Ursache wird das Interesse der Phöniker an dieser Region gewesen sein. Die in Kilikien gefundenen phönikischen Inschriften bzw. Bilinguen sind zwar keine Evidenz für phönikische Präsenz, sondern für Phönikisch als »langue culturelle« und Schriftsprache.88 Aber noch im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. wird der östliche Teil Kilikiens von den Griechen als phönikisch angesehen. Herodot nennt den Golf von Issos myriandrischen Golf; das namengebende Myriandros (das nicht sicher identifiziert ist) wird von Xenophon als phönikisch bezeichnet.89 A.M. Jasink und L. Bombardieri rekonstruieren wie auch R. Lane Fox einen phönikischen Handelsweg von Phönikien entlang der Levanteküste nach Norden, an Kinet Höyük vorbei und den Pyramos aufwärts – und eine zweite Route: von Phönikien über Zypern zum Rauhen Kilikien und weiter nach Pamphylien.90 Die Hauptrouten hätten damit an der Südküste des Ebenen Kilikien vorbeigeführt.

Verfolgt man aus der Ägäis kommend eine Seeroute von Soloi nach Osten, wird man bis zum Kap Karataş fahren und von dort, den Golf von Issos links liegen lassend, an die Küste Syriens fahren. Kap Karataş ist der östlichste Punkt, der sich für die Gründung einer Hafenstadt angeboten hätte. Karataş hieß in hellenistischer Zeit Magarsos und war der Hafen von Mallos (das angeblich von Mopsos gegründet worden war).91 In Magarsos lag auch das Heiligtum der Hauptgöttin von Mallos. Sie wird in einer griechischen Inschrift des mittleren 2. Jahrhunderts v. Chr. Athena Magarsia genannt.92 Dass dieses Heiligtum bereits bestand, als Griechen hier ankamen, geht zum einen aus dieser Kombination von griechischem Götternamen mit lokalem Toponym hervor, zum anderen aus der Ikonographie des Kultbildes, das auf hellenistischen Münzen von Mallos abgebildet ist und die Göttin im Typus anatolischer Göttinnen zeigt, mit Attributen, die den griechischen Namen Athena visuell beglaubigen: einer langen Ägis und Bewaffnung.93 Aus der Tatsache, dass in hellenistischer Zeit eine indigene Göttin unter griechischem Namen verehrt und in einem lokale Traditionen mit Elementen griechischer Ikonographie kombinierenden Bild dargestellt wurde, lassen sich allerdings keine Schlüsse über den Zeitpunkt der Ankunft von Griechen und ihrer Rezeption dieser Gottheit ziehen. Die Artemis von Ephesos wäre ein Beispiel für die Rezeption einer lokalen Gottheit durch zuwandernde Griechen zu einem frühen Zeitpunkt (mit der Kombination eines griechischen Namens und lokalem Toponym sowie der Darstellung in einem nichtgriechischen Kultbildtypus).94 Gottheiten im nordsyrischen Raum, die in hellenistischer Zeit unter griechischen Namen (mit Toponym) verehrt und in traditionellen Typen dargestellt wurden (zum Beispiel die Dea Syria von Hierapolis, der Zeus von Doliche),95 wären späte Beispiele.

Die Archäologie kann sicher noch Wesentliches zur Erforschung der Kulturgeschichte Kilikiens beitragen. Ob sie eines Tages griechische Präsenz nachweisen und die Geschichte der griechischkilikischen Beziehungen konkreter darstellen kann, bleibt abzuwarten. Die Inspiration eines griechischen Dichters (Homer) wird sie nicht aufhellen können.

Abbildungen


Abb. 1a: Karatepe und Umgebung (nach: Çambel – Özyar [2003] Taf. 3).


Abb. 1b: Karatepe: aktuelle Lage am Stausee (nach: Çambel – Özyar [2003] Taf. 3, mit Einzeichnungen des Stausees von Andrea Sulzgruber).


Abb. 2: Karatepe Nordtor, Torkammer: Schiff mit Besatzung (nach: Çambel – Özyar [2003] Taf. 97).

Lag Troja in Kilikien?

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