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Vorwort

»Lag Troia in Kilikien?« – in dem Titel dieses Buches steckt nicht die Aufforderung, mit dem Spaten in Kilikien nach dem homerischen Troia zu suchen; er verdankt sich vielmehr einer innerhalb weniger Jahre zum zweiten Mal ausgebrochenen öffentlichen Debatte über das homerische Epos Ilias. War im Jahr 2001 der hauptsächliche Streitpunkt, ob Troia eine große Stadt mit engen Beziehungen zu den Hethitern und in die Ägäis war oder eben nicht, so ist das Thema des zu Weihnachten 2007 ins Rollen gekommenen Streits die Frage nach der »Heimat Homers«, konkret die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgetragene Hypothese des Schriftstellers, Poeten und Vergleichenden Literaturwissenschaftlers Raoul Schrott, dass es Argumente dafür gäbe, dass der Dichter der Ilias – die Odyssee blieb außer Betracht – aus Kilikien stamme und als »Schreiber« in assyrischen Diensten gestanden sei. Dieser Artikel – eine komprimierte Zusammenfassung des bald danach erschienenen umfangreichen Buchs »Homers Heimat« – erregte in erstaunlichem Maß die Gemüter und führte zu einer öffentlichen Diskussion, die in den verschiedensten Medien mit wechselnden Teilnehmern über mehr als ein Jahr geführt wurde. Das dabei berührte Spektrum der Themen war ungewöhnlich breit: es reichte von Detailfragen der Sprachwissenschaft bis zu dem politische Qualität annehmenden Statement, dass Homer der »Vater Europas« sei und daher nicht aus dem – ganz nach dem nicht vor dem fünften Jahrhundert v. Chr. entstandenen antiken Klischee – als unfrei eingeschätzten ›Orient‹ kommen könne.

Ein Sachverhalt ist bemerkenswert. Der Homer-Streit von 2008 hat tiefer gehende Emotionen hervorgerufen als der Troia-Streit von 2001. Im letzteren Fall ging es nicht zuletzt darum, den wieder unter deutscher Leitung stehenden Ausgrabungsort Troia gegenüber einer als Verunglimpfung empfundenen Reduktion seiner Bedeutung zu verteidigen. Um dagegen vorzugehen, war auch das Argument recht, dass Troia in enger Verbindung zum ›Osten‹, zu Anatolien gestanden sei. Im aktuellen Homer-Streit ist demgegenüber die Zahl derjenigen, die sich von der Verlagerung der Herkunft Homers in den Südosten der heutigen Türkei betroffen fühlen, nicht nur auf die unmittelbar beteiligten FachwissenschaftlerInnen begrenzt, sondern es fühlten sich auch Personen zu Stellungnahmen herausgefordert, die mit dem Thema direkt nur wenig zu tun haben. Auch haben sich gegenüber dem Troia-Streit die Lager anders und neu formiert; das führt dazu, dass Opponenten von 2001 hier als Kombattanten auftreten können. Das hängt ohne Zweifel damit zusammen, dass nicht nur unterschwellig der Eindruck besteht, dass dieses Mal weit mehr als nur die Bedeutung eines Ortes auf dem Spiel steht: Homer hat noch größere Symbolkraft, er steht für Europa; der Dichter wie der Kontinent sollen vor ›dem Orient‹ bewahrt werden.

So wie als Reaktion auf die Debatte des Jahres 2001 durch den Band »Der neue Streit um Troia. Eine Bilanz« (herausgegeben von Christoph Ulf, München: C.H. Beck Verlag 2003, 2. Auflage 2004), beabsichtigt war, die Debatte auf eine sachliche Ebene zurückzuführen, leitet der vorliegende Band in derselben Absicht zu den wesentlichen Forschungsfeldern, die von den vielfältigen und in viele Bereiche führenden Hypothesen Raoul Schrotts berührt werden. Mit ihm soll eine Rückkehr zu dem, was sich auf wissenschaftlicher Grundlage sagen und diskutieren lässt, erreicht werden – aber auch die Möglichkeit geboten werden nachzuvollziehen, woher die Emotionen in der Debatte kommen und worauf sie sich gründen.

In diesem Zusammenhang sei der erstaunliche Umstand nicht verschwiegen, dass am 28. 4. 2010 in der Sendung ›Figaro‹ des MDR ohne Wissen der beiden Herausgeber aus zu diesem Zeitpunkt natürlich noch unpublizierten Teilen des vorliegenden Bandes zitiert wurde. Die Herausgeber haben beschlossen, diesen Sachverhalt als Zeichen des ungewöhnlichen Interesses an dem vorliegenden Buch zu nehmen und sind den dahinter liegenden Zusammenhängen nicht weiter nachgegangen.

Dieser Band geht auf eine an der Universität Innsbruck vom 13.–15. November 2008 durchgeführte Tagung mit dem Titel »Homer – Troia – Kilikien. Symposion über die Thesen von Raoul Schrott« zurück. Leider haben so wie schon im Troia-Streit auch dieses Mal die schärfsten Kritiker die Einladung zum Symposion mit der Begründung nicht angenommen, dass sie ihre Ansichten schon an anderen Orten ausführlich dargelegt hätten. Die Vorträge bei dieser Veranstaltung fanden ungewöhnlich viele Zuhörer; auch ihre Reaktionen ließen erkennen, dass eine Publikation der Referate ein Desiderat ist.

Es ist ein Vorzug dieses Bandes, dass er die traditionelle Perspektive der Antike als dem Feld der Geschichte von Griechenland und Rom weit überschreitet und nicht nur die Hethiter und Assyrer, sondern auch Zypern und Ägypten einschließt. Zudem werden in ihm die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen überschritten, so dass ein multiperspektivischer Zugang zur Fragestellung vorliegt, den es in dieser Form bisher nicht gibt. Dies konnte auch dadurch erreicht werden, dass zu den fast vollständig im Band vertretenen Beiträgen der Referentinnen und Referenten noch drei weitere, nämlich die von Francis Breyer, Andreas Mehl und Kurt Raaflaub, als wichtige Ergänzungen und Abrundungen hinzukamen. Der Band wird durch zwei Beiträge der Herausgeber eingeleitet, die nicht ohne eigene Akzentsetzungen sind; sie sollten aber dennoch den Zweck erfüllen, in das weite Umfeld einzuführen, in dem die aktuelle Homer-Debatte anzusiedeln ist.

So kann der vorliegende Band die Aufgabe erfüllen, nicht nur einen nicht nur für Fachleute verständlichen Überblick über die vielen Facetten des Themas zu bieten, sondern auch die Grundlage für die erhoffte versachlichte, aber auch weiterführende Diskussion in der Öffentlichkeit, aber natürlich auch in den Fachwissenschaften darzustellen.

Unser Dank richtet sich zuerst an die Referentinnen und Referenten beim genannten Symposion, die sich auch bereit erklärt haben, ihre Referate für den Druck zu überarbeiten. Eine große Befriedigung war es, dass die Wissenschaftliche Buchgesellschaft sich ohne Zögern bereit zeigte, den Band zu publizieren. Dafür sei herzlich gedankt; auch dafür, dass einige der Drucklegung entgegenstehende Hürden in Zusammenarbeit mit Dr. Harald Baulig und schließlich mit Martina Heinz überwunden werden konnten. Den Hauptanteil daran, dass dieses Buch in der vorliegenden Form erscheinen kann, dass es durch Register aufgeschlossen ist und die Beiträge so weit, wie wir das in Absprache mit den AutorInnen für nötig erachtet haben, formal vereinheitlicht werden konnten, trägt Michaela Oberhuber. Ihr Engagement für den Band ist auch nach ihrem Wechsel von Innsbruck an das Althistorische Seminar der Universität Marburg und nach dem Auftreten von unerwarteten Schwierigkeiten nie erlahmt. So verdankt sich ihr zu einem nicht geringen Teil das gute Gelingen dieses Bandes.

Christoph UlfRobert Rollinger
Lag Troja in Kilikien?

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