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4 Vom Hof zur Stadt oder: von Ludwig XIV. zu Friedrich dem Großen

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Abb. 4:

Des Pepliers, Grammaire Royale. Berlin: Haude 1742.

Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geht die Integration des Bildprogramms in die kulturpolitischen Verhältnisse des Alten Reiches weiter. Insbesondere der Gründungsmythos der Grammaire Royale, der direkte Bezug auf die Télémaque-Szene, wird im Frontispiz der Berliner Auflage von 1742 nicht mehr realisiert. Der Sprachmeister, der daher auch nicht mehr Mentor ist, wird ganz aus dem Arrangement entfernt, ebenso die klar strukturierte barocke Portalarchitektur und die beiden Allegorien von Diligentia und Constantia. Nur die Tafel an der Bildbasis und das darauf abgelegte Lehrbuch verweisen noch auf Des Pepliers‘ Grammaire Royale. Die Göttin Athene wird verfremdet zu einer Frauenfigur, die im Mittelgrund auf einer Säule museal erstarrt ist und daher den rechten Weg zum Lehrbuch nicht mehr weisen kann. Der Prinz ist nun von der Last des Buchwissens und dessen mühevoller Aneignung befreit, weil ihm eine modische Rokoko-Dame mit anliegender jupe und flatterndem Mantel den direkten Weg zum Herrscherportrait weist, in dem wir wahrscheinlich den zum preußischen König aufgestiegenen Friedrich Wilhelm I. identifizieren können. Er ist in Lederkürass dargestellt, mit Schärpe, Kurzperücke und hochtoupierter Lockenrolle über dem Stirnansatz.1 Die Devise „Sub umbra alarum tuarum“ [protege me] (Psalm 17, 8. Lutherübersetzung: „Beschirme mich unter dem Schatten deiner Flügel“) appelliert an den Schutz der Druckrechte garantierenden Landesherrn.

Eine ähnliche Prachtuniform trägt der wenig individuell dargestellte Prinz, in dem wir uns den jungen Friedrich II. denken können, der widerwillig die militärische Erziehung seines Vaters ertrug, sich jedoch mit großer Freude die französische Sprache und Literatur aneignete. Statt der mythologischen Göttin Athene werden nun Putten in das Gestaltungskonzept einbezogen. In kindlicher Begeisterung für die Standards der französischen Sprache zeigt die größere Engelgruppe rechts auf eine aufgeschlagene Buchseite, auf der links ein Hinweis auf das Buch der Richter (Kap. 12, v. 4.6) steht, daneben der Spruch „Si volet usus“. Mit dem Horaz (Ep. ad Pis. 70-72) entlehnten Spruch (etwa: „wie es dem Sprachgebrauch/der Sprachnorm entspricht“) versichern Autor und Verleger, dass die Käufer mit diesem Lehrbuch eine zeitgemäße französische Sprache erwerben konnten (die Distinktion und Prestige verhieß).

Welche Gefahr diejenigen liefen, die nicht den richtigen, sozial privilegierten Akzent des Französischen (gemeint ist: mit einem anderen Lehrbuch und einem anderen Sprachmeister) erwerben, wird mit nichts weniger als einer Szene aus dem Alten Testament anschaulich gemacht. Im Kapitel 12 des Buchs der Richter wird der Kampf zwischen den israelitischen Stämmen der Gileaditer und Ephraimiter geschildert. Die flüchtenden Ephraimiter, die das Wort Schibboleth nicht mit kanaanäischem „th“ aussprechen konnten (und sich somit als Feinde zu erkennen gaben) wurden von den Gileaditer am Ufer des Jordans niedergemetzelt. Zunächst darf man das als die Androhung schlimmer Folgen für den Lernenden verstehen, falls er Des Pepliers Lehrbuch nicht benutzen würde: „und konnte es [i.e. das „th“] nicht recht reden; alsdann griffen sie ihn [und] schlugen ihn“ (Judic. Kap. 12, v. 6). Mit den „Flüchtigen Ephraims“ konnten nach Lage der Dinge in Berlin nur die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) aus dem Frankreich Ludwigs XIV. geflüchteten Hugenotten gemeint sein. Der ab der zweiten Generation erhobene Vorwurf, die Hugenotten sprächen ein korrumpiertes Französisch, einen jargon colon-germanisé2, wird in Des Pepliers‘ Lehrbuch als ein falsches Schibboleth zurückgewiesen. Der Verleger Ambroise Haude3, dessen Name in selbstbewusst großen Buchstaben auf der Kartusche vermerkt ist, war selbst Hugenottenabkömmling und Freund Friedrichs des Großen, dessen Bibliothek er in einem Raum seiner Buchhandlung vor dem drohenden Zugriff des Soldatenkönigs schützte. Als politische Implikation war zugleich eine lobende Adresse an den Großen Kurfürsten (der den Hugenotten in Brandenburg-Preußen Asyl gewährt hatte) wie eine kritische Distanz zum französischen König gemeint, der diesen Exodus reformierter französischer Christen veranlasst hatte. Nun forderte das Frontispiz nicht mehr wie 1689 dazu auf, sich mit der Kenntnis der französischen Sprache dem Versailles des Sonnenkönigs zu nähern, sondern plädierte dafür, das Trennende im konfessionellen Sprachen- und Glaubenskampf zu überwinden. Dazu trägt das Lehrbuch der französischen Sprache bei, denn mit ihm lernt man den richtigen Akzent („Si volet usus“) und vermeidet das erneute, falsche Schibboleth. Mit nichts Geringerem als dem Alten Testament und dem Schutz des Landesherrn, dessen Porträt mehr als das obere Drittel des Blattes einnimmt, wirbt nun das Frontispiz für das auflagenstärkste Lehrbuch seiner Zeit, allerdings fehlt ein direkter Bezug zur französischen Kultur. Stattdessen hat die lateinische Sprache auf den Tafeln und unter dem Herrscherportrait ihren angestammten Platz zurückerobert.

Zugleich wird der Ort, an dem und für den die französische Sprache erlernt werden soll, über den Hof in die Stadt ausgeweitet. Zusätzlich zu der höfischen Klientel wird nun die urbane in den Blick genommen. Der Hof öffnet sich zur Stadt, die sich im Mittelgrund als Bühne für das vordergründige Geschehen ausbreitet. Und es ist nicht irgendeine Stadt, sondern wahrscheinlich die kurfürstliche Residenzstadt Berlin mit ihren zahlreichen Kirchtürmen, dem Berliner Schloss mit Balustrade und Statuen (nach dem Entwurf Schlüters) und einer barocken Gartenanlage, die auf das höfische Bühnengeschehen im Vordergrund führt.

Die Titelankündigung in der Kartusche im Vordergrund wird mit der selbstbewusst großen Verlags- und Ortsangabe Berlin, chez Ambroise Haude versehen. 1742 konnte man die Verlagsangabe, wie bereits in der Ausgabe von 1693, durchaus in französischer Sprache formulieren. Immerhin war einer von fünf Bewohnern Berlins Franzose, waren seit zwei Generationen die hugenottischen Flüchtlinge in der Stadt; um die Mitte des 18. Jahrhunderts vervielfachten sich die Zahlen deutscher Schüler am Collège royal français, weil immer mehr Berliner Kinder Französisch lernen sollten. Das Frontispiz sprach die Hugenotten an, die ihre Muttersprache zur Grundlage eines Berufs machten und dafür geeignete Lehrmaterialien benötigten. Das Lehrbuch Des Pepliers‘ wurde von dem Verleger Ambroise Haude veröffentlicht, der die Nähe zu den Hugenotten bereits in seinem französischen Namen verriet, der um 1742 nicht nur eine Berliner Medienmacht repräsentierte, sondern seinen Veröffentlichungen durch die persönlichen Kontakte zum preußischen König Friedrich dem Großen eine besondere Wirkung verlieh.

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