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4 Die Internationale Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch

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Die Grammatik von Friedrich Gottlieb Deutsch erschien erstmals 1871 in Zürich und wurde mit leicht verändertem Titel in Berlin 1875 nachgedruckt. Das zentrale Charakteristikum ist ihre mehrsprachige Ausrichtung auf drei Sprachen: Das Italienische, das Französische und das Deutsche, wobei die ersten beiden Sprachen als Fremdsprachen vermittelt werden und Deutsch als Erstsprache der anvisierten Lerner gilt.

Die Grammatik wendet sich in deutscher Sprache an Deutschsprachige: Die Anrede an die Leser erfolgt im Vorwort, im Inhaltsverzeichnis, in den Überschriften und in den Regelerklärungen auf Deutsch. Deutschsprachige Passagen sind in Fraktur gedruckt, italienische und französische Sätze in lateinischer Schrift.

Konzepte der Mehrsprachigkeit und der Interkomprehension bilden einen wichtigen Bestandteil aktueller fremdsprachendidaktischer Diskurse (z. B. Meißner/Reinfried 1998) und finden hier einen frühen Vorläufer. Im Vorwort stellt der Autor sein methodisch-didaktisches Verständnis des Lehrens und Lernens der genannten Sprachen dar:


(Deutsch 1871, III)

Ganz im Geist der Zeit spielt die Übersetzung zwischen den Sprachen in dieser Grammatik eine große Rolle, doch wird darüber hinaus auch der Sprachvergleich explizit anvisiert, der anders als in etlichen Grammatiken des 19. Jahrhunderts nicht auf Latein bezogen ist, sondern zwei romanische Fremdsprachen anvisiert.


(ebd.)

Überlegungen im Sinne einer Anwendungsorientierung, wie sie in der Interlinearmethode und in der Direkten Methode formuliert sind, deuten sich in diesen Zeilen ebenfalls an und werden in der Folge weiter vertieft:


(ebd.)

Im Einzelnen umfasst die Grammatik 145 Seiten und fällt damit vergleichsweise kurz aus.1 Sie ist in 222 Paragraphen gegliedert, die sich wiederum in weitere Teilbereiche unterteilen. Die Grammatik schließt sich an einen Repetitionskurs an, so dass zu Beginn eine kurze Wiederholung des ersten Kurses, d. h. die Flexions- oder Formenlehre (ebd., 1-7), erfolgt. Im Einzelnen werden die Declination und die Conjugation (Präsens Indikativ und Konjunktiv, Futur, Perfekt) thematisiert.


(ebd., 7)

Die Wortfügung ist in drei Abschnitte unterteilt: die Fälle (§ 3-76), die Einstimmung (§ 77-118) sowie den Modus und die Zeit (§ 120-147) (vgl. ebd., 8), im Anschluss finden sich die Satzlehre (§ 152-186) und die Topik (§ 187-211) sowie der äußere Satzausdruck und die Orthographie (§ 212-222). Eine vorgeschaltete Aussprachelehre und eine Formenlehre bzw. Wortbildungslehre gibt es nicht, da dieser Band sich als zweiter Teil und Aufbau auf einen vorangegangenen Kurs versteht.

Die einzelnen Paragraphen sind jeweils gleich aufgebaut: Einer streng deduktiv angelegten Regelerklärung folgen illustrierende Beispielsätze, wobei die Grammatik deutlich an der Struktur der lateinischen Grammatik orientiert ist, wie das folgende Beispiel verdeutlicht:


(ebd., 18 f.)


Der Paragraph ist insgesamt in eine deduktive Regelerklärung und anschließende Illustration durch Anwendung auf bestimmte Beispiele unterteilt. Die Beispielsätze stehen jeweils für sich, sind inhaltlich nicht miteinander verbunden und parallel in den drei Sprachen wiedergegeben.


Weitere Anregungen zum Transfer und weitere Beispiele finden sich im Anschluss an die Paragraphen zum adverbialen Dativ und zum verbalen Dativ. Die zusätzlichen Beispielsätze liegen nur auf Deutsch vor und sollen von den Lernenden übersetzt werden. Dabei sind sie mit Erklärungen und Übersetzungshilfen ins Französische und Italienische kombiniert und stehen in einem engeren thematischen Zusammenhang als die Beispielsätze zur Illustration der jeweiligen Grammatikregel:


(ebd., 22)

Insgesamt handelt es sich um eine lehrwerkunabhängige methodisch-systematische Grammatik (vgl. Niederländer 1981, 145), in der der Übungsteil im Vergleich zu den systematischen Passagen der Grammatikerklärung recht kurz ausfällt.

Die verwendete Terminologie ist an Deutsch und Latein orientiert, italienische und französische Begriffe finden sich nicht. So verwendet Friedrich Gottlieb Deutsch Begriffe wie das „Beiwort“ (Deutsch 1871, 58), das „Mittelwort“ (ebd., 59) oder das „persönliche Fürwort“ (ebd., 77) neben lateinischen Begriffen wie der „adverbiale Factitiv“ (ebd., 26), der „Modalis“ (ebd., 45) oder „elliptische Conditionalformen“ (ebd., 92). An einigen Stellen fällt die kombinierte Verwendung von Latein und Deutsch auf: „Der negative Satz, die Negation“ (ebd., 103).

Interessanterweise wird nicht einmal in den Fällen mit Begriffen der romanischen Sprachen operiert, in denen sich konzeptuelle Unterschiede zum Deutschen finden, wie z. B. beim Konjunktiv und dem subjonctif:


(ebd., 82)

Die im 19. Jahrhundert dominierende Orientierung am Latein wird darüber hinaus auch in der durchgehenden Deklination der Fälle deutlich (ebd., 1 ff.). Während diese Deklination für Latein und Deutsch Sinn macht, berücksichtigt deren Übertragung auf das Italienische und das Französische nicht die Struktur der beiden romanischen Sprachen.

Das in den Satzbeispielen vermittelte Register des Französischen und des Italienischen ist auf der Ebene einer distinguierten, eloquenten Standardsprache angesiedelt, die aus heutiger Sicht antiquiert wirkt und vermutlich auch vor 150 Jahren nur zum Teil einem alltagssprachlichen Register angenähert war. Die Satzbeispiele sind z. T. in Alltagssituationen angesiedelt, verweisen jedoch auch auf Kontexte mit wenig Alltagsbezug. Insgesamt handelt es sich um geschriebene, nicht um gesprochene Standardsprache (vgl. z. B. die Bezugnahme auf den subjonctif de l’imparfait, ebd., 6). Mögliche historische oder literarische Quellen werden an keiner Stelle angegeben:


(ebd., 45)


(ebd., 42)

Während das zweite Satzbeispiel in ähnlicher Form in Grammatiken der Gegenwart enthalten sein könnte, wirken die in den ersten beiden Satzbeispielen angeführten Inhalte wenig alltagsnah.

Die Darstellung und Erklärung der Vergangenheitstempora macht Unterschiede zu Grammatiken der Gegenwart deutlich. Während heute üblicherweise der Unterschied in der Verwendung des passé composé und des imparfait thematisiert wird, im fortgeschrittenen Französischunterricht das passé composé und das passé simple in ihrer Funktion praktisch gleichgesetzt werden und lediglich in der Anwendung, d. h. das passé simple als literarische Schriftsprache und das passé composé als übliche Vergangenheitssprache, Unterschiede benannt werden, erklärt Friedrich Gottlieb Deutsch die Unterschiede zwischen den drei Vergangenheitszeiten auf anderer Ebene:


(ebd., 93)

Im sich anschließenden Paragraphen wird die Unterscheidung zwischen imparfait und passé simple erklärt und als „das Descriptiv“ und „das Narrativ“ bezeichnet (ebd., 95). Unterscheidungen zwischen mündlichem und schriftlichem Gebrauch des passé composé und des passé simple werden nicht erwähnt, so dass an dieser Stelle ein deutlicher Unterschied zu aktuellen Grammatiken sichtbar wird.

Die Besonderheit dieser Grammatik besteht jedoch vor allem in dem angebotenen Sprachvergleich, der als ein früher Vorläufer einer Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit gelten kann, selbst wenn aktuelle Überlegungen einer Didaktik der Mehrsprachigkeit (vgl. Meißner/Reinfried 1998) oder eines Verständnisses von English als Gateway to Languages (Schröder 2009) kaum umgesetzt werden. So finden sich keine expliziten Hinweise auf bestehende Parallelen zwischen den romanischen Sprachen, auf Transferbasen, Inferenzen oder Interferenzen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Italienisch und Französisch lassen sich lediglich individuell aus den Beispielsätzen schlussfolgern.

Der Bezug auf Französisch und Italienisch ist jedoch für diese Grammatik konstitutiv und stellt fast ein Alleinstellungsmerkmal im Gefüge der Schulgrammatiken des 19. Jahrhunderts dar. So lassen sich die Grammatiken nach verschiedenen Sprachbetrachtungsmodellen unterscheiden, die in der Regel miteinander vermischt vorliegen.

Helmut Niederländer (1981, 182 ff.) nennt systemgrammatische, historische, logische, ästhetisch-stilistische, psychologische, vergleichende oder deskriptive Betrachtungsweisen oder auch ein Verständnis von Sprache als Beziehungslehre. So habe es zwischen 1880 und 1910 Ansätze in der Entwicklung der französischen Schulgrammatik gegeben, in denen Vergleiche zwischen den indogermanischen Sprachen eine gewisse Rolle gespielt hätten. Kontrastive oder komparative Vergleiche hätten sich jedoch letztlich primär auf Latein und Griechisch in einer synchronen Perspektive und noch mehr auf einen Vergleich mit der Muttersprache in einer diachronen Perspektive bezogen, um Interferenzen zu vermeiden (vgl. Niederländer 1981, 185).

Vor diesem Hintergrund hebt sich die Internationale Grammatik deutlich und grundsätzlich von den üblichen Schulgrammatiken ab. Hier werden zwei romanische Sprachen – das Französische und das Italienische – gleichgewichtet nebeneinandergestellt und die damit einhergehende Optimierung von Lernprozessen hervorgehoben.

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