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5 Zwischen Grammatik-Übersetzungs-Methode und Mehrsprachigkeit — Fremdsprachenunterricht im 19. Jahrhundert zwischen Tradition und Innovation
ОглавлениеDass der Fremdsprachenunterricht des 19. Jahrhunderts maßgeblich durch die oben genannten Methoden, insbesondere durch die Grammatik-Übersetzungs-Methode und durch die Direkte Methode geprägt war, ist in der Forschung heute unumstritten. Doch wie steht es um die Mehrsprachigkeitsdidaktik?
Fritz Abel (2005, 162 f.) stellt für Grammatiken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, d. h. in den in ihnen angeführten Beispielen, landeskundliches Desinteresse an Frankreich und der frankophonen Welt, einen starken Fokus auf die Antike, das Fehlen eines pragmatischen Zielbewusstseins und die Intention einer moralischen Erziehung vor allem im Geist des Christentums fest. In den von ihm untersuchten Grammatiken kann er jedoch keine Bezüge zur Mehrsprachigkeitsdidaktik erkennen:
Weder wird in nennenswertem Ausmaß die Chance zur gegenseitigen Stützung des Unterrichts verschiedener Sprachen genutzt, indem Beispiele aus anderen Sprachen angeführt werden, noch wird durch Beispiele aus den Schülern unbekannten Sprachen wie dem Italienischen und Spanischen der motivierende Beleg dafür geliefert, dass, wer eine romanische Sprache lernt, sich immer zugleich auch eine gewisse Kompetenz in anderen romanischen Sprachen aneignet. (Abel 2005, 170 f.)
In dieser Hinsicht stellt die hier vorgestellte Internationale Grammatik (Deutsch 1871) eine bemerkenswerte Ausnahme dar. Ihr Verbreitungsgrad lässt sich nicht mit dem der Grammatik eines Karl Ploetz (1887) vergleichen, da beide Grammatiken Friedrich Gottlieb Deutschs (1871, 1875) nur in einer einzigen Auflage erschienen. Zwar stellt diese Grammatik keinen Einzelfall dar, jedoch bilden mehrsprachige Lehrmaterialien eher eine seltene Ausnahme (Rius Dalmau 2009). Im europäischen Kontext erscheinen dennoch immer wieder mehrsprachige Materialien, wie die in Paris erschienene mehrsprachige Grammatik von Simon Jost (1840) beispielhaft deutlich macht, in der Englisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch, Französisch und Hebräisch gemeinsam thematisiert werden.
Auch in den Niederlanden finden sich etliche Beispiele der Vermittlung mehrerer Sprachen und in der Folge mehrsprachiger Lehrmaterialien. Hier werden 1863 die Sprachen Französisch, Englisch und Deutsch als obligatorische Fremdsprachen im Sekundarschulwesen festgelegt. Neben mehrsprachigen Lehrkräften gibt es auch einige Belege für eine Didaktik der Mehrsprachigkeit, die sich aus der gesellschaftspolitischen Situation des Landes erklärt. Die mehrsprachigen Lehrgänge zielen auf schulische Kontexte und darüber hinaus auf Handelsreisende. Diese utilitaristische Zielsetzung visiert konkrete Sprachkontakte in den Zielsprachen an und ist damit methodisch-didaktisch an Mündlichkeit, Aussprache und Konversation interessiert (Kok Escalle 2009).
Friedrich Gottlieb Deutsch publiziert seine Internationale Grammatik zunächst 1871 in Zürich und somit in der Schweiz; eben auch in einem Land, in dem Mehrsprachigkeit eine größere Rolle spielt als in Deutschland. Die zweite Publikation seiner Grammatik erfolgt jedoch nur wenige Jahre später in Berlin, so dass auch hier ein Zielpublikum bzw. eine anvisierte Käufergruppe bestanden haben muss. Französisch bildet in der Tat eine im Schulwesen etablierte Fremdsprache und Italienisch wird zumindest auf freiwilliger Ebene ebenfalls angeboten.
Vergleicht man die mehrsprachigen Grammatiken des 19. Jahrhunderts mit denen des 20. Jahrhunderts, dann fällt auf, dass die Anzahl der mehrsprachigen Grammatiken der Gegenwart die der Vergangenheit keineswegs überschreitet. Im Gegenteil. Trotz aller Plädoyers für Mehrsprachigkeit und aller Ansätze der Mehrsprachigkeitsdidaktik resultieren daraus bis heute keine zahlreichen konkreten Umsetzungen in den Lehrmaterialien der Schulbuchverlage. Zwar finden sich in Lerngrammatiken heute vereinzelte Verweise auf andere Sprachen, doch gibt es in Deutschland aktuell nur eine einzige Grammatik, die sich explizit und konsequent als mehrsprachig versteht und die neben Spanisch Verweise auf Französisch und Englisch enthält (Dorn/Navarro González/Strathmann 2015). Im Blick auf methodisch-didaktische Schwerpunkte fallen einige Unterschiede zu der Internationalen Grammatik (Deutsch 1871) auf: Neben einem deutlich ansprechenderen Layout und größerer Lesbarkeit durch Übersichtlichkeit zeichnet sich die mehrsprachige Spanischgrammatik der Gegenwart durch direkte Ansprache der Lernenden, durch altersangemessene erklärende Passagen und vor allem durch situative Einbettungen der konkreten Beispiele aus. Während Friedrich Gottlieb Deutsch 1871 vorwiegend entkontextualisierte Einzelsätze anführt, die inhaltlich nicht aufeinander bezogen sind und damit auf das Verständnis erleichternde Aspekte verzichtet, nutzt die Spanischgrammatik (Dorn/Navarro González/Strathmann 2015) konsequent aufeinander bezogene Sätze und Kontexte.