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„Geschichte von Leben und Taten“ – Biographien
ОглавлениеMelanchthon berichtet in seinem Vorwort zum zweiten Band der Wittenberger Ausgabe der lateinischen Schriften Luthers, dass der Reformator seine Freunde hatte hoffen lassen, „er werde seinen Lebenslauf wie auch die Anlässe seiner Kämpfe erzählen.“36 Doch sei ihm der Tod zuvorgekommen. Melanchthon versucht nun seinerseits und stellvertretend, das Leben im Zusammenhang einer humanistischen Laudatio zu erzählen, bietet allerdings in seiner Historia de vita et actis Martini Lutheri (Geschichte von Leben und Taten Martin Luthers, 1546) nur eine an der inneren Entwicklung Luthers orientierte Beschreibung der Jugend und frühen Wittenberger Zeit (bis ca. 1519), die recht abrupt auf sein Ende 1546 ausgreift und dann vor allem auf seine Bedeutung für die Nachwelt zu sprechen kommt.37 Das mit den Lebensaufzeichnungen verbundene Interesse galt nicht oder zumindest nicht ausschließlich der beschriebenen Person, sondern letztlich den zeitgenössischen Lesern. Die Historia sollte zum einen den Lesern durch die Betrachtung der Luthervita Beispiele zur Gestaltung der eigenen Lebenspraxis – in den Worten Melanchthons „zur Stärkung der Frömmigkeit“38 – anbieten, zum anderen aber auch durch eine Gegendarstellung helfen, konfessionspolemische Lutherlegenden zu entkräften.
Abb. 13: Der Mansfelder Superintendent Cyriacus Spangenberg präsentiert Luther in seinen Lutherpredigten unter anderem als Bekenner und Märtyrer; Titelblatt der Ausgabe Eisleben 1568.
Umfassender und, auf die Dauer gesehen, erfolgreicher nahm einer der Schüler Melanchthons, der Joachimsthaler Pfarrer Johannes Mathesius, die Aufgabe einer Lebensbeschreibung in Angriff. Mathesius hatte Luther persönlich kennengelernt. Er war häufig zu Gast in seinem Haus und hatte vielfach Tischgespräche nachgeschrieben. In den Jahren 1562–1565 machte er das Leben Luthers zum Gegenstand einer Reihe von insgesamt 17 Predigten, die er 1566 kurz vor seinem Tod mit dem Titel Historien von des ehrwürdigen in Gott seligen teuren Manns Gottes Doctoris Martini Luthers im Druck herausbrachte. Adressiert waren die Predigten vor allem an die Jugend, die Mathesius in der Gefahr sah, die Errungenschaften der Reformation zu vergessen. Ihr stellte er Luther als einen frommen, seelsorglich-ausgleichenden, eher unpolitischen Propheten vor.39 Die Historien des Mathesius bilden die erste, das ganze Leben Luthers in den Blick nehmende, vergleichsweise zuverlässige Lebensbeschreibung des Reformators. Sie wirkten weit über die Jahrhundertgrenze hinaus und prägen das populäre protestantische Lutherbild bis heute. Die Abbildung zeigt das Titelblatt der Ausgabe von 1600. Mit ihr war das Werk zur Jahrhundertwende bereits in der 13. Auflage erschienen (Abb. 12).
Abb. 14: Philipp Melanchthon behauptet in seiner mehrfach aufgelegten Lebensbeschreibung, dass Luther am Vorabend des Allerheiligenfestes 1517 die Ablassthesen öffentlich an der Schlosskirche angeschlagen habe; Philipp Melanchthon, Beschreibung des Lebens und Handlungen […] Martini Lutheri, Frankfurt/M. 1554, Blatt 18v.
Nahezu zeitgleich thematisierte auch der Mansfelder Superintendent und Parteigänger des Flacius, Cyriacus Spangenberg, Luthers Leben in 21 Predigten, die er über rund elf Jahre hinweg (1562–1573) an Luthers Tauf- und Todestag gehalten hatte. Im Unterschied zu Mathesius bot Spangenberg weniger eine fortlaufende Lebensbeschreibung als vielmehr eine Reihe loser aneinandergereihter, paränetischlehrhafter Charakterbilder: Luther der Prophet, der Priester, der Pilger, der Bekenner, der Märtyrer und andere mehr (Abb. 13). Die Lebensgeschichte diente vor allem zur biographischen Illustration der Eigenschaften Luthers. Auch wird die Reformation nicht als ein gleichsam zurückliegendes Ereignis erinnert, sondern steht bei Spangenberg, der sie durch die Kompromisstheologie der Wittenberger Philippisten gefährdet sah, bis zu einem gewissen Grad noch auf dem Spiel. Entsprechend erscheint Luther ungleich kämpferischer als Verteidiger des Evangeliums nicht nur gegen das Papsttum, sondern auch gegen alle philippistischen Versuche einer Aufweichung lutherischer Positionen.40 Den spangenbergschen Predigten blieb allerdings ein den Historien des Mathesius vergleichbarer publizistischer Erfolg versagt. Ähnliches gilt von den übrigen Lutherbiographien des 16. Jahrhunderts.
Neben den gedruckten Werkausgaben und Biographien, teilweise auch manches Detail daraus fortführend, liefen bereits im 16. Jahrhundert mündliche Überlieferungen zu Luthers Leben um: ‚Apokryphe‘ Lutherworte wie etwa der oben erwähnte Sinnspruch „Eins Christen Herz in Rosen geht“ oder wohl auch schon Luthersagen wie die berühmte vom Wurf mit dem Tintenfass nach dem Teufel. Da derlei Überlieferungen freilich erst in der Literatur späterer Jahrhunderte begegnen, werden die folgenden Beiträge auf sie eingehen.