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OLAF B. RADER

Alexander und Caesar: Bezugsgrößen der Macht

Die Kriegsherren Alexander der Große und Iulius Caesar dienten sowohl als Vorbilder und Legitimationsargument für Eroberer und Gewaltherrscher, aber auch als Mahnung und Beispielgeber für Hochmut und moralische Verfehlung. Schon zu Lebzeiten in Mythen verwandelt, hält bis zum heutigen Tag – vom Epos bis zum Drama, von der Oper bis zum Comic – die Deutungsarbeit an diesen zentralen europäischen Erinnerungsfiguren an.

Elizabeth Taylor und Rex Harrison (als Iulius Caesar) in dem Monumentalfilm Cleopatra von Joseph L. Mankiewicz aus dem Jahr 1963.

In dem Monumentalfilm Cleopatra von 1963 gibt es eine Szene, die Rex Harrison als Gaius Iulius Caesar und Elizabeth Taylor als ägyptische Königin in der Gruft der Ptolemäerkönige in Alexandria vor dem Alabastersarg Alexanders des Großen auftreten lässt. Sie sprechen in Gegenwart des toten Feldherrn über die Gestaltung einer zukünftigen Weltordnung. Ob ihre Pläne durch die Nähe der Leiche tatsächlich eine höhere Bekräftigung erlangt haben, wissen wir nicht, doch durch etwas anderes besticht jener Augenblick: Rein körperlich werden sich die beiden berühmten Feldherren nie wieder so nahe sein.

Vielleicht ahnte ja schon Plutarch (um 45–125 n. Chr.), als er in seinen Parallelbiografien den Makedonen Alexander (356–323 v. Chr.) mit dem Römer Caesar (100–44 v. Chr.) vergleichend zusammenband, dass diese beiden Namen für Jahrtausende europäische Bezugsgrößen spezieller Herrschaftskonzepte werden sollten. Der eine galt fortan als Welteneroberer schlechthin, während der andere zum Ausgangspunkt und Namengeber für eine kaiserlich-monarchische Herrschaft wurde. Und weil sie beide als Archetypen charismatischer Kriegshelden gelten, die ihre jeweilige Macht noch mit einer spezifischen religiösen Aura zu überhöhen suchten, sind sie in vielen weiteren Bereichen als Referenzfolien innerhalb der europäischen Geschichte wirksam geworden.

Quell der Legitimation

Sehr viel Gelehrtentinte ist bereits zu Papier gebracht worden, um die Feldzüge und Politik der beiden Helden zu beschreiben. Aber ihre Geschichten stellen wie jene vieler anderer bedeutender historischer Personen eigentlich die Geschichten immer wieder umgeformter Legenden dar. Beide sind in der Tat Musterbeispiele für Neuschöpfungs- und Umformungsprozesse konstruierter Geschichte. Bertolt Brecht (1898–1956) fragte einmal höchst suggestiv, ob die beiden Feldherren denn eigentlich ihre Taten ohne Mitstreiter vollbracht haben könnten: „Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein? Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“ Natürlich nicht. Dennoch dürfte feststehen, dass die beiden mehr als Individualgiganten agiert haben und weniger als Vollstrecker eines Kollektivwillens ihrer eigenen Zeit. Und bereits im Augenblick des Todes haben beide begonnen, als Bezugsfolie und Legitimationsquell zu wirken.

Um Alexanders Leiche gab es einen regelrechten Krieg unter den Diadochen, wer sich mit der Totensorge um den König als dessen rechter Erbe präsentieren kann. Später pilgerten die römischen Kaiser von Caesar und Augustus bis ins 3. Jahrhundert unserer Zeit regelrecht zum Grab Alexanders, dem unbesiegbaren Eroberer des Ostens, bis die Erinnerung an seinen Standort verloren ging. Die sorgfältig inszenierte Verbrennung von Caesars Leichnam sicherte kurz nach dessen Tod seinem einstigen Verbündeten Marcus Antonius (86–30 v. Chr.) die Macht, wenn auch nur für kurze Zeit. So gaben Alexander und Caesar nach ihrem Ableben nicht nur eine Legitimität für Nachfolger, sondern auch eine regelrechte Handlungsanleitung ab: Wer über die Leiche eines toten Machthabers verfügt, übernimmt mit dieser auch dessen Herrschaft. Und Caesars Name wurde sogar zu einem Namensbestandteil der römischen Kaiser, bis er, von den Personen losgelöst, selbst zu einem Herrscherbegriff wurde. Über das ostgotische kaisar wurde er in der deutschen Sprache zur Herrscherbezeichnung Kaiser. Auch die altslawischen Sprachen formten für bulgarische, serbische und russische Herrschaftsformen den Titel eines Zaren aus, der denselben Ursprung hat.

Vorbild und Mahnung

Dass nach der Bibel der Alexanderroman der am weitesten verbreitete Stoff des Mittelalters werden konnte, hatte einen einfachen Grund: Der in vielfältigen Fassungen überlieferte Roman gab Antworten auf Fragen der Zeit: Wie hat man sich als guter Ritter zu betragen, wie als wissbegieriger Weltenentdecker? Wie agiert man als freigebiger Herrscher, wie als weiser König? Das alles hatten Dichter, Barden und Troubadoure nämlich schon seit der Spätantike dem Makedonen zugeschrieben, und so bildeten seine Taten bei der Welteneroberei eines der größten Exempelreservoirs des Mittelalters. Doch die Himmel- und Tauchfahrten Alexanders sollten nicht nur den Wissensdurst des Helden zeigen, sondern auch den unausrottbaren Hochmut des Menschen offenbaren.

In der Renaissance wurden dann dramatisch gestaltete Triumph- oder Siegeszüge der beiden Kriegshelden überaus populär, weil zeitgenössische Feldherren auch gern ihre jeweiligen Gegner so hätten besiegen oder im Staub liegen sehen wollen, wie es den beiden einst gelang. Dazu zwei Beispiele: Der italienische Maler Andrea Mantegna (1431–1506) schuf mit seinem Triumph des Caesar, das einen beutebeladenen und gefangenenreichen Militärzug nach dem Sieg Caesars über Gallien darstellen soll, eine Serie von großen Gemälden für den Herzogspalast der Gonzaga in Mantua. Die Anlehnung an den siegreichen Feldherrn sollte natürlich einer Selbstvergewisserung der Familie dienen, geradezu caesargleich über ihre Feinde zu triumphieren. Die Alexanderschlacht von Albrecht Altdorfer (um 1480–1538), ist ein Gemälde, das den Sieg über den persischen Großkönig Dareios III. (um 380–330 v. Chr.) zeigt und das der Maler von 1528 bis 1529 im Auftrag und zum Ruhm des Herzogs Wilhelm IV. von Bayern (1508–1550) geschaffen hat. Es gefiel später noch einem anderen Kriegsherrn. Als Beute im Jahr 1800 nach Frankreich verbracht, kam das Bild kurz darauf in das Schloss nach Saint-Cloud, um die Waschräume Napoleon Bonapartes (1769–1821) zu zieren. Selbst im Bad noch ein Alexander sein, so ungefähr hat man sich wohl den Antrieb zu denken, dieses Motiv genau dort aufzuhängen.

In der Geistesgeschichte sind Alexander und Caesar immer wieder als Maßstab und Deutungsfolie menschlichen Verhaltens benutzt worden. Die Werke William Shakespeares (1564–1616) und Georg Friedrich Händels (1685–1759) etwa geben davon beredtes und klingendes Zeugnis. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) bezeichnete Caesar in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte als eines jener „welthistorischen Individuen, welche den Beruf hatten, die Geschäftsführer des Weltgeistes zu sein“.1 Für den Historiker Theodor Mommsen (1817–1903) war Caesar vor allem ein „vollendeter Staatsmann“ und er glaubte darin auch den entscheidenden Unterschied zu Alexander dem Großen, Hannibal und Napoleon Bonaparte erkennen zu können.2 Und der französische Schriftsteller Victor Hugo (1802–1885) dichtete 1840 zum Anlass der Überführung der Leiche Kaiser Napoleons I. von St. Helena nach Paris Le Retour de l’Empereur und stellte darin dem Kaiser homerische Götter, Alexander den Großen und Caesar an die Seite.

Zumindest einer der beiden unüberwindbaren Sieger, die sich in Alexandria so nahegekommen waren, fand in unserer Gegenwart allerdings seinen Meister. Dass ein kleines gallisches Dorf dem Feldherrngenie Caesars wenigstens in den Gedankenspielen und Zeichnungen von René Goscinny und Albert Uderzo zu trotzen vermochte, lag neben dem von Asterix und Obelix reichlich genossenen Druidentrank wohl auch an dem Augenzwinkern der Gegenwart gegenüber einstiger Feldherrenbewunderung.

Literatur

Pierre BRIANT, Alexandre des Lumières. Fragments d’histoire européenne, Paris 2012.

Karl CHRIST, Caesar. Annäherungen an einen Diktator, München 1994.

Alexander DEMANDT, Alexander der Große. Leben und Legende, München 2009.

Wilfried NIPPEL, Charisma und Herrschaft, in: ders. (Hg.), Virtuosen der Macht. Herrschaft und Charisma von Perikles bis Mao, München 2000, S. 7–22.

Olaf B. RADER, Grab und Herrschaft. Politischer Totenkult von Alexander dem Großen bis Lenin, München 2003.

1 Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Frankfurt a. M. 1986, S. 46.

2 Theodor Mommsen, Römische Geschichte., Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig 1856, S. 432.

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