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VII.

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Die Forschung hat bislang weitgehend ignoriert, dass Dietrich diesen publizistischen Paukenschlag nicht eigenmächtig vornahm, sondern von Hitler instruiert wurde: Dietrich verkündete nämlich der staunenden Weltöffentlichkeit Nachrichten, die ihm Hitler selbst in die Feder diktiert hatte. Doch bevor wir die Genese der Presseerklärung Dietrichs minutiös verfolgen, müssen wir einen Blick auf die militärische Situation im Osten werfen. Hier hatte sich die Lage für die Wehrmacht Anfang Oktober 1941 qualitativ verbessert: Nachdem die Heeresgruppe Süd im September 1941 das ihr gesteckte Ziel, die Eroberung der ernährungs- und wehrwirtschaftlich unentbehrlich erscheinenden Teile der Ukraine, realisiert hatte, trat die bislang zurückgehaltene Heeresgruppe Mitte zum Angriff auf die sowjetische Hauptstadt an. Ihr gelang es, in der Doppelschlacht bei Wjasma und Brjansk einen beeindruckenden Erfolg zu erzielen und große Teile von drei sowjetischen Armeen einzukesseln.67 Damit war für Hitler der ideale Zeitpunkt erreicht, mit einer solchen Siegesmeldung vor allem Japan zu beeindrucken.

Hitler selbst bereitete den Boden für die als Sensation zu verkündende Botschaft vom gewonnenen Ostkrieg, indem er einen seiner immer rarer werdenden öffentlichen Auftritte am 3. Oktober 1941 zur Eröffnung des Winterhilfswerks in Berlin nutzte, um einen publizistischen Versuchsballon starten zu lassen. Hitler ließ durchblicken, dass mit einem erfolgreichen Abschluss der Einkesselung der Heeresgruppe Timoschenko der Krieg im Osten entschieden sei. Diese Operation „wird mithelfen, den Gegner des Ostens zu zerschmettern“68 – eine Botschaft, die primär an Japan gerichtet war und dort die Bedenken gegen eine Attacke auf die USA zerstreuen helfen sollte.69 Mit diesem öffentlichen Auftritt hatte Hitler die Weltöffentlichkeit hellhörig gemacht und damit den Weg geebnet für den sechs Tage später erfolgenden propagandistischen Paukenschlag.70

Im Führerhauptquartier bestärkten derweil Hitlers engste militärische Ratgeber den obersten Befehlshaber der Wehrmacht in dieser Einschätzung. General Jodl, der Chef des Wehrmachtführungsstabs, neigte wie viele seiner militärwissenschaftlich ausgebildeten Kollegen zu der traditionellen Ansicht, dass der Ausgang auch des laufenden Krieges einer entscheidenden Schlacht zugeordnet werden könne und verglich die Einkesselung der Timoschenko-Armee mit der siegbringenden Schlacht von Königgrätz, die 1866 den preußischen Triumph über Österreich besiegelt hatte.71 Jodl hielt sich auch nicht hinsichtlich einer Bewertung dieses Erfolges zurück und „betonte, dass wir […] ohne Übertreibung diesen Krieg gewonnen hätten“.72 Hitler sekundierte dem Urteil seines militärischen Beraters und „sprach von der gewaltigen und entscheidenden Wendung der militärischen Lage in den letzten drei Tagen“ und hob die „Wirkung dieser Nachrichten auf die Weltöffentlichkeit“ hervor.73 Als Hewel am Abend des 10. Oktober in privater Runde bei Hitler weilte, fand er diesen „wunderbar gelöst und bester Stimmung“ vor, „aller Sorgen frei“.74

Es war daher kein aufgesetzter Zweckoptimismus, sondern Ausdruck subjektiv echter Überzeugung, dass Hitler mit dieser Siegesbotschaft die Welt beeindrucken und vor allem Japan aus der Reserve locken wollte.75 Er bediente sich dazu des Reichspressechefs Otto Dietrich, eines Berufsjournalisten, der im Führerhauptquartier in nächster Nähe Hitlers weilte und dort als eine Art Pressereferent fungierte. Am 8. Oktober 1941 rief er Dietrich zu sich und instruierte ihn, am folgenden Tag in der Reichshauptstadt die Auslandspresse zu informieren. Durch seinen Mitarbeiter Heinz Lorenz, einen stenographisch ausgebildeten Journalisten, konnte Dietrich die Ausführungen Hitlers praktisch wortwörtlich festhalten lassen und formulierte daraus einen Text, den er Hitler zur Korrektur und Autorisierung weiterreichte, um dann am Mittag des 9. Oktober 1941 vor der versammelten Weltpresse eine Weltsensation zu verkünden, ohne die Urheberschaft Hitlers preiszugeben.76

Die Nachricht vom entscheidenden Sieg im Osten schlug bei den neutralen und verbündeten Mächten wie eine Bombe ein. Denn erstmals war von regierungsoffizieller deutscher Seite der Ausgang des Ostkriegs in einer an Eindeutigkeit kaum zu übertreffenden Weise artikuliert worden. Der deutsche Botschafter in Madrid war Zeuge, wie mitten in seiner Unterredung mit dem spanischen Außenminister Suñer dieser vom spanischen Botschafter in Berlin telefonisch über die Erklärung des Reichspressechefs in Kenntnis gesetzt wurde.77 Hitler selbst hatte diesen Nachrichtencoup lancieren lassen, wie auch aus einer Aufzeichnung des Chronisten der Tätigkeit Hitlers im Führerhauptquartier, des Leiters der „kriegsgeschichtlichen Abteilung im OKW“, Scherff, hervorgeht.78 Dass selbst Goebbels darüber in Unkenntnis gehalten wurde und später die „illusionistischen Voraussagen von Dr. Dietrich über den Verlauf des Ostfeldzuges“ in seinem Tagebuch79 harsch kritisierte, spricht dafür, dass der Auftritt Dietrichs nicht nach innen gerichtet war, sondern eine außenpolitische Signalwirkung erzeugen sollte. Denn der erfahrene Propagandist Goebbels wunderte sich schon am Tage der Pressekonferenz, dass sich Dietrich mit seiner Erklärung so weit hervorgewagt hatte, obgleich dies zur Hebung der Stimmung im deutschen Volk nicht erforderlich war. Der Reichspropagandaminister konnte sich „dem Eindruck nicht verschließen, dass ein so weites Vorprellen gänzlich überflüssig war. Warum? Das Volk hat das nicht nur nicht gewünscht, sondern nicht einmal erwartet.“80

Viele Indizien deuten darauf hin, dass die Nachrichten über die militärischen Erfolge der Wehrmacht im Osten, die eine Eroberung Moskaus noch im Jahre 1941 in greifbare Nähe rücken ließen, ihren Eindruck in Japan nicht verfehlten. Es wäre eine genauere Untersuchung wert, ob der Regierungswechsel in Japan vom 18. Oktober 1941, der zur Ablösung des an der Verständigung mit den USA interessierten Fürsten Konoye und zur Übernahme der Ministerpräsidentschaft durch den bisherigen Kriegsminister Tojo führte, auch darauf zurückzuführen war, dass die japanische Führung immer stärker den Eindruck gewann, Deutschland werde den Krieg im Osten zumindest im Jahre 1942 siegreich beenden und stünde damit als Partner für einen gemeinsamen Krieg gegen die angloamerikanischen Mächte bereit.

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