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Deutsche Propaganda und amerikanische Berichte
ОглавлениеAm 29. März 1941 übernahm Alexander Kirk die Leitung der US-Gesandtschaft in Kairo; seinen ersten zusammenfassenden Bericht über deutsche Radiosendungen in arabischer Sprache sandte er am 13. September 1941 an Secretary of State Cordell Hull im Washingtoner State Department.6 Bis zum April 1942 wurden die Zusammenfassungen länger und detaillierter; danach begannen Kirks Mitarbeiter Transkripte in englischer Sprache anzufertigen, die der Gesandte bis zum März 1944 wöchentlich nach Washington schickte. Dessen Nachfolger Pinkney Tuck behielt dieses Berichtsformat aufrecht bis zum Frühjahr 1945. Kirks Entschluss, die arabischsprachigen Radioprogramme des NS-Regimes eingehender zu dokumentieren, spiegelte seine Einschätzung der Region als strategisch bedeutsam und akut bedroht wider.7 Sollte Hitler in den Nahen Osten ausgreifen, schrieb Kirk im Februar 1942, würde er „Erfolg haben, wenn nicht sofort etwas getan wird, um ihn im Angriffsfall zurückzuweisen oder ihm Widerstand entgegenzusetzen“.8 „Axis Broadcasts in Arabic“ wurden auch an andere US-Botschaften in der Region verschickt sowie an amerikanische (und britische) Zivil- und Militärgeheimdienste und das mit politischer Kriegführung befasste OWI.
Im Herbst 1941, in jenen Monaten also, in denen Hitler die Entschlüsse zur Umsetzung der „Endlösung“ in Europa fasste, trat die Entwicklung fremdsprachiger NS-Propaganda in eine entscheidende Phase. Nachdem Hitler im Oktober 1941 den Kompetenzstreit zwischen Propagandaminister Goebbels und Außenminister Ribbentrop zugunsten des AA-Chefs entschieden hatte, konnte Ribbentrop für die Koordinierung von Propagandastrategien auf seine Politische Abteilung VII und dessen Expertenwissen in Ägypten, Afghanistan, Saudi-Arabien, Palästina, Syrien, der Türkei, Indien, Iran, Sudan, und Ceylon zurückgreifen.9 Innerhalb der Rundfunkpolitischen Abteilung des Amtes existierte wiederum ein Amt VII, zuständig für die Entwicklung und Ausstrahlung von Radiosendungen in diesen Ländern.10 Bis Anfang September 1943 war die Rundfunkpolitische Abteilung auf 226 Mitarbeiter angewachsen11, unter ihnen der spätere Bundeskanzler (1966–1969) Kurt Georg Kiesinger, der die Abteilung von 1943 bis 1945 stellvertretend leitete.12 An der Spitze von Amt VII der Politischen Abteilung stand Wilhelm Melchers, seit Ende 1949 Personalchef des AA der Bundesrepublik. Direktor des Amtes VII in der Rundfunkpolitischen Abteilung war Kurt Munzel, Diplomat und Orientalist mit Vorkriegs-Berufserfahrung an der Dresdner Bank in Kairo.13 Die beiden Ämter VII bündelten, was im AA an Fachkompetenz zu der Region und zu Radiopropaganda vorhanden war, und arbeiteten mit prominenten Exilanten aus dem arabischen Raum zusammen.14 Zwischen September 1939 und Herbst 1941 lieferten in erster Linie deutsche Orientalisten mit Fachkompetenz in arabischer Literatur und Dichtung sowie erfahrene Diplomaten das Material für arabischsprachige Sendungen, die an der freundschaftlichen Einstellungen des NS-Regimes gegenüber arabischen Nationalisten und Muslimen keine Zweifel ließen, dabei aber wenig auf die Überlegenheit von „Ariern“ gegenüber den minderwertigen „Semiten“ des Nahen Ostens abhoben.
In seiner Depesche vom 18. April 1942 fasste Alexander Kirk die arabischsprachigen NS-Radiosendungen der vorangegangenen sechs Monate zusammen, die ihm nun als Beleg für die Kollaboration zwischen den Reichsbehörden in Berlin und den dortigen arabischen Exilkreisen dienten.15 Die deutsche Propaganda, so Kirk, versuche ihre Adressaten davon zu überzeugen, dass die Achsenmächte „eine natürliche Zuneigung zu Arabern und ihrer großartigen Zivilisation“ hätten, „der einzigen Zivilisation, die mit der Neuen Ordnung in Europa vergleichbar und nun durch ‚britischen Imperialismus,‘ bolschewistische Barbarei,‘ jüdische Gier‘ und seit kurzem amerikanischen Materialismus‘ bedroht“ sei. Araber könnten „niemals Freunde Großbritanniens sein, da dessen Versprechungen auf Unwahrheiten beruhten“. Die deutsch-arabischen Sendungen hetzten „bis zum Überdruss“ gegen Juden, die – „mit Rückendeckung Englands und der USA“ – als „Erzfeinde des Islam“ agierten. Sie kontrollierten die amerikanische Finanzwelt und „zwangen Roosevelt, eine Aggressionspolitik zu betreiben“. Der amerikanische Präsident und Churchill seien „Spielmaterial in den Händen jüdischer Teufel und Zivilisationsvernichter“.16 Die Angriffe der NS-Radiopropaganda auf Großbritannien und die USA richteten sich vor allem gegen deren angebliche Unterstützung einer jüdischen Staatsgründung in Palästina. Jede offizielle Stellungnahme in England und den USA, die sich gegen die Verfolgung der europäischen Juden oder für einen jüdischen Staat in Palästina aussprach, diente als weitere Bestätigung der Tatsache, dass die Juden die britische und amerikanische Regierung wie auch den „jüdischen Bolschewismus“ Moskaus kontrollierten.
Mit dem Vorrücken von Rommels Afrikakorps bis auf weniger als hundert Kilometer vor Alexandria zwischen Frühjahr und Herbst 1942 schien den NS-Radiopropagandisten der Sieg zum Greifen nahe. Am 3. Juli 1942 verkündete „Berlin auf arabisch“, der siegreiche deutsche und italienische Vormarsch werde „die ägyptische Unabhängigkeit und Souveränität garantieren“. Die Truppen der Achsenmächte kämen nach Ägypten, um die Briten von dort zu vertreiben und „den gesamten Nahen Osten vom britischen Joch zu befreien. Die Politik der Achse sei vom Prinzip ‚Ägypten den Ägyptern‘ geleitet. Die Freilassung Ägyptens aus den Ketten britischer Anbindung und die Sicherung des Landes gegen Kriegsrisiken werde es ihm ermöglichen, seinen Platz innerhalb der unabhängigen souveränen Staaten einzunehmen.“17 Es folgte die Ausstrahlung einer Stellungnahme des Großmuftis von Palästina, Haj Amin el-Husseini, in der es hieß: „Der glorreiche Sieg, den die Achsentruppen in Nordafrika errangen, hat die Araber und den ganzen [Nahen] Osten beflügelt und sie in ihrer Bewunderung der Genialität Feldmarschall Rommels und der Tapferkeit seiner Soldaten bestärkt. Der Grund hierfür ist die Überzeugung der Araber, dass die Achsenmächte gegen den gemeinsamen Feind kämpfen, nämlich gegen Briten und Juden, und für die Beseitigung der sich ausbreitenden kommunistischen Gefahr im Gefolge der [alliierten] Aggression im Iran. Allgemein gesprochen ziehen diese Siege weitreichende Konsequenzen für Ägypten nach sich, denn mit dem Verlust des Niltals und des Suezkanals und dem Zusammenbruch britischer Herrschaft über Mittelmeer und Rotes Meer rückt die Niederlage Englands und das Ende des britischen Empire näher.“18
Am 7. Juli 1942 um 20:15 Uhr Kairoer Zeit übertrug der Sender „Die Stimme des freien Arabiens“ (im folgenden SFA) einen der bemerkenswertesten Beiträge der Kriegszeit, an dem sich die Verbindungslinien zwischen allgemeiner NS-Propaganda und ihrer Anpassung an den nahöstlichen Kontext beispielhaft aufzeigen lassen. Der Text war überschrieben „Töte die Juden, bevor sie dich töten“ und stand als Ausdruck tiefsitzenden Judenhasses Äußerungen von Hitler und Goebbels in nichts nach. Am Beginn der Sendung stand die Lüge, „eine große Zahl Juden in Ägypten sowie einige Polen, Griechen, Armenier und Freie Franzosen [Anhänger De Gaulles]“ seien mit Revolvern und Munition ausgerüstet worden, um „im letzten Augenblick beim erzwungenen Rückzug der Briten aus Ägypten gegen die Bevölkerung aktiv zu werden“.19
Weiter hieß es: „Angesichts dieses barbarischen Vorgehens der Briten erscheint es uns im Interesse der Rettung der ägyptischen Nation am besten, wenn sich die Ägypter wie ein Mann erheben, um die Juden zu töten, bevor sie Gelegenheit zum Verrat am ägyptischen Volk haben. Es ist die Pflicht der Ägypter die Juden zu vernichten und ihr Eigentum zu zerstören. Ägypten kann niemals vergessen, dass es die Juden sind, die die imperialistische britische Politik in den arabischen Ländern umsetzen und die Quelle allen Unglücks bilden, das den [Nahen] Osten befallen hat. Den Juden geht es um die Ausdehnung ihrer Herrschaft in allen arabischen Staaten, doch ihr Erfolg hängt vom britischen Sieg ab. Deswegen versuchen sie Großbritanniens Schicksal abzuwenden und deswegen werden sie von den Briten bewaffnet, um Araber zu töten und das britische Empire zu retten. Ihr müsst die Juden töten, bevor sie das Feuer auf Euch eröffnen. Tötet die Juden, die sich Euren Besitz angeeignet haben und Eure Sicherheit untergraben. Araber Syriens, des Irak und Palästinas, worauf wartet ihr? Die Juden planen, eure Frauen zu schänden, eure Kinder zu töten und euch zu zerstören. Die muslimische Religion erhebt die Verteidigung eures Lebens zur Pflicht, die nur durch die Vernichtung der Juden erfüllt werden kann. Dies ist eure beste Gelegenheit, diese schmutzige Rasse loszuwerden, die sich eurer Rechte bemächtigt und Unglück und Zerstörung über eure Länder gebracht hat. Tötet die Juden, verbrennt ihr Eigentum, zerstört ihre Läden, [und] vernichtet diese gemeinen Helfer des britischen Imperialismus. Eure Hoffnung auf Errettung beruht auf der Vernichtung der Juden, bevor sie euch vernichten.“20
Auf das arabische und muslimische Umfeld übertragen findet sich hier die gleiche Projektionslogik und Paranoia, die den radikalen, größtenteils auf Europa zentrierten NS-Antisemitismus kennzeichneten und Massenmord als Akt der Selbstverteidigung rechtfertigten. Die Tirade vereint den politischen und rassischen Hass des Nationalsozialismus mit der Beschwörung vermeintlicher islamischer Forderungen. Während die NS-Propaganda an der Heimatfront die fortschreitende Vernichtung der europäischen Juden als Reaktion auf einen herbeiphantasierten jüdischen Vernichtungskrieg gegen Deutschland ausgab, appellierte sie in ihren Radiosendungen an Araber und Muslime, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.