Читать книгу Investiturstreit - Группа авторов - Страница 11
1. Die soziale Ordnung im 11. Jahrhundert
ОглавлениеGesellschaftsmodell
Die Welt des 11. Jahrhunderts ist von ihrer sozialen Gliederung her in mehrere Teilbereiche zu differenzieren, die nicht immer strikt voneinander zu trennen sind und bisweilen ineinander übergehen. Am Beginn des 11. Jahrhunderts formulierte Adalbero von Laon eine Gliederung der Gesellschaft in drei funktionale Stände (ordines). Nach seiner Darstellung gab es einen Stand, der betet, einen, der kämpft, und einen, der arbeitet. In der Quellenterminologie bei Adalbero sind es Personen qui orant, pugnant oder eben laborant. Mit den Betern waren sowohl Mönche als auch Kleriker gemeint, mit den Kämpfern der Adel – ohne dass dieser im 11. Jahrhundert bereits ein geblütsrechtlich abgeschlossener Stand gewesen wäre – und als Arbeitende sind vorrangig die Bauern bezeichnet, die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, da sich Städte in Deutschland erst allmählich entwickelten. Dieses Modell der Dreiteilung gewann für das weitere Mittelalter eine enorme Wirkmächtigkeit. Adalbero steht dabei für einen von vielen Autoren des 11. Jahrhunderts, die häufig eine derartige Dreiteilung der Gesellschaft vornahmen, jedoch mit unterschiedlicher Terminologie. Das Dreiteilungsschema kann somit als ein allgemein im 11. Jahrhundert verbreitetes Schema aufgefasst werden, das den Zeitgenossen dazu diente, ihre Gesellschaft zu beschreiben. Der Anspruch war jedoch nicht eine soziologische Analyse des aktuellen Zustandes der Gesellschaft. Das liegt nicht nur an den funktionalen Begrifflichkeiten bei Adalbero, sondern auch an ihrem Zweck. Adalbero bot vor allem eine Norm. Er beschrieb, wie die Gesellschaft aufgebaut sein sollte, in der jeder der drei Stände seine Aufgabe für das Ganze erfüllte. Die Aufgabe der Kämpfer war der Schutz sowohl der Kirche als auch aller Laien. Die Beter hatten für das Seelenheil der Gläubigen zu wirken und die Arbeitenden sich selbst sowie die beiden anderen ordines zu ernähren, die sich auf den Schutz und die Heilsvermittlung für alle spezialisiert hatten. In diesem Gesamtgefüge hatte jeder seine Aufgabe, zum Gelingen des Ganzen beizutragen – sobald er dies nicht im rechten Maße tat, geriet die Ordnung durcheinander, etwa wenn sich die Arbeitenden gegen die Kämpfer erhoben oder die Beter nicht mehr das göttliche Heil vermittelten. Und genau dies war in den Augen etlicher Zeitgenossen im Investiturstreit geschehen: Das harmonische Miteinander der drei ordines war durch den Konflikt gestört.
Dabei war den Zeitgenossen bewusst, dass die drei Stände nicht immer klar voneinander zu trennen waren. Adalbero von Laon bietet dafür innerhalb seiner drei Ordines noch eine Binnendifferenzierung, die durch weitere Elemente wie den rechtlichen Status (Adelige, Freie, Unfreie) oder das Vermögen geprägt war. In der Kategorie der Kämpfer waren Adelige und teilweise Freie zu finden. Die soziale Mobilität dieser Epoche war im Vergleich zum ausgehenden 12. Jahrhundert noch relativ hoch. Der Aufstieg der Freien in den Adel war hier noch möglich. Die Arbeitenden sind hingegen in ihrer Masse mit den Unfreien zu identifizieren, nur wenige waren im 11. Jahrhundert noch Freie. Die gesellschaftliche Führung in der Gruppe der Kämpfer und Beter beanspruchte der Adel. Zwar wies die Kirche stets eine gewisse Durchlässigkeit auf, sodass Bischofstühle immer wieder von Personen besetzt wurden, die nicht aus dem Hochadel stammten, doch insgesamt war die Kirche deutlich durch den Adel dominiert.
familia
Die entscheidende Grundeinheit für den mittelalterlichen Menschen war ohne Frage die Familie, in die man hineingeboren wurde. Das Grundkonzept der Familie (familia) galt jedoch nicht nur für natürliche Familien. So wird beispielsweise die Gemeinschaft eines Klosters in den Quellen als familia bezeichnet. Dazu gehören auch die Personen, die der Gewalt und dem Schutz des Abtes unterstellt waren. Die natürliche Familie, der Stand von Vater und Mutter, trug maßgeblich zum sozialen Stand der Menschen bei, zu deren Aufstiegsmöglichkeiten, aber auch zu deren Rechtsstellung. Ihrer Rechtsstellung nach sind Adelige von den einfachen Freien und diese wiederum von den Unfreien zu unterscheiden. Generell war die Grenze zwischen Freien und Adeligen im 11. Jahrhundert noch einfacher zu überwinden als seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert. Die rechtliche Stellung des Individuums war noch nicht ausschließlich geburtsrechtlich an die Stellung der Eltern gekoppelt, der Adel noch keine geblütsrechtlich abgeschlossene Schicht. Daher weist die Gesellschaft des 11. Jahrhunderts – zumindest im Reich – eine gewisse soziale Mobilität auf, in welcher der Rechtsstatus nicht mit der Geburt festgelegt sein musste. Zugleich ist jedoch zu betonen, dass diese Mobilität nur einem kleinen Teil der Bevölkerung offenstand. Die allermeisten Menschen blieben zeit ihres Lebens in dem rechtlichen Stand, in den sie hineingeboren wurden. Doch einzelne Beispiele des Aufstiegs lassen uns erkennen, dass eine gewisse Mobilität möglich war. Gerade im Vergleich zur geblütsrechtlichen Abschottung des Adels ab dem 12. Jahrhundert weist das 11. Jahrhundert hier eine wesentlich höhere Durchlässigkeit auf. Diese Dynamiken wurden durch den demografischen und wirtschaftlichen Wandel unterstützt.
Laien und Kleriker
Funktional und rechtlich am deutlichsten voneinander zu trennen sind sicherlich Kleriker und Laien. Dabei ist die Gruppe der Beter nicht einfach mit den Klerikern gleichzusetzen, auch ungeweihte Mönch zählten dazu. Die Weihen waren für die funktionale Hauptaufgabe etlicher Mönche im 11. Jahrhundert, das Beten für das Seelenheil anderer, nicht notwendig. Kleriker waren hingegen durch ihre Weihe deutlich von den Laien getrennt. Durch die Weihe konnten Priester die Sakramente spenden und damit das göttliche Heil an die Gemeinden vermitteln. Die besondere Stellung der Kleriker kam auch in ihrer Rechtsstellung zum Ausdruck, da die weltliche Gewalt einen Kleriker – außer bei Kapitalverbrechen – nicht ohne die Einwilligung des Diözesanbischofs verhaften oder gar aburteilen konnte. Nach dem sogenannten privilegium fori unterstanden die Kleriker dem kirchlichen Gericht. Der Bischof einer Diözese war der Richter seiner Kleriker und Mönche. Erst nach der Verhandlung vor dem Bischof entschied dieser, ob er bei der erwiesenen Schuld eines Klerikers oder Mönches diesen nicht nur mit geistlichen Strafen belegte, sondern ihn auch der weltlichen Gewalt übergab. Im Übrigen war der entsprechende Kleriker rechtlich gesehen dem Zugriff der weltlichen Gewalt entzogen.