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4. Das neue Priesterideal – die Reinheit der Kirche
ОглавлениеDas Ideal des Priesterstandes scheint nach der Norm überzeitlich zu sein. Denn dass ein Priester eine Vorbildfunktion für die Gemeinde haben soll, dass er sich in stärkerem Maße als das einfache Gemeindemitglied an der Schrift und den Regelungen der Kirche orientieren soll, das sind überzeitliche und bis heute gültige Vorstellungen. Doch zugleich gibt es seit dem beginnenden 11. Jahrhundert wenn auch nicht in allen Teilen neue, so doch nun verdichteter eingeforderte Ideale von der Reinheit der Priester, wie es Johannes Laudage in seiner Dissertation zu „Priesterbild und Reformpapsttum“ (1984) herausgearbeitet hat. Die Arbeit ist nicht in allen Punkten auf Akzeptanz gestoßen, doch ist es ihr bleibendes Verdienst, nachdrücklich auf dieses Moment als Vorbedingung der Reformen hingewiesen zu haben. Damit eröffnete sie einen weiteren Horizont für das Verständnis dessen, was sich in der gregorianischen Reform vollzog, auch wenn suggerierte Zwangskausalitäten strittig bleiben.
Entscheidend ist es für das Verständnis der Forderung nach Reinheit, dass diese kein Selbstzweck war. Vielmehr wurde unter den Reformern intensiv diskutiert, wie die Kirche ihrer Aufgabe gerecht werden kann, das göttliche Heil zu vermitteln. Wo waren die Grenzen, wo waren Verbesserungen notwendig, was musste konkret getan werden? Nur vor diesem Hintergrund ist die Forderung verständlich, dass Priester reiner leben sollten, als dies bisher teilweise der Fall gewesen war. Nur mit reinen Priestern konnte die Kirche nach der Vorstellung der Reformer ihre Aufgabe der Heilsvermittlung erfüllen. Die Forderung nach Reinheit musste für fast jeden Priester Konsequenzen haben, wie es Petrus Damiani in seinem wohl im Sommer 1052 entstandenen Liber Gratissimus formulierte.
Quelle
Die geforderte Reinheit der Priester und die Wirkung des Amtes (Petrus Damiani, Liber Gratissimus)
Zit. nach: Johannes Laudage/Matthias Schrör (Hrsg.): Der Investiturstreit, Nr. 6, S. 51
Der wahre und unverkürzte Glaube beinhaltet also, dass wie die Taufe so auch die Priesterweihe durch keinen Schandfleck sündig erscheinender Amtsinhaber beschmutzt wird und dass sie nicht durch das Verbrechen einer fremden Schuld Schaden erleidet, sondern dass derjenige, der geweiht wird – wie lasterhaft und in beliebig großer Sünde verstrickt auch jener sein mag, der konsekriert –, deswegen keineswegs durch den Verlust der geheiligten Gaben zugrunde gerichtet und durch keinerlei Minderung der himmlischen Gaben betrogen wird. Denn nicht aus dem Verdienst des Priesters, sondern aus dem Amt, das dieser versieht, wird das Mysterium der Weihe auf einen anderen übertragen, und es lohnt sich nicht, auf den Konsekrator zu schauen, wie beschaffen jener gelebt hat, sondern man muss nur auf das Amt achten, das er empfangen hat.
Petrus Damiani hat damit auf der einen Seite eine tröstliche Botschaft für die Priester und die Gläubigen: Die Wirkung der Sakramente hänge nicht vom persönlichen Verdienst der die Sakramente spendenden Person ab, sondern allein von dem Amt – in diesem Fall des Konsekrators: „nicht aus dem Verdienst des Priesters, sondern aus dem Amt“ geschehe das nach den Worten Petrus Damianis. Doch ebenso macht er einleitend deutlich, dass der Priester sein Amt nicht beschmutzen dürfe, da er dadurch eventuell seiner „geheiligten Gaben“ verlustig ginge oder diese zumindest gemindert würden. Die Wirkung der Sakramente allein durch das Amt blieb während des Investiturstreits eine nicht unumstrittene Position, die dann vor allem im Hinblick auf die von Schismatikern gespendeten Weihen immer wieder infrage gestellt wurde.
Reformforderungen
Damit die Kirche ihre Aufgabe erfüllen und das göttliche Heil vermitteln konnte, mussten ihre Amtsinhaber nach der Vorstellung der Reformer bestimmten Mindestanforderungen gerecht werden können: Vor allem durften sie sich nicht beflecken, damit ihre Person nicht als für den göttlichen Dienst unwürdig gelten konnte und damit insbesondere die Wirksamkeit der Heilsvermittlung mithilfe der Sakramente infrage stand. Um dies zu verhindern, rückten rasch zwei Punkte als die immer wieder eingeschärften Reformforderungen in den Fokus der Reformer, die Radikale unter ihnen sogar mit Häresie gleichsetzten: Simonie und Nikolaitismus galten den Reformern als entscheidendes Übel, die es in der Kirche zu beseitigen galt, sodass sie ihren Auftrag durch reine Priester wahrnehmen konnte. Diese beiden Forderungen wurden immer verkündet und sind daher in fast allen überlieferten Synodalbeschlüssen enthalten. Die permanente Wiederholung dieser Forderungen verdeutlicht zugleich, wie langwierig und schwierig der Kampf gegen Simonie und Nikolaitismus war, wobei die Überlieferung uns nur selten Einblick in die Rechtfertigungsschriften von Simonisten gibt – anders als bei den Schriften, die die Priesterehe verteidigen. Die allgemein übliche Laieninvestitur war für die frühen Reformer dagegen kein Ärgernis.
Stichwort
Simonie
Der Begriff Simonie geht auf Simon den Magier zurück, der nach Apg 8,5–24 versucht haben soll, den Jüngern Jesu ihre Gaben mit Geld abzukaufen. Simonie bezeichnet daher den Kauf oder Verkauf geistlicher Ämter. Seit der frühen Kirche war Simonie zwar explizit untersagt, doch ebenso gängige Praxis, an der sich erst die Reformer des 11. Jahrhunderts in erheblichem Maße störten.
Stichwort
Nikolaitismus
Der Zölibat für Priester war zwar bereits in der frühen Kirche gefordert worden, doch entsprach diese Lebensweise nicht der sozialen Praxis der lateinischen Kirche, insbesondere nicht der Landpfarrer. Die nicht zölibatär lebenden Priester wurden erstmals von Humbert von Silva Candida in polemischer Weise als Nikolaiten bezeichnet. Die Lateransynode von 1059 verbot diesem Personenkreis gottesdienstliche Handlungen, ohne dass dies jedoch sofort auf breite Akzeptanz gestoßen wäre.
Dieses neue Ideal der reinen Priester wird besonders deutlich im Bereich der Kanoniker fassbar, bei in monastischer Gemeinschaft zusammenlebenden Geistlichen, die auf die Seelsorge ausgerichtet waren und damit auf die sakramentale Heilsvermittlung. Als gemeinschaftliches Priesterkolleg bemühten sie sich darum, das göttliche Heil zu vermitteln, das nach allgemeiner Lehrmeinung nur in und durch die Kirche zu erreichen war (nulla salus extra ecclesiam). Es ist naheliegend, dass Fragen des priesterlichen Selbstverständnisses in diesen Priestergemeinschaften eher artikuliert, dann verschriftlicht und tradiert wurden als bei einem einfachen Landpfarrer. Im Reich ist auf dieser Grundlage eine zweifache Veränderung des Priesterbildes zu fassen: Zum einen ist die Sakramentenvermittlung stärker in den Vordergrund gerückt, und hier vor allem die Feier der Eucharistie, in der der Priester an Christi statt die Wandlung von Hostie und Wein in Leib und Blut Christi vollzieht. Doch neben dieser Vermittlung an die Gläubigen ist zum anderen ein verstärktes Bemühen der Priester um Selbstheiligung festzustellen, etwas, was bisher eher aus dem monastischen Bereich bekannt war, in dem sich die Mönche zum Zwecke der Selbstheiligung aus der Welt zurückzogen, um näher zu Gott zu kommen.
Regularkanoniker
Verstärkt wurde diese Neuorientierung der Kanoniker durch eine Kanonikerreform, zu der auch das Papsttum einen Beitrag leistete. Die Lateransynode des Jahres 1059 beschloss eine weitreichende Reform der Kanoniker, deren ursprüngliche Regel 816 durch Ludwig den Frommen festgeschrieben worden war. Es kam zu einer Differenzierung in Säkularkanoniker und Regularkanoniker. Die Rückführung der Kanoniker zu einem einfacheren Leben und weiteren Regelungen, die diese zu reineren Priestern machen sollten, kann als der eigentliche inhaltliche Anteil Gregors VII. an der Reform bezeichnet werden. Vor allem stand eine Rückkehr zum apostolischen Leben im Zentrum der Reform der Regularkanoniker, der strengeren Ausprägung der Kanoniker, denen beispielsweise Besitz verboten war. Sie erhielten zuletzt durch Urban II. nochmals eine kräftige Förderung. Sie spielten für die Anliegen der Reform allzumal im Reich eine große Rolle, was am Beispiel des Kanonikerstifts Rottenbuch gut abzulesen ist.
Vita communis
Auch in Frankreich und Italien machten sich Bischöfe und Priester Gedanken über eine Neuausrichtung des priesterlichen Lebens. So lassen sich beispielsweise in Italien Bemühungen des Bischofs von Cesena um eine neue vita communis des Kathedralklerus fassen. Auch dort kam es zu einer Angleichung an den monastischen Bereich. Der Bischof forderte von seinen Priestern Besitzlosigkeit, eine Forderung, welche die Ausprägung der Regularkanoniker unterstützte. Die an der Kathedrale zu einem Kathedralkapitel zusammengeschlossenen Kanoniker sollten regelmäßig zu den Gottesdiensten, Gebeten und Andachten erscheinen und die divina officia ausüben, mithin Sakramente spenden. Diese Bemühungen um eine neue Qualität der Heilsvermittlung hatten Rückwirkungen auf die Vorstellung von Kirche selbst. Das neue und schärfere Priesterbild führte zu einer veränderten Sicht auf die Kirche, zu neuen Vorstellungen von dieser, ja es konnte sogar bis zu einer Verschiebung der Akzente in der Ekklesiologie reichen. Dadurch veränderten sich die lebenswirklichen Anforderungen an einen Bischof. Die Norm, an der er sich auszurichten hatte, erhielt einen neuen Sitz im Leben.
Die Idee der libertas nach cluniazensischer Prägung, die vallombrosianischen Bemühungen um ein neues und reineres Mönchtum und die Vorstellungen von einem neuen Priestertum blieben zunächst für die Gesamtkirche ohne umfassende Wirkung. Denn noch fehlte der Kirche ein all diese Entwicklungen tatkräftig bündelndes Zentrum, das Ideen und Entwicklungen aus einzelnen Regionen in die Gesamtkirche hineinspiegelte und somit die gesamte Kirche mit den neuen Vorstellungen konfrontierte. Das Papsttum war – zumindest bis zur papstgeschichtlichen Wende – noch keine aktiv in die gesamte Kirche hineinwirkende und diese aktiv leitende Institution.
Auf einen Blick
Geistliche und weltliche Sphäre waren vor der Kirchenreform eng miteinander verbunden. Was er- strebten die Kirchenreformer mit ihrer Forderung nach der libertas ecclesiae?
Die Abtei Cluny war im 11. Jahrhundert das wohl bedeutendste und größte Kloster Europas. Inwie- fern erwies sich das dort entwickelte Modell der Freiheit eines Klosters als zukunftsträchtig?
Seit der Karolingerzeit wurde die Christianisierung Europas auch mithilfe des Eigenkirchenwesens vorangetrieben. Was versteht man unter dem Eigenkirchenwesen und wieso stellte diese seit Jahr- hunderten geübte Praxis für die Kirchenreformer ein Problem dar?
Die Kirchenreform war zunächst vor allem ein Ringen um die Wiederherstellung der Kirche, damit diese ihrer Aufgabe der Heilsvermittlung an die Gläubigen gerecht werden konnte. Was waren für die Kirchenreformer die beiden Hauptübel, die es nach ihrem Dafürhalten zu bekämpfen galt, um eine reine Kirche herzustellen, damit diese ihren göttlichen Auftrag wahrnehmen konnte?