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2. Wirtschaftlicher und demografischer Wandel

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Bevölkerungswachstum

Das 11. Jahrhundert steht am Beginn einer demografischen und wirtschaftlichen Aufschwungsentwicklung in Europa. Wir können davon ausgehen, dass um die Jahrtausendwende im Reich ca. 4,5 bis 5,5 Millionen Menschen lebten, im westfränkisch-französischen Königreich hingegen 6,5 bis 7 Millionen, wobei diese Zahlen immer nur Annäherungen sein können. Ist das 10. Jahrhundert eher durch eine Stagnation der Bevölkerungsentwicklung gekennzeichnet, sofern die spärlichen Quellenzeugnisse dieser Zeit genauere Aussagen zulassen, so beginnt mit dem 11. Jahrhundert ein beachtliches Bevölkerungswachstum und eine wirtschaftliche Dynamik. Das Bevölkerungswachstum wurde durch eine Ausweitung der Anbauflächen ermöglicht, indem Wälder gerodet, Sümpfe trockengelegt oder Deiche errichtet wurden. Land allein war für die Grundherren von wenig Interesse – es musste bewirtschaftet werden und Ertrag bringen. Der Großteil Europas bestand im 11. Jahrhundert noch aus Wald. Er lieferte nicht nur Holz und damit einen entscheidenden Grundstoff für weiteres Werkzeug, zum Bau von Häusern oder Brennmaterial. Doch ebenso war der Wald eine wichtige Nahrungsquelle, indem etwa im Herbst die Schweine zur Eichelmast in den Wald getrieben wurden. Der Wald lieferte Honig, das einzige bekannte Süßungsmittel des Mittelalters, da es noch keinen Zucker gab. Die Rodung weiterer Waldflächen diente der Gewinnung von Neuland, um mehr Getreide anbauen zu können. Vom Ertrag her kann man davon ausgehen, dass ein Korn im Durchschnitt vier Körner hervorbrachte, sofern es zu keiner Dürre oder Unwettern in der Erntezeit kam, das Saatgut nicht verdarb oder Ähnliches eintrat. Von der Ernte musste im günstigsten Fall ein Viertel für die Neuaussaat zurückgehalten werden. Erst der Rest kann als Ertrag betrachtet werden. Von diesem musste nicht nur der Zehnt für die Kirche abgezogen werden und sich die Bauernfamilie, die das Feld bewirtschaftete, ernähren, sondern ebenso musste der Grundherr davon ernährt werden. Dieser konnte ein Adeliger, ein Kloster, ein Bischof, ein Herzog oder der König sein. Und erst der Rest war möglicher Gewinn, der veräußert oder eingetauscht werden konnte, zugunsten der das Land bewirtschaftenden Bauern oder des Grundherrn. Der Agrarsektor war im gesamten Mittelalter der wichtigste wirtschaftliche Bereich. Auf dem Land wurde nicht nur die Grundlage des allgemeinen Lebens erwirtschaftet, neben den Lebensmitteln entstanden hier alle für das tägliche Leben notwendigen Dinge. Allein die Produktion von Luxusprodukten war dem städtischen Bereich vorbehalten, für deren Herstellung man Spezialisten brauchte.

Villikationsverfassung

Organisatorisch für die Strukturierung des Landes und der ländlichen Wirtschaft war im 11. Jahrhundert noch die sogenannte Villikationsverfassung des Frühmittelalters maßgeblich. Zwar setzte im 11. Jahrhundert ihr Zerfall ein, doch sie blieb in diesem Jahrhundert die bestimmende Wirtschaftsart auf dem Land. Kennzeichnend für die Villikationsverfassung ist ein zweigeteiltes Grundherrschaftssystem: Einen Teil des Landes, das einem Grundherrn gehörte, bewirtschaftete dieser selbst. Der zentrale Punkt dieser Eigenwirtschaft des Grundherrn war ein Fronhof, auch als Salhof bezeichnet, der in den Quellen häufig als villa erscheint und der dem gesamten Bewirtschaftungssystem seinen Namen gab. Idealtypisch war diese villa der Wohnsitz des Grundherrn. Andere – ebenso dem Grundherrn gehörige, von diesem aber nicht selbst bewirtschaftete – Fronhöfe wurden von einem Verwalter bewirtschaftet, der in den Quellen meist als villicus auftaucht oder als maior (Maier). Das Land, das zu dem Fronhof gehörte, das sogenannte Salland, wurde von abhängigen Bauern bewirtschaftet. Diese wohnten in der Umgebung des Salhofes und waren als Unfreie direkt vom Grundherrn abhängig – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich. Als Hintersassen bezeichnen wir die weiter vom Hof entfernt lebenden Abhängigen, die nicht mehr das Salland bearbeiteten. Ihre Abhängigkeit vom Grundherrn kam in einer Abgabe an diesen zum Ausdruck. Diese bemaß sich in der Regel nach dem von ihnen bewirtschafteten Grund. Die Einheit, die dieser Bewirtschaftung zugrunde liegt, bezeichnen wir als Hufe, der Quellenbegriff lautet mansus. Eine Hufe ist jedoch kein Flächenmaß, sondern meint so viel Land, wie eine Familie bewirtschaften kann. Das Villikationssystem war immer auf die Versorgung des Grundherrn ausgerichtet. Es ist daher von seinem systemischen Charakter her auf geringe Außenbeziehungen zu anderen ausgerichtet. Nicht zuletzt wurde diese Tendenz zusätzlich dadurch unterstützt, dass die Märkte sowie der Nah- und Fernhandel dieser Epoche zumindest im Reich noch nicht allzu sehr entwickelt waren. Zwar kann es an einzelnen Orten eventuell schon Messen gegeben haben, doch erst im 12. Jahrhundert erleben diese Einrichtungen einen entscheidenden Aufschwung.

Reichsgut – Eigengut

Generell musste das 11. Jahrhundert in manchen Bereichen der Wirtschaftsorganisation erst wieder auf das Niveau der Karolingerzeit zurückkommen. Denn das 10. Jahrhundert war eine Phase der immer stärkeren Dezentralisierung nicht nur der politischen Entscheidungskompetenzen, sondern auch der Gesamtpolitik für die Nachfolgestaaten des Karolingerreiches. Das Karolingerreich hatte – zumindest in seiner Hochphase unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen – noch sehr stark auf die wirtschaftliche und konkret nahrungstechnische Versorgung des Hofes durch die königlichen Güter gesetzt. Damit sind die Güter gemeint, die wir im Westfrankenreich beziehungsweise Frankreich als Krondomäne bezeichnen, im Reich als sogenanntes Reichsgut. Eigentümer dieser Güter war das Königreich in der Person des Königs. Er verfügte über diese Güter, konnte sie direkt bewirtschaften oder ausgeben. Davon zu trennen ist das Allod, oder Allodialgut, also das Eigengut des Herrschers, das nicht dem Königreich, sondern dem König als „Privatperson“ gehört. Im Erbfall ging es daher nicht an den nächsten König über, sondern an Mitglieder der königlichen Familie, an die Verwandten des Königs.

Dieses Reichsgut wurde seit den Ottonen immer stärker durch die Reichskirche verwaltet, der die Könige die Reichsgüter übertragen hatten. Nach dem ersten Drittel des 10. Jahrhunderts bemühten sich die Herrscher des ostfränkisch-deutschen Reiches um eine kontinuierliche und intensivere Einbindung der Kirche in die herrscherlichen Belange. Dieses Vorgehen hatte sich als für die Könige sehr ertragreich herausgestellt. Langfristig entzog es dem Königtum jedoch die direkte Verfügungsgewalt über erhebliche Ressourcen – und je stärker die Sphären von regnum und sacerdotium, von Königtum und Kirche, auseinandertraten, desto deutlicher machte sich dieser Verlust von direkter Kontrolle der wirtschaftlichen Basis und damit in den wirtschaftlichen Grundlagen des Königtums bemerkbar. Das lange eingeübte Zusammenwirken von König und Reichskirche bei der königlichen Herrschaftsausübung schien durch den Investiturstreit bedroht. Die heftigen Proteste des Reichsepiskopats und des weltlichen Adels im Reich gegen den zwischen Heinrich V. und Paschalis II. ausgehandelten Lösungsansatz zeigen, wie eng diese Verbindung geworden war und als wie bedrohlich eine Auflösung von den Betroffenen empfunden wurde. Heinrich V. und Paschalis II. hatten geplant, dass die der Reichskirche übertragenen Güter wieder an den König zurückfallen würden, der König dafür auf jede Form der Investitur verzichten würde. Der Plan war zwar durch den entschiedenen Widerstand der weltlichen und geistlichen Reichsfürsten nicht zur Ausführung gekommen. Er demonstriert jedoch die Reichweite des Investiturstreits jenseits der Fragen der Kirchenreform. Der Investiturstreit ist eben kein rein kirchengeschichtliches Thema, sondern eine Epoche grundlegender Wandlungen sowohl der geistigen als auch der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Europas.

Investiturstreit

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