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Prosa der Verhältnisse 2: Magazine des Wissens

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Waren Tiecks Novellen im ersten Jahrzehnt noch in den modischen Taschenbüchern und Almanachen erschienen, so prägte seit Mitte der 1830er Jahre nachhaltig das Journal den Markt und die literarischen Formen. Annähernd alle repräsentativen Texte der Zeit, sei es Die Judenbuche von Droste-Hülshoff, seien es Berthold Auerbachs Schwarzwälder Dorfgeschichten (1843–53), Adalbert Stifters erste Erzählungen oder Büchners Lenz, erschienen in Journalen. Damit ging der Siegeszug der Prosaliteratur, der das ganze 19. Jahrhundert anhielt und im Realismus seinen Höhepunkt mit den Vorabdrucken in äußerst populären und massenhaft verbreiteten Familienzeitschriften erreichte, mit der Bindung an verschiedene Formen der Zeitschrift einher.

In ihnen setzte die erzählende Prosa als am wenigsten reglementierte aller Gattungen sich zu den aufstrebenden (natur)wissenschaftlichen Disziplinen ins Verhältnis und dem zunehmend unverbundenen, gruppenspezifischen Wissen, das diese für die entstehenden Fachgemeinschaften produzierten. Auch diese Veränderungen der Wissensproduktion und Wissensvermittlung sind im Zusammenhang einer Ausdifferenzierung westlicher Gesellschaften in unabhängige Funktionsbereiche durch den Prozess ihrer Modernisierung zu sehen. Immermanns Die Epigonen (1836) gewähren mit ihrer Darstellung des Konflikts zwischen humanistischem Gymnasium und neuer naturwissenschaftlicher Realschule einen Blick auf diese Problematik. In der Prosa wurde die Literatur somit zur Schnittstelle von Gesellschaft und rasant anwachsenden, oft unverbundenen neuen Wissensmengen. Indem Literatur dieses Wissen in ihren fingierten Lebenswelten sinnlich erfahrbar machte, befragte sie dieses auch auf seine Konsequenzen für den Einzelnen und die Gesellschaft. Beispielhaft ist diese neuartige Durchmischung von Poesie, Erzähl- und Zweckprosa an Heines Reisebildern (1826–1831) abzulesen.

Der innerliterarische Wandel, den die Abkehr von der Romantik darstellt, geschah nicht durch die beschriebenen wissenschaftlichen, technischen und sozialen Umbrüche als solche. Er vollzog sich vielmehr an dieser publizistischen Schnittstelle der zeitaktuellen Wahrnehmung und Verarbeitung all jener Veränderungen am Welt-, Natur- und Menschenbild. Der Wille zum Wissen war wiederum ein allgemeiner und verband so verschiedene Œuvres wie etwa die der Österreicher Stifter und Karl Postl, der sich Charles Sealsfield nannte. Sealsfield vollzog den Übergang von der faktenorientierten Prosa der Wissensvermittlung auf der Basis von Arbeiten für Journale (Austria as it is, or Sketches of Continental Courts, 1828) zum fiktiven Roman (Lebensbilder aus beiden Hemisphären, 1835–37) ganz selbstverständlich.

Doch ist Literatur nicht nur als eine Reagierende im Nachtrab dieses sozialen und denkgeschichtlichen Umbruchs zu lesen. Sie bildete als Journalliteratur nicht selten dessen Vorhut, indem sie die Debatten über Art und Richtung der Entwicklung anstieß, austrug und somit entscheidend dafür war, welche leitenden Unterscheidungen und Grenzziehungen ausgehandelt wurden. Die Romane der Zeit glichen sich häufig dem vielstimmigen Journal an und übernahmen dann eine ähnliche Funktion wie deren heute kaum noch zu ermessende Vielzahl: Estermann (1991) weist für den Zeitraum 1815–1850 über 2.000 Zeitschriftentitel, darunter natürlich auch kurzlebige, mit etwa 60.000 Textbeiträgen nach.

Roman und Journal stehen damit aber auch im Zeichen einer für den Einzelnen wie die Gesellschaft bedrohlich erscheinenden Ausdifferenzierung, die sie gleichermaßen zu gestalten und zu bewältigen versuchten. Journalprosa und Prosaliteratur arbeiteten dabei mit einer neuen Rhetorik der Verwischung von Unterschieden zwischen dem Text und seinen Kontexten. Und diese Kontexte selbst wurden zunehmend nicht mehr spekulativ-dialektisch entlang von einander ausschließenden philosophischen Gegenbegriffen, sondern empirisch induktiv aufgezeichnet und gleichsam wissenschaftlich in graduelle Skalen eingetragen.

Dieses Interesse für die Empirie des Sichtbaren und Zählbaren machte Mode und Geld zu wichtigen neuen Themen. Die in Sealsfields Morton (1835) dargestellten Londoner fashionables, der in seinem George Howard (1835) skizzierte New Yorker Kleiderluxus gehören zur neuen Aufmerksamkeit für diese Modernisierungsindikatoren. Auch in Dichter und ihre Gesellen des erklärten Konservativen Eichendorff ist das Vordringen der empirischen Wahrnehmung anhand derselben Topoi Mode und Geld zu beobachten. Ort dieser Moderne ist zwar die große Stadt, doch wurde zugleich mit der städtischen Moderne auch die ‚Natur‘ detailliert und neuartig dargestellt. Sie war jedoch nicht mehr als harmonische Romantik-Natur der Gegenraum der als dynamisch erlebten großen Stadt, sondern wurde wie diese als chaotisch und gefährlich erlebt. Ja, erlebte, wilde äußere Natur erwies sich als verknüpft mit einer gleichartigen inneren Triebnatur des Menschen. Dieser folgte jetzt von ökonomischen und erotischen Begehrlichkeiten angetrieben seinen egoistischen Zielen. Solche Aspekte beobachteten auch Sealsfields Berichte und Erzählungen aus der Neuen Welt, die jedoch dagegen „die Prosa, die gediegene, lebenskräftige Prosa unserer Union“ (Sealsfield o.J., S. 59) aufboten und in ein abgelebtes Europa tragen sollten.

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