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Erdbeben

Erdbeben sind den Menschen aufgrund ihres überraschenden Auftretens und ihrer ungeheuren Zerstörungskraft seit jeher unheimlich. Jahrtausendelang wurde dafür der Zorn der Götter als Ursache gesehen, so auch im AT (Jes 5,25; Ps 18,8), wo sie zudem auch als bloßer Ausdruck der machtvollen Theophanie JHWHs verstanden wurden. Aufgrund der geologischen Verhältnisse des Nahen Ostens (Bruchzone zwischen afrikanischer Platte und eurasischer Platte), kommt es in Israel immer wieder zu seismischen Erschütterungen. Die Erfahrung einer so unvorhersehbaren Katastrophe wie ein Erdbeben, dem man hilflos ausgeliefert ist und das meist mit gewaltigen Zerstörungen einhergeht, gehört wohl zu den erschütterndsten Erfahrungen, denen Menschen ausgesetzt sein können, sodass es nicht verwundert, wenn Erdbeben zum festen Motivrepertoire religiöser Erfahrungen gehört (mysterium tremendum).

1 Biblische Hinweise auf historische Erbeben

Auf ein in der Mitte des 8. Jh.s v. Chr. stattgefundenes Erbeben spielen Am 1,1; 8,8 und Sach 14,5 an. An beiden Stellen wird die Naturkatastrophe mit dem Strafgericht Gottes in Verbindung gebracht. Da der Sacharjatext einige Jahrhunderte später verfasst wurde, muss es sich bei diesem Erdbeben um ein katastrophales Ereignis gehandelt haben, welches sich tief ins kollektive Gedächtnis Israels eingegraben hat. Ob dagegen das mit dem „Gottesschrecken“ verbundene Erdbeben bei der Heldentat Jonathans (1 Sam 14,15) eine echte seismische Aktivität meint, ist fraglich. Ein anderes starkes Erdbeben hat im Jahre 31 v. Chr. stattgefunden, wovon der jüdische Geschichtsschreiber Josephus (vgl. Bellum I,370–379; Antiquitates XV,121f.) berichtet. In den Ruinen von Qumran am Toten Meer sind Spuren dieses Erdbebens noch zu erkennen. Im NT wird in Mt 27,51 und 28,2 im Zusammenhang mit dem Tod Jesu von gewaltigen Erdbeben berichtet. Obwohl es sich hier wahrscheinlich um ein literarisches Motiv handelt, könnte dahinter die Erfahrung realer Erdbeben im Jahre 30 und 33 n. Chr. stehen. Auch die Befreiung des Apostels Paulus aus dem Gefängnis in Philippi geschieht durch ein göttlich bewirktes Erdbeben.

2 Erdbeben als Chaoserfahrung

Erdbeben werden im AT als chaotische destruktive Macht wahrgenommen, die jedoch von Gott beherrscht wird. JHWH, der Schöpfergott, hat nach alttestamentlicher Vorstellung den Erdkreis so fest gegründet, dass er nicht wankt (Ps 93,1; 96,10; 104,5; 119,90). Deshalb ist JHWH für seine Anhänger „Zuflucht und Stärke“, „wenn die Erde auch wankt, wenn Berge stürzen in die Tiefe des Meeres“ (Ps 46,2f. → Berg). In dieser Vertrauensbekundung drückt sich zugleich das Bewusstsein aus, dass Gott die Welt ins Chaos zurücksinken lassen kann (→ Chaoskampf). Die Schöpfung bedarf der ständigen Erhaltung durch den Schöpfer, die Stabilität der Welt ist keine Selbstverständlichkeit. JHWH selbst kann bei einem Erdbeben die „Säulen der Erde“ erzittern lassen, sodass sich die Erde „von ihrem Ort bewegt“ (Hiob 9,6).

3 Erdbeben bei der Theophanie Gottes

Die biblischen Schilderungen der Erscheinung Gottes (Theophanie) enthalten als kosmische Begleiterscheinungen neben Naturgewalten wie Unwetter, Feuer, Gewitter, usw. auch Erdbeben (Ex 19,18; Ri 5,4; Ps 68,9; Hab 3,6.10; Nah 1,5). Dies entspricht weitgehend anderen altorientalischen Vorstellungen, wonach allgemein bestimmte Götter als Verursacher von Erdbeben gelten. Die Natur bzw. Schöpfung reagiert heftig auf die Konfrontation mit der heiligen Macht Gottes (Ps 77,14–18). Im Lied der Debora erbeben die Berge vor JHWH, der vom Berg Sinai einhergeschritten kommt (Ri 5,4f.), um seinem Volk im Kampf gegen → Feinde beizustehen (vgl. Ps 46,7; 68,1–9). Auf diese Weise erscheint die Gottheit in ihrer kriegerischen Macht, die den Sieg Israels garantiert.

JHWH selbst wird in der Sinai-Theophanie wie ein Vulkangott beschrieben: „Der ganze Berg Sinai aber rauchte, weil der HERR auf den Berg herabfuhr im Feuer; und der Rauch stieg auf wie der Rauch von einem Schmelzofen, und der ganze Berg bebte sehr“ (Ex 19,18). Ebenso wie der Berg erbebt auch das Volk bei der donnernden Erscheinung JHWHs (Ex 19,16), Mensch und Natur reagieren gleichermaßen auf die erschütternde Theophanie. JHWH kann daher in seinem Zorn wie ein personifizierter Vulkanausbruch dargestellt werden: „Da wankte und schwankte die Erde,/die Grundfesten der Berge erbebten. Sie wankten, denn sein Zorn war entbrannt. Rauch stieg aus seiner Nase auf,/aus seinem Mund kam verzehrendes Feuer, glühende Kohlen sprühten aus von ihm.“ In Ps 77,19 wird JHWHs Rettungshandeln beim Exodus aus Ägypten von Gewitter und Erdbeben begleitet. Ps 97 besingt die königliche Macht JHWHs, die sich neben anderen Naturgewalten im Erdbeben äußert.

Das Gegenbild dazu findet man in der Erzählung über Elijas Gottesbegegnung auf dem Horeb, wo das Erdbeben zwar wie üblich zu den Begleiterscheinungen der Theophanie gehört, aber ausdrücklich betont wird, dass Gott nicht in den genannten furchterregenden Naturerscheinungen war (1 Kön 19,11f.). Erst nach einem „sanften, leisen Säuseln“ hört der Prophet die Stimme Gottes. Diese ungewöhnliche Aussage grenzt sich wahrscheinlich gegenüber dem Baalskult ab, in dem das Göttliche mit Naturerscheinungen identifiziert wurde. Elija erlebt Gott hier als Kontrast zu allem, was bis dahin als Ausdruck göttlicher Macht erlebt wurde. Ob sich hier ein sanfteres oder gar geistigeres Gottesverständnis ankündigt, ist in der alttestamentlichen Exegese freilich umstritten.

Gottes Ankunft in der Endzeit wird dagegen wieder von Erdbeben und anderen Naturphänomenen begleitet. Die sogenannte Jesajaapokalypse“ bietet eine eindrückliche Schilderung eines Erdbebens: „Die Schleusen hoch droben werden geöffnet, die Fundamente der Erde werden erschüttert. Die Erde birst und zerbirst, die Erde bricht und zerbricht, die Erde wankt und schwankt. Wie ein Betrunkener taumelt die Erde, sie schwankt wie eine wacklige Hütte“ (Jes 24,18ff.) Eine sehr anthropomorphe Gottesvorstellung begegnet in der Endzeitschilderung des Sacharjabuches, wo JHWH bei seiner Ankunft einem → Riesen gleich seine Füße auf den Ölberg stellt, sodass der Berg in der Mitte gespalten wird (Sach 14,4f.). In diesem Zusammenhang wird auf das große Erdbeben im 8. Jh. angespielt, auf das auch Amos Bezug nimmt. Bei Amos wie bei Sacharja ist das von Erdbeben begleitete Kommen Gottes mit der Gerichtsvorstellung verknüpft, wobei in Am 8,8 die Erderschütterungen explizit als Folge menschlicher Unrechtstaten bezeichnet werden. Dahinter steht eine kosmische Gerechtigkeitsvorstellung, bei der in Gottes Schöpfung das menschliche Handeln und Naturerscheinungen in einem engen Zusammenhang stehen, sodass sich Unrecht fast zwangsläufig auch in Naturkatastrophen äußert. In Jes 5,25 dagegen ist es direkt JHWHs Einwirken, wenn er beim Gericht in seinem Zorn seine Hand gegen sein Volk ausstreckt, sodass die Berge erbeben und „die Leichen wie Kehricht auf den Gassen“ liegen.

4 Literatur

BÖKER, Robert (1967): Erdbeben, in: Der Kleine Pauly II, 350f.

DAHMEN, Ulrich (2011): Erdbeben, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet: www.wibilex.de (Zugriffsdatum 10.3.2012).

JEREMIAS, Jörg (21977): Theophanie. Die Geschichte einer alttestamentlichen Gattung, Neukirchen-Vluyn.

MIGGELBRINK, Ralf (2002): Der zornige Gott. Die Bedeutung einer anstößigen biblischen Tradition, Darmstadt.

Matthias Albani

Wörterbuch alttestamentlicher Motive

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