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2 Mose und die Israeliten in der Wüste
ОглавлениеDer Weg aus → Ägypten in das spätere → Land Israel wird gerahmt von der Verheißung wundersamer Ernährung: Ein „Land, da Milch und Honig fließt,“ wird den Israeliten vor Augen gestellt (von Ex 3,8 bis Dtn 27,3) – eine Verheißung, die in krassem Gegensatz zum Aufenthalt in der Wüste steht. Mose selbst kommt zwar auf dem Gottesberg (→ Berg) 40 Tage und Nächte ohne Essen und Trinken aus (Ex 34,28; Dtn 9,9.18 – wie auch Jesus bei seinem 40-tägigen Fasten im NT), aber die langjährige Wüstenwanderung eines ganzen Volkes führt notwendigerweise zu logistischen Problemen, und Mose hatte nach Num 11,12f. Gott vorgerechnet, dass alle Fische des Meeres nicht genug wären, um dieses Volk von 600.000 Menschen einen Monat zu ernähren. Bereits diese Dimension macht klar, dass die Erzählungen von der Wüstenwanderung keine historischen Tatsachenberichte sein können.
Doch es gibt natürliche Phänomene, die eine unvorhergesehene Ernährung in der Wüste möglich erscheinen lassen, und die die Vorstellung vom biblischen Wunder mitgeprägt haben dürften. Das betrifft zunächst die Wachteln, die nach Ex 16,13 und Num 11,31f. den Israeliten als fleischliche Nahrung dienten. In der Tat überqueren zweimal im Jahr Wachteln die Region und können, insbesondere, wenn sie von ungünstigen Winden abgetrieben werden, dort relativ leicht gefangen werden (RIEDE 2010). Das kann als Wunder erlebt werden, es wird in der Erzählung aber ins schier Unermessliche gesteigert: Bis zu einer Tagereise weit rings um das Lager sollen die Wachteln meterhoch („etwa zwei Ellen“) gelegen haben (Num 11,31).
Nach den Erzählungen in Ex 16 und Num 11 diente den Israeliten während der Wüstenwanderung das „Manna“ (hebr. mān) als Grundnahrungsmittel. In den Psalmen als „Himmelskorn“ bzw. „Himmelsbrot“ (Ps 78,24; 105,40) besungen, galt es nach Dtn 8,3 als Zeichen dafür, dass der Mensch nicht vom Brot allein, sondern von all dem lebt, was aus dem Mund JHWHs hervorgehe. Aber auch hier hat wahrscheinlich ein bemerkenswertes natürliches Phänomen die Darstellung beeinflusst.
Das Manna, das laut der erzählten Etymologie seinen Namen der „Was ist das?“-Frage der Israeliten verdanken soll (Ex 16,15.31), wird recht detailliert beschrieben: „feinkörnig, wie Reif auf der Erde liegend“ (Ex 16,14), „weiß, wie Koriandersamen“ und „süß wie Honig“ (Ex 16,31), zudem vom „Aussehen wie Bedolachharz“ (Num 11,7). Nach Num 11,8 konnte man es mahlen oder zerstampfen, kochen und Fladen daraus machen, die wie Ölkuchen schmeckten. Nach Ex 16,20f. musste das Manna morgens gesammelt werden, bevor es in der Sonne schmolz, und wenn man es über Nacht aufbewahrte, fanden sich darin Würmer, und es stank.
Bereits Flavius Josephus und frühe Pilger verbanden das Manna mit einer natürlichen Erscheinung auf der Sinaihalbinsel, die von modernen Forschern bestätigt werden konnte: Bestimmte Schildläuse, die die sogenannte Manna-Tamariske besiedeln, scheiden als Nebenprodukt ihres Stoffwechsels kleine weißgelbe Kügelchen aus, die in der Sonne schmelzen, aber am Morgen aufgesammelt und zum Süßen verwendet werden können (FELIKS 1964; MAIBERGER 1983). So ist es auch hier letztlich die Menge, die das Wunder ausmacht: Jeder sammelt täglich einen ganzen Krug für sich. Gesteigert wird das Wunder noch durch den Sabbatrhythmus: Am sechsten Tag gibt es die doppelte Menge, am siebenten Tag gar nichts, und ebenso bemerkenswert ist, dass das vom sechsten zum siebenten Tag aufbewahrte Manna nicht verdarb, ein Phänomen, das wohl auch für den Inhalt des zum Andenken bei der Bundeslade deponierten Mannakruges gelten soll (Ex 16).
Die natürlichen Phänomene, die die Schilderung des Wachtel- und Mannawunders beeinflusst haben, lassen diese Ernährungswunder als Sonderfälle des allgemeinen Wunders der Ernährung erscheinen. Gott ernährt sein → Volk in der Wüste nicht gegen die Natur, sondern mit ihr: Das Manna ist ebenso leicht verderblich wie andere Lebensmittel; die Wachteln wurden nicht eigens erschaffen, sondern vom Wind herbeigetragen. Der sein Volk in der Wüste ernährende Gott Israels erscheint gerade dadurch selbst als Herr der Schöpfung.
Mose, dem in Ägypten große Wunder zugeschrieben werden, und der das Wasser aus dem Felsen sprudeln lässt (Num 20,11), wird für die wundersame Speisung „nur“ als Vermittler gebraucht, der die Not des Volkes vor Gott bringt und dem Volk den Umgang mit dem Manna erklärt.