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ОглавлениеAlte, der/die
Das Motiv des Alten (alter Mensch, alte Frau, Greis, Greisin) erfährt eine ambivalente Verwendung. Einerseits ist das Erreichen des Greisenalters Ausdruck eines von Gott gesegneten Lebens (Jes 65,20; Sach 8,4; Hiob 42,17), andererseits ist das Alter geprägt von Zeugungsunfähigkeit beider Geschlechter (Gen 18,2), von körperlichen Gebrechen und Impotenz (1 Kön 1,1–4). Auch wenn gelegentlich von der Arbeitstätigkeit alter Menschen die Rede ist (Ri 19,16), wird die letzte Lebensphase vor allem mit dem Müßiggang in Verbindung gebracht (Sach 8,4).
1 Der/die Alte und Sexualität
Das Motiv des Lustgreises begegnet in der Hebräischen Bibel nicht. In der Literatur des Judentums taucht es erstmalig im apokryphen (nicht zu den „heiligen Schriften“ gehörenden) Buch Susanna mit den beiden Ältesten auf, die eine schöne und zugleich verheiratete Frau begehren. Zwar werden diese als Älteste (presbyteroi) im rechtlichen Sinne bezeichnet, woraus sich zunächst noch kein Alter schließen lässt. Kurz vor der Aufdeckung der gegen Susanna geschmiedeten Intrige aber bezichtigt einer der Greise seinen Komplizen, „in Schlechtigkeit alt geworden zu sein“ (Susanna 1,52). Im Gegensatz zu den beiden Alten in Susanna, die trotz (oder wegen) ihres Alters von ihren sexuellen Trieben bestimmt werden, wird in der Hebräischen Bibel das Motiv des/der Alten mit dem Unvermögen zu Sexualität und Fortpflanzung verbunden: Für das betagte Paar Abraham und Sara wird notiert, dass für Sara „die Art der Frauen verschwunden war“ (Gen 18,11). Ob damit Sexualität, Menopause, Fertilität und Ähnliches gemeint ist, bleibt unbestimmt (→ Menstruation). Im Folgesatz stellt Sara fest, dass sie verbraucht sei (blh), wie solle sie da noch Lust (ʿæḏnāh) empfinden (oder Liebeslust erfahren?), schließlich sei auch ihr Mann alt (Gen 18,12). Auch hier bleibt ungesagt, ob das Ausbleiben von Schwangerschaft und Geburt auf physisches Unvermögen oder mangelnde sexuelle Attraktivität zurückgeführt wird. Die Vorstellung, dass das fortschreitende Alter Sexualität erschwert bzw. unterbindet, taucht in Gen 30,14–17 auf. Nachdem Lea die Erkenntnis gekommen ist, dass sie keine Kinder mehr bekommen wird (Gen 30,9), setzt sie Aphrodisiaka ein. Mit diesen nötigt sie Jakob zum Sexualverkehr („gekauft habe ich dich mit den Alraunen meines Sohnes“), woraufhin Jakob mit ihr schläft und sie schwanger wird (Gen 30,16f.). Dass der alte Mann von Impotenz und Machtverlust geplagt werden kann, macht die Episode über Davids Altersgebrechen deutlich. Der Umstand, dass der alte und permanent frierende David mit seiner ihm beigegebenen Bettgenossin Abischag sexuell nicht verkehrt (oder besser nicht verkehren kann), und sein Sohn Adonija sich selbst als König deklariert, ohne dass David dagegen etwas unternimmt bzw. unternehmen kann, macht 1 Kön 1 zur Gegengeschichte zu 2 Sam 11f. Obwohl David hier auf dem Höhepunkt seiner politischen und sexuellen Macht ist (Eroberung von Ammon und Batseba-Skandal), wird er hier als alter, impotenter und machtloser Mann gezeichnet.
2 Alter Mensch und Weisheit
Der hebräische Ausdruck zāqen wird zur Bezeichnung sowohl eines „alten Mannes“ als auch „eines Ältesten“, der politische bzw. gerichtliche Entscheidungen fällt, gebraucht. Dahinter steht die Vorstellung, dass mit dem zunehmenden Lebensalter auch die Fähigkeit zu richtigen Entscheidungen und Urteilen zunimmt. Bei den Ältesten handelt es sich um Menschen, die für die lokale Rechtsprechung zuständig sind. Voraussetzung für das Amt ist entweder das Erreichen eines gewissen Alters, oder dass der Amtsinhaber über die Erfahrungen eines alten Menschen verfügt. Kontrastiert wird die Überlegenheit älterer Menschen gegenüber jüngeren bei politisch bedeutsamen Entscheidungen in 1 Kön 12,1–16. Die Alten/Ältesten, die schon Rehabeams Vater Salomo beraten haben, empfehlen dem König, sich dem Willen des Volkes zu beugen, das eine Reduzierung der Fronlasten fordert (1 Kön 12,6f.), während die Jungen ihn zu einer Beibehaltung der rigiden Politik ermuntern. Bezeichnenderweise werden diese als „Kinder“ (hajəlāḏîm), „die mit ihm groß geworden waren“ (1 Kön 12,8) bezeichnet. Der folgende Abfall der Nordstämme von Rehabeam und die kollektive Steinigung des Fronvogts Adoniram zeigen unmissverständlich, dass der Ratschlag älterer Menschen gegenüber der Torheit der Jungen vor Schaden hätte bewahren können.
3 Alter, Autorität und Autoritätsverlust
Sowohl in den juridischen als auch in den poetischen Texten der Hebräischen Bibel wird mehrfach betont, dass einem Menschen aufgrund seines hohen Alters Respekt zu zollen ist. Dazu zählt die Aufforderung, vor dem „Grauhaar“ aufzustehen (Lev 19,32) bzw. seine aufgrund des hohen Lebensalters angesammelten Erfahrungen sowie seine Weltsicht und Gotteserkenntnis als verbindlich zu akzeptieren (Hiob 12,2; 32,6). Die Verweigerung von Respekt und Unterordnung gegenüber der Generation der Alten wird als gottloses und verderbliches Handeln gesehen. Spott gegen den Vater und Missachtung der Mutter (Spr 30,17) sowie Misshandlung des Vaters und Vertreibung der Mutter (Spr 20,20) stellen negative Taten dar. Belege wie diese legen die Vermutung nahe, dass die ältere Generation nicht immer mit der geforderten Ehrerbietung behandelt worden ist.
4 Altersgebrechen und ideales Sterbealter
Mit dem Alter einher gehen: Verlust der Sehkraft (Gen 27,2; 48,10), die physischen Kräfte schwinden (Ps 71,9), einzelne Körperteile versagen ihren Dienst (1 Kön 15,23), die Geschmackssinne versagen und das Hören von Gesängen kann nicht mehr genossen werden (2 Sam 19,36; vgl. Koh 12). In der ägyptischen Lehre des Ptahhotep werden neben den hier genannten Gebrechen noch Vergesslichkeit und Trägheit genannt (LIESS 2009, 19f.). Trotz der in der Literatur des Alten Orients, Israels und Ägyptens verbreiteten Negativsicht über die Altersgebrechen gilt das Erreichen eines hohen Lebensalters als erstrebenswert. Psalm 90 nennt siebzig bis achtzig Jahre als das höchste zu erreichende Alter und dürfte somit eine gegenüber dem durchschnittlichen Lebensalter verdoppelte Zahl genannt haben (LIESS 2012, 135f.). Der Wunsch nach Rache kann einen Menschen gegenüber einem anderen bis ins hohe Alter verfolgen. Der im Sterben liegende David beauftragt seinen Sohn Salomo zu verhindern, dass Joabs „Grauhaar in Frieden zur Scheol herab fährt“ (1 Kön 26). Vielmehr soll dieses „mit Blut“ in die Scheol kommen. Der friedliche Alterstod stellt sich nach dieser Stelle als ein Ideal dar, das David dem Joab nicht zukommen lassen will. Die Stelle setzt voraus, dass Joab schon das Stadium des „Grauhaars“ erreicht hat. Seine Tötung zielt also darauf ab, ihm einen erfüllenden → Tod im Alter zu verweigern. Ein entsprechendes Ideal hat auch der Beter des 91. Psalms vor Augen. Wenn er JHWH sprechen lässt: „Mit einer Länge von Tagen sättige ich ihn, mein Heil lasse ich ihn schauen“ (Ps 91,16), dann wird betont, dass ein Leben nur dann als gelungen betrachtet werden kann, wenn es von einem friedlichen und von JHWH bestimmten Tod im hohen Alter beschlossen wird (vgl. LIESS 2008, 334).
5 Der alte Mensch bei Kohelet
Kohelets Gedicht über Alter und Tod definiert das Lebensalter jenseits der Jugend als „Tage des Bösen“ bzw. als „Jahre, an denen man keinen Gefallen“ hat (Koh 12,2–4). Die letzte Lebensphase sei bestimmt vom Zittern der Hände („die Wächter des Hauses zittern“), Krumm- und Schwachwerden der Beine („die starken Männer krümmen sich“), Ausfallen der Zähne („die Müllerinnen hören auf, denn sie sind wenige geworden“), das Erlöschen des Augenlichts („dunkel werden, die auf die Gasse sehen“) und die Ohren ertauben („die Tore zur Gasse werden geschlossen“). Der Tod stellt dabei nicht ein absolutes Ende für das Individuum dar, vielmehr ist er – ganz im Sinne der Kreisläufe in der Natur bei Kohelet – ein Übergang (SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER 2004, 535–540; vgl. auch die Bezeichnung des Alters bei Homer, Ilias XXIV, 487, als „traurige Schwelle“). Die Relativierung des Alters begegnet bei Kohelet schon in 4,13: „Ein Kind, arm aber weise, ist besser als ein König, alt, aber dumm.“ Damit wendet Kohelet sich gegen die traditionelle Vorstellung der Weisheit Israels, die Alter mit Weisheit und Jugend mit Unerfahrenheit verbindet.
6 Literatur
LIESS, Kathrin (2008): Sättigung mit langem Leben. Vergänglichkeit, Lebenszeit und Alter in den Psalmen 90–92, in: M. Bauks, K. Liess, P. Riede (Hrsg.): Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? (Psalm 8,5). Aspekte einer theologischen Anthropologie, Festschrift B. Janowski, Neukirchen-Vluyn, 329–342.
LIESS, Kathrin (2009): „Der Glanz der Alten ist ihr graues Haar“. Zur Alterstopik in der alttestamentlichen und apokryphen Weisheitsliteratur, in: D. Elm, T. Fitzon, K. Liess, S. Linden (Hrsg.): Alterstopoi. Das Wissen von den Lebensaltern in Theologie, Literatur und Kunst, Berlin/New York, 19–48.
LIESS, Kathrin (2012): „Jung bin ich gewesen und alt geworden“. Lebenszeit und Alter in den Psalmen, in: T. Fitzon, S. Linden, K. Liess, D. Elm (Hrsg.): Alterszäsuren. Zeit und Lebensalter in Literatur, Theologie und Geschichte, Berlin/New York, 131–170.
SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Ludger (2004): Kohelet. Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, Freiburg i.Br./Basel/Wien.
Andreas Kunz-Lübcke