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2. Der heutige Zahlbegriff und die griechische Mathematik

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Die heutige Mathematik schlägt diese Brücke auch, aber auf eine andere Weise. Indem sie über die ganzen Zahlen hinaus aus diesen die Brüche, die Dezimalbrüche, die unendlichen Dezimalbrüche formt, kann sie jede Strecke, jede Fläche u.s.w. „messen“, ihr eine Maßzahl beilegen, die angibt, wie oft eine für die betreffende Größensorte festgelegte Maßeinheit in ihr enthalten ist; alle geometrischen Größen wandeln sich ihr damit in „Zahlen“, mit denen sie nach den bekannten Regeln operiert, wie sie heute jeder in der Schule lernt. Dies ist auch der Weg, auf dem die Schule heute den Begriff der Proportion faßt und die Schwierigkeiten überwindet, von denen im vorigen Paragraphen die Rede war.

Für den Griechen lag dies ganz anders. Anstatt daß er den Begriff der Zahl solange erweiterte, bis er imstande war, die gesamte Natur zu beherrschen, gewann er aus Geometrie, Mechanik u.s.w. durch Abstraktion den Begriff des λόγος, mit dessen Hilfe er vieles von dem vollzog, was wir heute in Zahlen und Gleichungen ausdrücken. Nicht etwa die μεγέθη, die allgemeinen Größen von Euklid V, sind das griechische Substrat des modernen Zahlbegriffs, sondern die λόγοι, die Verhältnisse von zwei gleichartigen μεγέθη. Von ihnen handelt die Mehrzahl der mathematischen Entdeckungen der Griechen, ob es die Algebra von Euklid X oder die unendlichen Prozesse von Euklid XII sind, die nach dem Bericht des Archimedes das Werk des Eudoxos waren, oder die eigenen Leistungen des Archimedes, die ausschließlich von Verhältnissen handeln, oder die Kegelschnittlehre des Apollonius, also lauter Dinge, die heute in den Bestand der Mathematik als Grundpfeiler eingebaut sind.

Und doch bestehen zwei wesentliche Unterschiede.

Der eine fällt mehr in die Augen und hat fälschlich den Anschein einer großen Unterlegenheit der griechischen Ausdrucksweise gegenüber der modernen erweckt. Er rührt daher, daß die Griechen nie verschiedene λόγοι zu einander addieren, mit einander multiplizieren u.s.w. Das ist nur ein ziemlich äußerlicher Unterschied; denn auch ohne solche Fertigkeiten vollziehen sie – in anderem Gewande – ganz analoge Operationen und Entdeckungen.

Der andere ist logischer Art. Der Begriff des unendlichen Dezimalbruchs oder die modernen logischen Verfeinerungen, die uns hier nicht in ihren Einzelheiten interessieren, und die K. Weierstraß, G. Cantor und R. Dedekind an seine Stelle gesetzt haben, bauen die Zahl konstruktiv aus der ganzen Zahl auf; der Dezimalbruch z.B. ist ein Gebäude von lauter Ziffern, also aus ganzen Zahlen „konstruktiv“ hergestellt. Das ist der λόγος der Griechen nicht. Er bleibt Verhältnis von Strecken oder von Volumina oder von Zeiten oder dergleichen. So wenig er selbst eine Strecke oder irgendeine Größe ist, sondern etwas Abstrakteres, so wenig bekennt sich Euklid zu einer selbständigen Existenz der Verhältnisse. Dem Wortlaut von Buch V ist nicht zu entnehmen, ob er in ihnen abstrakte Wesenheiten erblickt, die in irgendeinem Sinne auf sich selbst zu stehen vermögen; und wenn man davon etwas zwischen den Zeilen lesen könnte, so ist ganz gewiß nirgends etwas davon erwähnt, daß man diese Wesenheiten aus den ganzen Zahlen erzeugen möchte oder könnte.

— Erst im letzten Paragraphen werden wir genötigt sein, auf diesen Gegenstand genauer einzugehen.

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