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Lorenzo Perilli Logos. Das Bauzeug der Welt Einleitung
ОглавлениеIn principio erat Verbum, et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum. ἐν ἀχ ν ὁ λόγος, α ὁ λόγος ν πὸς τὸν θεόν, αὶ θεὸς ν ὁ λόγος. Prolog des Johannesevangeliums:
Im Anfang war der Logos
und der Logos war bei Gott
und der Logos war Gott.
Im Anfang war er bei Gott.
Alles ist durch ihn geworden
und ohne ihn wurde nichts, was geworden ist.
Oder, wie Luther es wollte:
Im Anfang war das Wort
und das Wort war bei Gott
und Gott war das Wort.
Dasselbe war im Anfang bei Gott.
Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht
und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
Soweit aber kommt Goethes Faust bei seinem Übersetzungsversuche nicht. Im Studierzimmer, das ihm zu einer engen Zelle geworden ist, Die Lampe freundlich wieder brennt (V. 1194ff.). Das Neue Testament lockt als Ort der Offenbarung. Es drängt Faust, den Grundtext aufzuschlagen, Das heilige Original zu übertragen. Er schickt sich an zu arbeiten, geht jedoch nicht über den ersten Satz hinaus.
Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort!“
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!
(V. 1224–1237)
Logos als Wort, wie Luther es wollte, das verbum der lateinischen Vulgata, wird sofort abgelehnt. Erstaunlich ist die Parallele in der viel älteren sanskritischen Verkündigung der Kāṭhaka Brāhmana 12,5: Prajāpatir vai idam āsīt/tasya vāg dvitīyā āsīt/vāg vai paramam brahma, „Im Anfang war der (Schöpfer-)Gott/Mit ihm war vāg (das Wort)/vāg ist das höchste Brahma“, d.h. vāg = logos = Ursprung aller Dinge. Faust versucht es anschließend mit Sinn, Kraft, Tat. Logos als Tat (vgl. Plato, Criton 46D), wahrhaftes Leben und Handeln. Logos als Begrifflichkeit, Schöpfungsprinzip, unmittelbare Wirksamkeit. Eigentlich hatte Faust am Anfang seines Abenteuer den Schlüssel schon gegeben (V. 382f.): was die Welt im Innersten zusammenhält. So könnte man den Logos bezeichnen.
Verlassen wir aber den Logos-Begriff des Christentums. Zu viele, zu verwickelte Folgerungen ergeben sich hier, für unseren Zweck jedoch entbehrlich. Das Ziel, das sich der vorliegende Band stellt, ist auf den ursprünglichen Bereich beschränkt: das klassische und hellenistische Griechenland, wo die Grundlagen gelegt wurden.
***
Die „imaginäre Grundbedeutung, die Vieldeutigkeit, der Beziehungsreichtum, die Doppelsinnigkeit“ (H. Kleinknecht), die auch im Faust zu spüren sind, laufen zusammen in Richtung der zugrundeliegenden Bedeutungseinheit, entstehen aus der Einheit und gelangen zur Einheit wieder. Logos ist der griechische Begriff par excellence; in ihm findet der griechische Geist seinen vollsten Ausdruck. Logos, so Kleinknecht, sei „im Verlauf des für den griechischen Geist bezeichnenden Rationalisierungsprozesses nicht nur zu umfassender und weitverzweigter Bedeutung gelangt, sondern in mannigfacher geschichtlicher Umbildung ein Begriff geworden, den man fast symbolisch nennen könnte für griechisches Welt- und Daseinsverständnis überhaupt“ (s. unten, S. 266). Die überraschende Vieldeutigkeit vom logos, welche die jedes anderen Wortes übersteigt, sollte jedoch nicht irreführen: Man hat es hier mit nur einem Begriff zu tun, trotz all der unterschiedlichen Übersetzungen, die in den modernen Sprachen kursieren. Keine moderne Sprache verfügt über ein einzelnes Wort, das die Bedeutung des griechischen logos wiedergeben kann.
Logos ist ein Dynastes Megas, der größte Herrscher, der „mit seinem winzigen, unscheinbaren Körper die göttlichsten Werken vollbringt“: so der Sophist Gorgias im 5. Jhdt. v. Chr. (fr. 11,8, Lobrede auf Helena). Dynastes Megas ist aber auch die Bezeichnung des allmächtigen Königs der Perser – also keine allgemeine Charakterisierung im Superlativ, sondern eine explizite Anerkennung der Macht des Begriffes, der in der Lage ist, traditionelle Machtverhältnisse und erstarrte Hierarchien umzustürzen: Laut Protagoras (fr. 6b DK, aus Aristoteles) hätte er die Erwartungen auf den Kopf gestellt und den Schwächeren stärker gemacht (τὸν ἥττω λόγον εττω ποιεν). Diese Aussage ist in umgehenden Interpretationen des Gerichtswesen auf banale Weise gelesen worden als „das schwächste Argument stärker erscheinen lassen“ (oder auch Beweisführung oder Diskurs). In einer der begrifflich reicheren Komödien des Aristophanes, Die Wolken, heißen zwei der Hauptfiguren genau so: „stärkerer Logos“ und „schwächerer Logos“. Sie geraten aneinander, sind aber nicht einfach der stärkere und schwächere „Diskurs“ und können dies auch nicht sein. Protagoras war es, der solideste der sogenannten Sophisten, der festgehalten hatte, dass für jede Sache zwei entgegengesetzte Logoi möglich sind (fr. 6a DK, aus Diogenes Laertius): δύο λόγους πε παντὸς πάγματος ἀντιειμένους ἀλλήλοις. Er hatte die Möglichkeit, vielleicht gar die Notwendigkeit betont, aus dem Schwächsten das Siegreiche zu machen: Der an Sokrates gerichtete Vorwurf bestand genau darin, ein Sophist gewesen zu sein, der die traditionellen Werte auf den Kopf stellte. Tatsächlich geht es um das mechanische Prinzip der Hebels, bei dem die Entfernung des Armes vom Schwerpunkt proportional entgegengesetzt zur aufgewendeten Kraft ist.
Wie bekannt – und wie in den (pseudo-)aristotelischen Mechanica explizit ausgeführt –, setzt sich eine geringere Kraft gegen ein größeres Gewicht durch; die kürzere Entfernung des Armes vom Dreh- und Angelpunkt ermöglicht ein besseres Ergebnis. Anders gesagt ist das Verhältnis von Bewegtem zu Bewegendem umgekehrt proportional dem Verhältnis der Längen der entsprechenden Hebelarme zueinander. So heißt es am Anfang der Mechanica (847a19ff.):
αθάπε γὰ ἐποίησεν Ἀντιϕν ὁ ποιητής, Οτω αὶ ἔχει· ‘τέχν γὰ ατομεν, ν ϕύσει νιώμεθα’. τοιατα δέ ἐστιν ἐν ος τά τε ἐλάττὸνα ατε τν μειζόνων, α τὰ οπὴν ἔχοντα μιὰν ινε βάη μεγάλα. (…) [847b12] ἄτοπον γὰ εναι δοε τὸ ινεσθαι μέγα βάος πὸ μις ἰσχύος, α τατα μετὰ βάους πλείονος· ὃ γὰ ἄνευ μοχλο ινεν ο δύναταί τις, τ οτο τατὸ βάος, ποσλαβὼν ἔτι τὸ το μοχλο βάος, ινε θττὸν. | Wie nämlich der Dichter Antiphon es ausgedrückt hat, so verhält es sich auch: „Denn durch Kunst beherrschen wir das, worin wir von Natur unterlegen sind“. So ist es in den Fällen, in denen das Geringere das Größere beherrscht, und wenn Dinge, die eine kleine Triebkraft haben, große Gewichte bewegen. (...) Denn es erscheint unerklärlich, dass ein großes Gewicht von einer kleinen Kraft bewegt wird, und dies mit weiterem Gewicht. Was ein Mensch nämlich ohne einen Hebel nicht bewegen kann, dieses selbe Gewicht bewegt er leichter, wenn er noch das Gewicht des Hebels dazu nimmt. |
Die Bedeutung von Logos in dem Kontext der Sophistik sollte jedoch rasch, noch in der Antike selbst, ins Banale gezogen und als reine „Argumentation“ interpretiert werden. Protagoras und Gorgias gehen darüber hinaus: Der Logos erlaube eine Manipulation der fundierten Wirklichkeit, für die das Schwache hinter dem Starken und das Geringe hinter dem Großen steht, und kehrte die Kraftverhältnisse um. „Verhältnis“, „Zusammenstellung“ und „Verbindung“ sind die entscheidenden Bedeutungsebenen des griechischen Logos; eine mathematische Valenz, die aus dem Logos, auch dem Logos der Aussage – dem Diskurs – die Beziehung, die Verbindung, das Gesetz macht, das Element, das die drei zeitlichen Dimensionen Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft miteinander verbindet, das es erlaubt, eine Sache mit einer anderen in Bezug zu bringen und den einzelnen ἕαστα, den Daten, Sinn zu verleihen, indem es sie in eine wechselseitige Beziehung setzt. Logos markiert einen dynamischen, verifizierbaren Lauf.
Dies führt uns zurück zu den Ursprüngen der griechischen und damit westlichen Zivilisation und zu den Ursprüngen des rationalen Denkens. Zu Beginn der Ilias, wo sich bereits das zentrale Thema des gesamten Werkes abzeichnet, wird Achilles beschrieben, der sich melancholisch aus dem Krieg in sein Zelt zurückzieht und so Agamemnon und die Griechen ihrem Schicksal überlässt. Sie sind damit zur Niederlage verdammt. Entscheidend ist jedoch nicht, dass den Griechen ihren stärksten Kämpfer fehlt, es geht nicht um kriegerisch-muskuläre Defizite: Die Schwäche von Agamemnon liegt in der Unfähigkeit, die Verbindung zwischen Früher und Später zu erfassen, den beiden zeitlichen Elementen des Kausalgefüges. Agamemnon, so Achill (v. 343), sei nicht in der Lage, die Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft herzustellen (άμα… νοσα), und könne damit auch keinen Weg ersinnen, die Achaier heil zu ihren Schiffen zurückzubringen. Ihm fehle die Fähigkeit, jedes Ding an seinem Platz einzuordnen. Tatsächlich sind die Begriffe, die Homer verwendet, um Zukunft und Vergangenheit zu beschreiben, nicht zeitlicher, sondern räumlicher Natur; er spricht von Davor und Dahinter (πόσσω αὶ ὀπίσσω), die jedoch auch das Früher und Später bezeichnen, aus deren Verbindung und Verhältnis Schlussfolgerungen und auch Handlungen abzuleiten sind. Dies ist der Beginn des Weges, der die Griechen zum Bewusstsein der wissenschaftlichen Methode führen sollte, mit Alkmaion, Hippokrates und der Medizin, mit Anaxagoras und der „Philosophie“, mit der Fähigkeit, aus Sichtbarem und aus der Erfahrung Werkzeuge zu machen, mit deren Hilfe man zum Unbekannten vordringen kann.
Gorgias beschreitet diesen Weg und erfasst in vollem Bewusstsein die entscheidende Rolle des Logos. In seiner kurzen Abhandlung Lobrede auf Helena hämmert er den Begriff Logos seinen Hörern geradezu ein, Dutzende von Belegen auf wenigen Seiten. Dies gipfelt in der Feststellung (§ 14): τὸν ατὸν δὲ λόγον ἔχει ἥ τε το λόγου δναμις πὸς τὴν τς ψυχς τάξιν ἥ τε τν ϕαμάων τάξις πὸς τὴν τν σωμάτων ϕσιν. Dies heißt so viel wie: “Es stehen im selben Logos die Kraft des Logos im Verhältnis zur Ordnung (taxis) der Seele wie die Ordnung (taxis: Verschreibung) von Medikamenten im Verhältnis zur Natur des Körpers.“ Es handelt sich also um eine Proportion:
das heißt, A : B = B : C, mit der taxis, Ordnung, Reihenhaftigkeit, der Einordnung in Rangstufen, welche die Funktion des proportionalen Mittels erfüllt (s. auch unten, S. 248).
Der Welt wird so ihre Symmetrie und Ordnung wiedergegeben, indem die Dinge in Bezug zueinander gesetzt werden. Das Zeichen, das wir als Doppelpunkt schreiben, das „verhält sich zu“, wird im Griechischen durch die Präposition πός, ausgedrückt, die aus seiner Nebensächlichkeit heraustritt: Gerade auf dem Wert dieses Elementes, auf dem logos pros ti, gründet die scharfsinnigste Interpretation der platonischen Ideenlehre, die von Otto Toeplitz und Julius Stenzel entwickelt wurde.
Es war die Mathematik, ohnehin für einen großen Teil des antiken Denkens von zentraler Bedeutung, die den Schlussstein setzte. Otto Toeplitz (1881–1940) war einer der großen Mathematiker des 20. Jahrhunderts. Er hatte nicht nur ein besonderes Interesse, sondern auch eine beeindruckende Kenntnis von der antiken Welt. Toeplitz’ Interesse war nicht antiquarischer Natur, sondern erfüllt von dem Bewusstsein der engen Verbindung zwischen der korrekten Interpretation der Grundlagen des westlichen Denkens und seinen jüngsten und fortschrittlichen Entwicklungen. Dies gelte auch für die Wissenschaft. Von einem aufschlussreichen Vortrag, den Toeplitz im Jahr 1927 hielt, spinnt sich ein roter Faden durch das gesamte 20. und hinein auch ins 21. Jahrhundert. Julius Stenzel ist der Erste, der ihn aufnimmt. Oskar Becker verfolgt ihn über einen langen Zeitraum. Einige der bedeutendsten Kenner der griechischen Wissenschaft zeigen sich dieser Fragestellung bewusst, darunter (in diesem Band) Kurt von Fritz, Bartel L. van der Waerden, übrigens der Musik- und Sprachwissenschaftler Johannes Lohmann, ein Philosoph wie Heribert Boeder oder ein Experte der antiken Mathematik wie Sigfried Heller; E. Minar hat so den logos als heraklitischen Denkmuster untersucht. Andere, wie z.B., H. Fränkel, C. Mugler, W. Knorr, W. Burkert, K. Gaiser, haben auch wesentliche Beiträge geleistet. Die Rolle der mathematischen Begriffe im Denken der Antike hat sich im Fall von Plato und von den Ideen-Zahlen völlig entfaltet, und wurde von den sorgfältigsten Interpreten anerkannt – so z.B. in Gaisers Betrachtung der sog. ungeschriebenen Lehre Platos. Meist jedoch schreitet diese Interpretation – obwohl sie doch entscheidend ist – nur im Hintergrund fort und verläuft auf verschlungenen Pfaden, und dennoch taucht sie immer wieder mit höchst eindrucksvollen, aufschlussreichen Folgerungen auf.
In den 1970er und 1980er Jahren greift ein Mathematiker, David Fowler, diese Perspektive wieder auf und entnimmt ihr die Anregung zu einer wegweisenden Platon-Interpretation. Und 30 Jahre später verdanken wir wiederum einem Mathematiker, Paolo Zellini (in einem Buch, das den bezeichnenden Titel Numero e Logos, trägt, sowie in seinem gleichbetitelten Beitrag in diesem Band), die Wiederaufnahme dieses Fadens. Zellini macht daraus das Instrument einer Interpretation, die weit über die Exegese klassischer Texte hinausgeht und versucht, einer Antwort auf Richard Dedekinds entscheidende Frage näherzukommen: Was sind und was sollen die Zahlen? Der Logos wird so zu einem Element, das dem antiken Denken und der heutigen Mathematik gemeinsam ist; dieses ist Zahl, Maß und Verhältnis, aber auch Wort, das Instrument, das eine Sache auf eine andere zurückführt und Instrument der Wahrheit, aber auch der Lüge sein kann, so wie es in Gorgias die Macht zum Verzaubern und zum Magischen (γοητεας α μαγεας) hat, falsch und täuschend sein kann und zu der Frage führt: „Was genau macht die Errechnung von Zahlen, die plausiblen Informationen über die Struktur der physikalischen, biologischen und wirtschaftlichen Welt wie auch des mathematischen Universums selbst liefern können, möglich oder unmöglich, real oder illusorisch? Auch die mechanische Berechnung kann, genau wie das Wort, in eine Täuschung münden. Der logos bezieht sich immer auf eine Art der Beziehung oder des Übergangs, zum Beispiel vom Kontinuierlichen zum Diskreten, oder von der Bezeichnung zur Sache. Und tatsächlich basieren der faktische Charakter der Algorithmen und das Sich-Materialisieren in physikalischen Prozessen auf komplexen Theorien, die erklären, wie ein Übergang von mathematischen Modellen der Natur auf schlichte, numerische Informationen oder Zahlenkolonnen, die im Speicher eines Computers erscheinen, realisiert werden kann. Doch wesentlicher noch als die praktische Realisierung dieser Möglichkeit ist die Erforschung derselben.“ (s. unten, S. 190).
In den einzelnen, hierarchisch gegliederten Dingen, die die Welt bilden, herrscht der Logos als wirkende Kraft, indem er diesen Dingen ihr erfahrbares Gesetz, ihren nomos zuweist, d.h. die Norm, die die Realität als solche erkennbar macht. „Denn Erkenntnis ist dem Griechen immer Erkenntnis eines Gesetzes und damit zugleich Erfüllung dieses Gesetzes“ (s. unten, S. 269). Logos ist also in seinem Doppelsinn der wesenbestimmender Begriff und das (mathematische) Verhältnis, und zwar „dasselbe“ Verhältnis wechselnder, verschiedener Dinge (Stenzel). Sein tieferes Wesen liegt gerade in dieser Funktion – eher als Bedeutung –: Verhältnis, zwischen zwei Größen, zwei Elementen, zwei Buchstaben, zwei Zahlen.
Daraus ergibt sich die für Toeplitz grundlegende Fragestellung, „ob etwa die mysteriösen Ideenzahlen Platos, das ‚unbestimmte Paar‛ (die ἀόιστος δυάς) oder, wie er es selbst nennt, das ‚Groß und Klein‛ (das μέγα α μιόν) die erkenntnistheoretische Inkarnation der mathematischen ‚Verhältnisse‛(λόγοι) sind, ob α:β das unbestimmte Paar ist, das unter den verschiedensten Erscheinungsformen auftreten kann“. In dem Verhältnis a:b ist logos mit dem verbindenden und zugleich gliedernden Zeichen „:“ gleichzusetzen; analogia (ἀναλογα) ist dann die Proportion, nämlich etwas, das ἀνὰ λόγον verbunden ist. a:b ist ein logos; a:b =b:c ist eine analogia, die aus zwei logoi besteht. Logos wird dann die sprachliche Bezeichnung der Beziehung zwischen Wort und Sachverhalt, linguistische Äußerung als Konstruktion eines gegliederten Baus.
Die Zerlegung des Bedeutungsfeldes des Wortes hat eine lange Tradition. Den entscheidenden Anstoß zu späteren und modernen Entwicklungen gaben frühe Darlegungen, wie sie in dem Werk Das an mathematischem Wissen für die Lektüre Platons Nützliche des Mathematikers und Platonikers Theon von Smyrna (Ende der 1./Anfang des 2. Jhdt. n.Chr.) nachzulesen sind. Hier ist deutlich zu spüren, dass selbst antike Autoren die grundlegende Begriffseinheit nicht mehr völlig nachvollziehen konnten:
Theon Smyrnaeus, Expositio rerum mathematicarum ad legendum Platonem utilium I 18–19 (72,24–73,19 Hiller):
λόγος δὲ ατὰ μὲν τος πειπατητιος λέγεται πολλαχς, ὅ τε μετὰ ϕωνς ποϕο-ιὸς πὸ τν νεωτέων λεγόμενος α ὁ ἐνδιάθετος α ὁ ἐν διανοί είμενος ἄνευ ϕθόγγου α ϕωνς α ὁ τς ἀναλογίας, αθ’ ὃν λέγεται ἔχειν λόγον τόδε πὸς τόδε, α ἡ τν το λόγου στοιχείων ἀπόδοσις α ὁ τν τιμώντων α τιμωμένων, αθ’ ὃν ϕαμεν λόγον τινός ἔχειν ἢ μὴ ἔχειν, α ὁ τααπεζιτιός λόγος α ὁ ἐν τ βιβλί Δημοσθενιὸς ἢ Λυσιαὸς α ὁ ὄος ὁ τὸ τί ν εναι α τὴν οσίαν σημαίνων, ὁιστιός ὤν, α ὁ συλλογισμὸς δὲ α ἡ ὲπαγωγὴ α ὁ Λιβυὸς α ὁ μθος α ὁ ανος λόγος λέγεται α ἡ παοιμία, ἔτι δὲ α ὁ το εδους α ὁ σπεματιὸς α ἄλλοι πλείονες. ατὰ δὲ Πλάτωνα τεταχς λέγεται λόγος, ἥ τε διάνοια ἄνευ ϕθόγγου α τὸ μετὰ ϕωνς εμα άπὸ διανοίας α ἡ τν το ὅλου στοιχείων άπόδοσις α ό τς ἀναλογίας. νν δὲ πόειται πε το τς ἀναλογίας λόγου ζητεν. | Der Begriff logos wird von den Peripatetikern in unterschiedlichem Sinne verwendet. Man benennt so die Sprache, die die Modernen ‚mündlich‛ nennen, und das innere geistige Nachdenken ohne Nutzung der Stimme. Man bezeichnet damit auch das Verhältnis der Proportion, und in diesem Sinne sagt man, dass sich eine Sache so zu einer anderen Sache verhält; die Erklärung der Elemente des Universums; die Aufstellung der Dinge, die ehren oder geehrt werden; und in dieser Bedeutung sagen wir ‚von etwas Rechenschaft ablegen oder nicht ablegen‛. Logos nennt man auch die Berechnung der Bankiers, die Reden von Demosthenes und Lysias in ihren geschriebenen Werken, die Definition der Dinge, die deren Essenz erklärt, denn hierzu dient sie; Syllogismus und Induktion; libysche Erzählungen und die Fabel. Mit logos bezeichnet man auch Lobrede und Sprichwort. So nennt man auch der logos der Form, und der logos als Zeugungskraft und viele andere. Nach Platon wird das Wort logos in vierfacher Bedeutung verwendet: Man benennt so das mentale Denken ohne Sprache, die im Geiste gebildete und von der Stimme ausgesprochene Rede, die Erklärung der Dinge im Universum und die Ratio der Proportion. Von dieser Ratio wollen wir nun sprechen. |
λόγος δέ έστιν ό ατ’ ἀνάλογον δυον ὅων ὁμογενν ἡ πὸς αλλήλους [ατν] ποιὰ σχέσις, οον διπλάσιος, ταιπλάσιος. τὰ μὲν γὰ άνομογεν πς ἔχει πὸς ἄλληλά ϕησιν Ἄδαστος εδέναι ἀδύνατὸν. (τλ.) | Die Ratio der Proportion zweier Terme derselben Art ist eine besondere Beziehung, die sie zueinander haben, wie das Doppelte, das Dreifache. Es ist unmöglich, sagt Adrastos, eine Beziehung zwischen zwei Dingen zu finden, die nicht von derselben Art sind. (usw.) |
Weiter geht Theon mit einer detaillierten Darstellung des λόγος τς ἀναλογίας, „die Ratio, bzw. das Verhältnis, der Proportion“, die sich über mehrere Seiten erstreckt. Sokrates war der erste, der eine Erklärung des Begriffes versucht hatte (s. Plat. Theaet. 206dff.).
Isoliert und auf sich selbst gestellt, werden in Theon die verschiedenen Implikationen des Logos-Begriffes als auseinanderliegende interpretiert; die wesentliche Einheit des Begriffes ist nicht länger gewahrt. Dies zeigt sich mit aller Deutlichkeit in der ausführlichsten allgemeinen Abhandlung über den Begriff logos, die uns dank eines spätantiken Kommentars, der sog. „Scholia Marciana“ zu Dionysios Thrax, einem Grammatiker des 2. Jhdt. v. Chr. aus Alexandria, zugänglich ist (Commentaria In Dionysii Thracis Artem Grammaticam, 11 = Grammatici Graeci, I 3 [1901] 353, 29–355, 15 Hilgard). Diesen Text geben wir hier nur in der Originalsprache wieder – der Leser wird uns verzeihen, dass wir uns dem höchst schwierigen, jedenfalls fruchtlosen Unterfangen einer Übersetzung nicht stellen wollen (vgl. S. 29f.). Unseres Erachtens wird dieser Text auch für den Laien lehrreich sein. Wir haben den Text so gestaltet, dass jeder neue Absatz (jeweils mit „logos bedeutet… “, λόγος λέγεται, o.Ä., beginnend) einer neuen Bedeutung entspricht. Eine solche semantische Gliederung findet sich auch in modernen wissenschaftlichen Lexika (vgl. etwa das Greek-English Lexicon von Liddell-Scott-Jones, wo dem Wort Logos die vermutlich umfangreichste Betrachtung des gesamten Werkes gewidmet wird; s. Anhang unten).
Πεί λόγου/Über logos.
(…)
Ὁ δὲ λόγος πολλαχς εηται· ἔστι γὰ ὁμώνυμος ϕωνὴ ατὰ πολλν σημαινομένων ϕεομένη. Der logos wird unterschiedlich gemeint. Er ist ein einzelnes Wort, das viele Bedeutungen hat.
Λέγεται λόγος ὁ ἐνδιάθετος λογισμός, αθ’ ὃν λογιο α διανοητιοί έσμεν.
Λέγεται λόγος α ἡ ϕοντίς, ὡς ὅταν λέγωμεν «ο ἔστι λόγου ἄξιος», «ο ποιομαι ατο λόγον»· α παὰ Μενάνδ [fr. 836 K] 'οτε λόγον μν οτ᾽ ἐπιστοϕὴν ἔχω'.
Λέγεται λόγος α ὁ λογαιασμός, ὡς ὅταν λέγωμεν «ὁ ἡγεμὼν πὸς τος ἑαυτο ἐπιτόπους λόγον ἔχει».
Λέγεται λόγος α ἡ ἀπολογία, ὃν ταόπον λέγομεν «ἔδωε πεὶ τούτου λόγον».
Λέγεται λόγος <α> ὁ αθόλου, ὁ πειέχων ἐν ἑαυτ πσαν λέξιν, αθὸ σημαινόμενον πν μέος λόγου, ἤτοι ὄνομα, μα, μετοχήν, ἄθον, ἀντωνυμίαν, πόθεσιν, ἐπίημα, σύνδεσμον.
Λέγεται λόγος α ό ὅος, ὡς ὅταν λέγωμεν «ἀπόδος τὸν το ζου λόγον», οον «οσία ἔμψυχος ασθητιή».
Λέγεται λόγος α ἡ ατοτελ διάνοιαν τν λέξεων δηλοσα παάθεσις, τουτέστιν ὁ ατὰ σύνταξιν λόγος, ώς τὸ «τελείωσον τὸν λόγον», ὃς μειὸς γίνεται, τουτέστι μονομεὴς α διμεὴς α τιμεής α τεταμεὴς α πενταμεὴς α ἑξαμεὴς α ἑπταμεής, ἔ στι δ᾽ ὅτε α ἀπὸ
τν οτώ μεν σ υνιστάμενος· μονομεὴς μέν, ὡς τὸ «πειπατ, τέχω, ἔχομαι, αθέζομαι»· διμεὴς δέ, ὡς τὸ
«Σωάτης διαλέγεται, Πλάτων ϕιλοσοϕε»· τιμεὴς δέ, ὡς τὸ «Δίων δουλεύοντας τύπτει, Θέων μαθητευομένους διδάσει»· τεταμεὴς δέ (…).
Λέγεται λόγος α ὁ έξ ἀναλωμάτων, ὃς λέγεται α ταπεζιτιός, ο μέμνηται α ὁ Δημοσθένης ἐν τος ϕιλιππιος [De Chers. § 47], 'τὸν μέν <τν> χημάτων λόγον' λέγων 'παὰ τούτου λαμβάνει<ν>, τὸν δέ τών ἔγων παὰ το στατηγο'.
Λόγος λέγεται <α> ὁ γεωμετιός, οον «ὃν ἔχει λόγον τὸ ήμίπηχυ πὸς τὸν πχυν, τοτον ἔχει τὸν λόγον α τὸ δίπηχυ πὸς τὸ τετάπηχυ».
Λόγος α ἡ ἀναλογία, οον «ό τέτταα ἀιθμὸς πὸς τὸν τία τὸν ἐπίτιτον ἔχει λόγον».
Λόγος α τό ελογον, οον «ο ἔξω λόγου τόδε έποίησεν», ἀντί το «ελόγως».
Λόγος α ἡ τ ποειλημμένα ἐπαγομένη έπιϕοά, τουτέστιν ἐ λημμάτων α έπιϕος, οον «ἀνάγη νυτὸς οσης σότος εναι α ἡμέας οσης ϕς εναι»· α ἔστι τοτο λμμα· «ἀλλαμὴν ἡμέα ἐστί, ϕς ἄα ἐστί»· τοτο ἐπιϕοά, τ γὰ ποειλημμέν ἐπηνέχθη.
Λόγος λέγεται α ἡ λογιὴ ατασευή, αθό ϕαμεν τος μὲν ἀνθώπους ἔχειν λόγον, τὰ δὲ ἄλογα ο.
Λόγος λέγεται α ἡ δύναμις, ὡς λέγομεν ατά ϕυσιὸν λόγον ὀδοντοϕυεν τὰ ζα α γένεια ϕέειν, ἤτοι ατὰ τάς ϕυσιὰς α σπεματιὰς δυνάμεις.
Λόγος λέγεται α ἡ συμπαετεινομένη ϕωνὴ τ διανοήματι, οον τὸ «ἄπελθε»· τοτο γὰ α λέξις, ὅτι τετύχηε νο, α λόγος, διὰ τὸ ἐντελὲς το νοήματος το δηλουμένου.
Ἔστι λόγος α ὃ δηλο τὸ ατοτελές, αθό τινος επόντος ἐλλιπς ϕαμεν «τελείωσον τὸν λόγον».
Λόγος <λέγεται> α ὁ ἔτασιν ἔχων ποιο άπατισμο, οον «αλὸς ὁ ατὰ Μειδίου λόγος Λημοσθένους».
Λόγος λέγεται <α> τὸ βιβλίον, ὡς τὸ «χσόν μοι τὸν ατ’ Ἀνδοτίωνος λόγον».
Λόγος λέγεται α ἡ σχέσις τν μεγεθν, ὡς ὅταν λέγωμεν ὅτι ὅν λόγον ἔχει τόδε τὸ μέγεθος πὸς τόδε, τοιόνδε ἔχει τόδε πὸς ἄλλο.
Λόγος λέγεται α ἡ πόθεσις, οον [fr. com. 4, 654 p. 1224 M] ‘ἤδη δέ λέξω τὸν λόγον το δάματος Kα τὴν διδασαλίαν’.
Λόγος λέγεται α ἡ ατία, αθὰ α ὁ Πλάτων ϕης [Gorgias 465a6] ‘τέχνην δὲ ἐγ ο αλώ ὃ ἂν ἂλογον πγμα'.
Λόγος λέγεται ατ’ εξοχήν α ό θεός, οον [Ev. Joh. 1, 1] 'ἐν αχ ν ὁ λόγος, α ὁ λόγος ν πὸς τὸν θεόν’, ἤτοι ὁ υὸς το θεο ἐν ἀχ ν ἀπαάλλατος α σος τ πατί. Λόγον δέ ἐάλεσεν ἀνταθα τὸν διεξοδιόν, τὸν άναπληούμενον ἐ τν μεν <το λόγου>.
Wie nun verstanden die Griechen den Begriff Logos, der in den unterschiedlichsten Texten und Textzusammenhängen vorkam? Dass man stets unterschiedliche Bedeutungen bzw. Bedeutungsnuancen damit verband, ist unwahrscheinlich. Wie soll man die Vielfalt und die Komplexität der Bedeutung des Wortes in den modernen Sprachen wiedergeben, wenn die antiken Autoren es wiederholt verwenden, jedoch innerhalb weniger Zeilen in verschiedenen Zusammenhängen? Die Übersetzer sind hier gezwungen, jedes Mal einen neuen Begriff einzuführen, jedoch mit einem für den Leser verwirrenden Ergebnis, insbesondere wenn dieser die Übersetzung mit dem griechischen Originaltext vergleicht. Wer nur die Übersetzung benutzt – etwa weil er die griechische Sprache nicht beherrscht –, gewinnt ein verzerrtes Bild. Ein Beispiel aus der wichtigen Eingangspassage von Platons Timaios (27d6ff.: Weiteres zum Timaios unten, z.B. S. 50) kann das Gesagte darstellen:
τί τὸ ὂν ἀεί, γένεσιν δέ ο ἔχον, α τί τὸ γιγνόμενον μὲν ἀεί, ὂν δὲ οδέποτε; τὸ μὲν δὴ νπήσει μετὰ λόγου πειληπτόν, ἀε ατὰ τατὰ ὄν, τὸ δ’ α δόξ μετ’ ασθήσεως ἀλόγου δοξαστόν, γιγνόμενον α ἀπολλύμενον, ὂντως δὲ οδέποτε ὂν. πν δὲ α τὸ γιγνόμενον π᾽ ατίου τινός ἐξ ἀνάγης γίγνεσθαι· παντ γὰ ἀδύνατον χως ατίου γένεσιν σχεν. […] | Wie haben wir uns das immer Seiende, welches kein Werden zuläßt, und wie das immer Werdende zu denken, welches niemals zum Sein gelangt? Nun, das eine als dem Denken vermöge des vernünftigen Bewußtseins erfaßbar, eben weil als ein solches, welches immer dasselbe bleibt, das andere dagegen als der bloßen Vorstellung vermöge der bewußtlosen Sinneswahrnehmung zugänglich, eben weil als ein solches, welches dem Entstehen und Vergehen ausgesetzt und nie wahrhaft seiend ist. Alles Werdende muß ferner durch irgend eine Ursache werden, denn es ist unmöglich, daß etwas ohne irgend eine Ursache entstehe. […] |
ε μὲν δὴ αλός ἐστιν ὅδε ὁ όσμος ὅ τε δημιουγὸς ἀγαθός, δλον ὡς πὸς τὸ ἀίδιον ἔβλεπεν· ε δὲ ὃ μηδ’ επεν τινι θέμις, πὸς γεγονός. παντ δὴ σαϕὲς ὅτι πὸς τὸ ἀίδιον· ὁ μὲν γὰ άλλιστος τν γεγονότων, ὁ δ’ ἄιστος τν ατίων. Οτω δὴ γεγενημένος πὸς τὸ λόγ α ϕονήσει πειληπτὸν α ατὰ τατὰ ἔχον δεδημιούγηται· | Wenn nun aber doch diese Welt schön und vortrefflich und der Meister gut und vollkommen ist, so ist es offenbar, daß er nach dem Ewigen schaute; wenn dagegen der Fall eintritt, welchen auch nicht einmal auszusprechen erlaubt ist, dann nach dem Entstandenen. Eben hiernach ist es nun schon jedermann klar, daß er nach dem Ewigen blickte, denn die Welt ist das Schönste von allem Entstandenen, und der Meister ist der beste und vollkommenste von allen Urhebern. So ist denn jene als eine solche ins Leben gerufen worden, die nach dem Urbilde dessen entstanden, was der Vernunft und Erkenntnis erfaßbar ist und beständig dasselbe bleibt. |
τούτων δὲ παχόντων α πσα ἀνάγη τόνδε τὸν όσμον εόνα τινὸς εναι. μέγιστὸν δὴ παντὸς ἄξασθαι ατὰ ϕύσιν ἀχήν. δε ον πεί τε εόνος α πε το πααδείγματος ατς διοιστέον, ὡς ἄα τος λόγους, νπέ εσιν έξηγηταί, τούτων αυτών α συγγενείς ὄντας· το μὲν ον μονίμου α βεβαίου α μετὰ νο αταϕανος μονίμους α ἀμεταπτώτους – αθ᾽ ὅσον οόν τε α ἀνελέγτοις ποσήει λόγοις εναι α ἀνιήτοις, τούτου δε μηδὲν ἐλλείπειν – τος δὲ το πὸς μὲν ἐενο ἀπειασθέντος, ὅντος δὲ εόνος εότας ἀνὰ λόγον τε ἐείνων ὄντας· ὅτιπε πὸς γένεσιν οσία, τοτο πὸς πίστιν ἀλήθεια. | Schreiten wir nun auf diesen Grundlagen zur Betrachtung dieser unserer Welt, so ist sie eben hiernach ganz notwendigerweise ein Abbild von etwas. Nun ist es aber bei einer jeden Frage von der höchsten Wichtigkeit, gerade ihren Ausgangspunkt sachgemäß zu behandeln, und so muß man denn auch zwischen der Art, wie man von dem Abbilde, und der, wie man von seinem Urbilde zu handeln hat, sofort feste Grenzen ziehen, indem man erwägt, daß die Darstellungsweise mit den Gegenständen, welche sie zum Verständnisse bringen soll, auch selber verwandt ist, und daß daher die Darlegung des Bleibenden und Beständigen und im Lichte der Vernunft Erkennbaren selber das Gepräge des Bleibenden und Unumstößlichen an sich trägt, – und soweit es überhaupt wissenschaftlichen Erörterungen zukommt, unwiderleglich und unerschütterlich zu sein, darf man es hieran in nichts fehlen lassen, – die des nach jenem Gebildeten dagegen, so wie dieses selber nur ein Abbild ist, diesem ihrem Gegenstände entsprechend das des bloß Wahrscheinlichen; denn wie zum Werden das Sein, so verhält sich zum Glauben die Wahrheit. |
ἐὰν ον, Σώατες, πολλὰ πολλν πέι, θεν α τς το παντὸς γενέσεως, μὴ δυνατο γιγνώμεθα πάντ πάντως ατος ἑαυτος ὁμολογουμένους λόγους α ἀπηιβωμένους ἀποδοναι, μή θαυμά – σς· ἀλλ’ ἐὰν ἄα μηδενὸς ττον παε-χώμεθα εότας, ἀγαπν χή, μεμνη-μένους ὡς ὁ λέγων ἐγὼ μες τε ο ιτα ϕύσιν ἀνθωπίνην ἔχομεν, ὥστε πε τούτων τὸν εότα μθον ἀποδεχομένους πέπει τούτου μηδὲν ἔτι πέα ζητεν. | Wenn ich daher, mein Sokrates, trotzdem daß schon viele vieles über die Götter und die Entstehung des Alls erörtert haben, nicht vermögen sollte, eine nach allen Seiten und in allen Stücken mit sich selber übereinstimmende und ebenso der Sache genau entsprechende Darstellung zu geben, so wundere dich nicht; sondern wenn ich nur eine solche liefere, die um nichts minder als die irgend eines anderen wahrscheinlich ist, so müßt ihr schon zufrieden sein und bedenken, daß wir alle, ich, der Darsteller, und ihr, die Beurteiler, von nur menschlicher Natur sind, so daß es sich bei diesen Gegenständen für uns ziemt, uns damit zu begnügen, wenn die Dichtung nur die Wahrscheinlichkeit für sich hat, und wir nichts darüber hinaus verlangen dürfen. (Übersetzung F. Susemihl, 1856) |
Logos ist hier zuerst „Bewusstsein“ („Verstand“, nach O. Apelt, 1922; „Vernunft“ nach Paulsen und Rehn, 2003), und alogos „bewusstlos“ („ohne Beteiligung des Verstandes“, Ap.; „vernunftslos“, P.-R.); dann wird logos als „Vernunft“ („Verstand“, Ap.; „Überlegung“, P.-R.) und wenige Zeilen später, im Plural benutzt, als „Darstellungsweise“ („Darstellung“, Ap. und P.-R.) übersetzt; schließlich (Plural im Original) als „wissenschaftliche Erörterung“ („Worten“, Ap.; „Sätzen“, P.-R.) und „Darstellung“ (so auch Ap. und P.-R.); der eigentümliche (mathematische) Ausdruck ana logon wird mit „entsprechend“ (so auch P.-R.; „des [der Eigenart dieses Gegenstandes] Entsprechenden“, Ap.) wiedergegeben. Wir betrachten hier drei gute, sorgfältige Übersetzungen, die doch solche Bedeutungsschwankung nicht vermeiden können, da keine andere Sprache über ein Wort verfügt, das der Bedeutungsvielfalt des griechischen logos entspricht. Schon Goethes Faust war dies bewusst. Es lässt sich vermuten, dass für einen ausgebildeten Griechen in Platons Zeit die grundlegende Begriffseinheit von logos deutlich spürbar war. Platon selbst gibt im Text – wie dies in griechischen Texten so oft der Fall ist – den Schlüssel für die Interpretation des ana logon, wenn er festhält: ὅτιπε πὸς γένεσιν οσία, τοτο πὸς πίστιν ἀλήθεια, d.h.,
Platon denkt hier an die mathematische Neigung des logos und teilt uns dies mit (s. auch unten, S. 31 und 50). Das Wort unübersetzt zu lassen, wäre oft die einzige, jedenfalls die getreueste Lösung – das ist aber nicht immer möglich.
Logos ist das, was eint und den Dingen ihre Bestimmtheit gibt; logos ist der „goldene Schlüssel“ zum Verständnis und zur Interpretation der Welt. Logos ist auch Erzählung, Dialog, Verstand, jedoch meint dies tatsächlich etwas Spezifischeres, etwas, das einen eigenen autonomen Status besitzt, der ihm, so Zellini, einen Platz unter den ältesten Ritualen der menschlichen Zivilisation sichert, aber auch unter den wichtigsten Voraussetzungen der modernen wissenschaftlichen Vernunft, da es mit dem elementaren Akt des Sammelns, Einteilens und der Herstellung von Beziehungen zwischen Erfahrungstatsachen eng verbunden ist. Logos bezeichnet auch die Proportion im griechischen Tempelbau. Im Grundriss des klassischen Tempels kann die Bedeutung von Zahlenverhältnissen und rationalen Proportionen nachgewiesen werden: Zahlenverhältnisse, die denen der Tonleiter in Platons Timaios und somit der pythagoreischen Skala entsprechen und sich in musikalische Intervalle übersetzen lassen. Im griechischen Tempelbau – wo sich die modernen Berechnungen der antiken Rechnungsmethoden bedienen sollten (also, nicht Dezimal-, sondern Bruchrechnung, s. z.B. unten S. 22 und 140) – ist die Verwendung kommensurabler Proportionen stets nachweisbar.
Logos, haben wir festgehalten, bedeutet Einteilen und die Herstellung von Beziehungen zwischen einzelnen Erfahrungstatsachen, welche die Griechen ἕαστα nannten, Einzigartigkeiten. Dem Begriff kam zentrale Bedeutung zu in dem Moment, als sich das Bewusstsein der wissenschaftlichen Methode herauszubilden begann: Er bedeutet, Sinn zu verleihen, indem man Dinge miteinander in Beziehung setzt. Logos ist dasjenige, das die Wesen auftreten und existieren lässt „auf der Bühne der Welt“, mittels der Wahl, der Aufteilung, der Vermittlung und der durch die Zahl etablierten Verhältnissen (Zellini). Logos ermöglicht es, das Vielfältige auf die Einheit zurückzuführen – eine Verbindung, die Platon als δεσμός bezeichnet.
Logos ist das Gleichgewicht zwischen Ordnung und Unordnung, der Übergang vom Abgetrennten zum Zusammenhängenden, die Verbindung zwischen Meer und Land; es bedeutet, Ordnung in der Unordnung der Welt herzustellen, dem Unbekannten die Möglichkeit einer Definition zu geben und die Mitte zwischen Extremen zu finden. Es ist eine dämonische Welt, in dem „alle Mitten sind zerbrochen, und es gibt keine Mitte mehr“, wie in dem Majakowski zugeschriebenen Vers, der sich als vorangestelltes Motto in Hans Sedlmayrs „Verlust der Mitte“ findet. Und eben an der Schwelle zum Dämonischen bewegt sich der Logos und mit ihm die Zahl, so Zellini. Sie sind jedoch zugleich das einzige Instrument, mit dem sich eine Mitte finden lässt und mit ihr die eigentliche Natur des Menschen und der Dinge, wie Pascal festhält (wiederum nach Sedlmayr): „Die Mitte verlassen heißt die Menschlichkeit verlassen“.
Siegfried Heller und Heribert Boeder erwähnen im Zusammenhang mit Logos, ebenso wie Zellini (und alle unabhängig voneinander), den Namen des Proteus, des alten Meeresgottes, der im vierten Buch der Odyssee aus den Wassern steigt und wiederholt dieselbe Tätigkeit vollzieht: seine Robben in Gruppen zu je fünf abzuzählen, um sich zu vergewissern, dass keine fehlt. Dieses Zählen, dieses Abzählen und Einteilen, ist legein, wie Homer sagt, und katalegein; es ist logos, was auch und zweifellos arithmos, Zahl, meint. Proteus steht am Übergang zwischen Meer und Land, er ist der Herr der Verwandlung, aber auch ein glaubwürdiger Gott, hinter dessen täuschender Fassade sich eine unumstößliche Wahrheit und Gerechtigkeit verbirgt. Hier liegt die Verbindung zwischen Logos und Aletheia: Der Bereich der Aletheia, der Wahrheit, so Boeder, sei „nicht mehr beschränkt auf das Miteinandersein von Wissenden und Nichtwissenden, sondern sie kennzeichnet fortan auch das Verhältnis des Wissenden zu seinem Gewussten bzw. Wissbaren. Die Bindung an das Sagen entfällt für die ἀλήθεια in dem Maße wie für den λόγος selbst, der dem ϕονεν gleichkommt“.
Aber Proteus ist auch die Zahl eins des Platonismus, Proteus, der sich, so Zellini, in jedwede Form verwandeln konnte; „so ist die Eins der Erschaffer jeder Zahl“, wie der Pseudo-Jamblich der Theologoumena Arithmetica uns lehrt. Hier kommt das mythische Element ins Spiel, und die Kontinuität zwischen mythischem und sogenanntem rationalem Denken ist wiedergewonnen. Damit ist schließlich auch die unangemessene Kluft überwunden, die Aristoteles in der Präambel des ersten Buches seiner Metaphysik beschreibt, wo er fordert, sophia und philosophia, das mythisch-theologische Wissen und das für ihn moderne Wissen, voneinander zu trennen – eine Dichotomie, die den „Verlust der Mitte“ und der Beziehung markiert hätte, zugunsten einer Vormacht der Extreme.
Homer, Hesiod, die attische Tragödie, Anaximander, Heraklit, Parmenides, Pythagoras, dann Platon, Aristoteles, die griechischen Architekten und bis hin zum Platonismus eines Numenios von Apameia, eines Plotin oder Porphyrios …, aber auch Leibniz, dann Dedekind, Cantor, Hilbert und von Neumann. Die Wurzeln und das Schicksal. Der Logos der Aussage, als „Darstellung des einen in etwas anderem“ (s. unten, S. 266), der mit Hilfe von Begriffen und Definitionen das Wesen der Dinge kategorisiert und zu beschreiben versucht, findet gerade hier seine Rechtfertigung. Logos als einen in sich geschlossenen Begriff zu denken, wie die Griechen dies sicherlich taten; eben hier liegt „der Kern der erkenntnistheoretischen Behandlung der Dinge“ (Toeplitz).