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3. Die Ideenzahlen Platos
ОглавлениеEs ist klar, daß die Bildung der λόγοι neben der Handhabung unendlicher Prozesse (der sog. Exhaustionsmethode) den logisch interessantesten Vorgang in der gesamten griechischen Mathematik darstellt. Es wäre deshalb auf jeden Fall erstaunlich, wenn die griechische Philosophie, wenn vor allem Plato und Aristoteles, die die Mathematik dauernd als Beispielmaterial für erkenntnistheoretische Verhältnisse benutzen, an diesem Vorgang achtlos vorübergegangen sein sollten, ohne ihn nach der erkenntnistheoretischen Seite voll auszuschöpfen.
Aus dieser Feststellung ergibt sich nahezu von selbst die Fragestellung, ob etwa die mysteriösen Ideenzahlen Platos, das „unbestimmte Paar“ (die ἀόιστος δυάς) oder, wie er es selbst nennt, das „Groß und Klein“ (das μέγα α μιόν) die erkenntnistheoretische Inkarnation der mathematischen „Verhältnisse“ (λόγοι) sind, ob α : β das unbestimmte Paar ist, das unter den verschiedensten Erscheinungsformen auftreten kann, als Verhältnis der verschiedensten Paare von ganzen Zahlen etwa, oder von zwei Flächen u. dgl. m. Ob dabei gerade das Beiwort ἀόιστος andeuten soll, daß man über das Paar, das den nämlichen λόγος repräsentiert, noch sehr verschiedentlich verfügen kann, oder daß die beiden Glieder des Paars, das Groß und Klein, selbst der Welt des Unbegrenzten entstammen, bleibe dabei vorläufig dahingestellt. Ebenso, ob das „Groß und Klein“ dabei das einzelne Paar bedeutet oder das „Verhältniss“, das es mit allen Paaren gemeinsam hat, die mit ihm in Proportion stehen. Überhaupt bedeutet unsere These nur einen ersten Versuch und wohl den sich am unmittelbarsten darbietenden, um die am Eingang dieses Paragraphen angedeutete Tendenz in die Wirklichkeit umzusetzen. Diesen Versuch durchzuführen, ist die Absicht der hier folgenden Seiten. Nur die Durchführung selbst kann zeigen, ob er in den Tatsachen fundiert ist und durch welche Modifikationen er den Tatsachen angepaßt werden kann.
Gilt die These oder auch nur die in ihr liegende Tendenz, so besagt dies allerdings sehr viel für die griechische Mathematik. Es besagt, daß Plato im Begriff war, sie in einem aus dem Euklid nicht unmittelbar zu erkennenden Maße irgendwie zu dem heutigen Zahlbegriff hinzuführen, und es besagt weiter, daß Aristoteles mit seinem Kampf dagegen die Mathematik von diesem Wege abgedrängt hat. Es ist bekannt, wie die Autorität des Aristoteles die Astronomie vom heliozentrischen System, wie sie die Physik von ihren ersten Einsichten weggeleitet und wie sie die Entwicklung durch fast zwei Jahrtausende gehindert hat, und zwar auch dann noch, als die sehr ernsten Gründe, die Aristoteles selbst zu seiner Stellungnahme geführt hatten, sich längst gänzlich verschoben hatten. In einem ähnlichen Sinne also hat – das besagt unsere These – die Autorität des Aristoteles in die Entwicklung der Mathematik eingegriffen und durch zwei Jahrtausende eine Umformung hintangehalten, die Platos Akademie zu vollziehen im Begriff war.
Die These besagt nicht weniger über das Ganze der Platonischen Ideenlehre in ihrer Entwiklung beim älteren Plato und bei seinen Schülern Speusipp und Xenokrates und über die Gründe, die Aristoteles mit solchem Elan dagegen ins Feld führt. Denn wenn wirklich Plato das erkenntnistheoretische Interesse des mathematischen λόγος-Begriffs erkannt hat, so muß er es auch ganz von der erkenntnistheoretischen Seite angefaßt und für die Erkenntnistheorie ausgewertet haben. Es erscheint unabsehbar, was Plato hier an Substantiierung der Logik nach dem Muster der Proportionenlehre vorgeschwebt hat. Wie jede Zeit und jede neue Geistesrichtung noch in Plato ihr Spiegelbild gesucht und gefunden hat, so müssen wir auch im vorliegenden Falle mit der Möglichkeit rechnen, vor Spiegelbildern von Dingen zu stehen, die heute darin noch nicht erkannt sind, oder die heute noch abseits vom Wege stehen. Nicht die mathematischen Stellen bei Plato können die eigentliche Entscheidung über unsere These erbringen, sondern nur die behutsame, nichts Modernes hineindeutende Analyse der Ideenlehre in ihrer Gesamtanlage – wie auch die Aristotelische Kritik sich nie allein gegen die Ideenzahlen, sondern in allen Perioden gegen das Ganze der Ideenlehre gerichtet hat.
Die Untersuchung wird danach von dreierlei Quellen ausgehen müssen:
1 von den mathematischen Kundgebungen der Platonischen Dialoge, im weitesten Sinne des Wortes „mathematisch“ nach der erkenntnistheoretischen Seite hin,
2 von den Fragmenten der Vorlesung „Über das Gute“, die sich bei den Kommentatoren finden,
3 von der wiederholten Polemik des Aristoteles gegen diese Lehre.
Die erste dieser drei Quellen wird immer die eigentlich entscheidende bleiben. Denn die zweite ist ungemein dürftig; nirgends ist ein Satz oder auch nur ein Halbsatz, der explizite als Platonischer Text gesichert wäre; statt dessen eine Kette von Wortfetzen, zu einem Text verbunden von Leuten, deren frühester, Alexander, im besten Falle die Nachschrift des Aristoteles aus dieser Vorlesung noch vor Augen gehabt hat. Die dritte Quelle endlich enthält noch weniger von sakrosankten Trümmern aus Platos Kolleg. Aristoteles setzt Leser bzw. Hörer voraus, die dieses Kolleg noch selbst gehört haben mögen oder aus Nachschriften kennen, und später doch solche, die die Fortbildungen der Platonischen Lehre durch die Nachfolger Platos in der Leitung der Akademie, Speusipp und Xenokrates, kennen8. Deshalb hat es – zu unserem Leidwesen – Aristoteles nicht nötig, diese bekannten Dinge, die er ausführlich bekämpft, durch wörtliche Zitate zu belegen. Und da sein Angriff sich zudem gegen das erste Grundprinzip richtet, kommt von dem konkreten Inhalt der Platonischen Theorie, von deren mathematischen und erkenntnistheoretischen Details, fast nichts zum Vorschein. Obgleich die Kommentatoren doch eben nur diese Stellen kommentieren, tritt aus ihren Notizen doch jedenfalls das eine hervor, wieviel konkretere Ausführungen das Kolleg Platos enthalten haben muß, die man nie vermuten würde, wenn man nur die Worte des Aristoteles besäße.