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Jenseits der Physik – Geltungen und submediale Räume.
Zur phänomenologischen Medientheorie
von Lambert Wiesing und Boris Groys Jens Bonnemann

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Die Medienphilosophie, die sich im Zuge der Entwicklung der Neuen Medien und der Informationsgesellschaft formiert hat, sieht sich weitgehend als eine Grundlagendisziplin, weil sie von der Voraussetzung ausgeht, dass alles Wahrnehmen, Denken und Handeln durch Medien – in erster Linie die Sprache – bestimmt ist. Die meisten medienphilosophischen Ansätze – als prominente Theoretiker sind hier zu nennen: Vilém Flusser, Jean Baudrillard, Paul Virilo und Friedrich A. Kittler – entwickeln darum nicht von ungefähr ihren Medienbegriff in Anlehnung an ein Zeichenkonzept, das dem französischen Strukturalismus und Poststrukturalismus verpflichtet ist (vgl. Mersch 2006: 131ff.). Radikale Vertreter wie etwa Lorenz Engell (2003) verstehen Medienphilosophie zwar nicht mehr als eine Grundlagendisziplin der Philosophie, sondern vielmehr als ein Geschehen, das sich in den Medien selbst abspielt. Aber auch Engell orientiert sich an einem Denker wie Gilles Deleuze, der Medien wie Zeichen behandelt. Nicht nur in der Bildtheorie, sondern auch in den unterschiedlichen Spielarten der Medientheorie gibt es offenbar eine Hegemonie der Semiotik.

In Abweichung davon werden im Folgenden zwei Theorieansätze betrachtet, die abseits des medientheoretischen Mainstreams liegen. Mit Lambert Wiesing und Boris Groys sollen zwei Autoren der Gegenwart miteinander ins Gespräch gebracht werden, welche ihre originellen Beiträge zur Medientheorie aus einer explizit phänomenologischen Perspektive entwickeln. Ein Vergleich zwischen diesen beiden Philosophen, die in ihren Texten bisher noch nicht ausführlich voneinander Notiz genommen haben, bietet sich aber nicht nur deswegen an, weil Beispiele für eine phänomenologische Medientheorie eher selten sind. Darüber hinaus macht es auch eine überraschende inhaltliche Übereinstimmung naheliegend, jeweils die eine Position vor dem Hintergrund der anderen zu diskutieren: Beide Philosophen weisen nämlich explizit darauf hin, dass sich mit den Medien ein Bereich jenseits der Physik eröffnet. Für Wiesing ist das Medienobjekt selbst physiklos, für Groys ist hingegen dasjenige physiklos, was sich hinter dem Medienobjekt verbirgt.

Der erste Teil des vorliegenden Aufsatzes, der sich auf Wiesings Vorschlag für eine Neudefinition des Medienbegriffs in seinem Aufsatz „Was sind Medien?“ (2005) konzentriert, beginnt mit dessen summarischer Kritik am bisherigen Stand der Medienwissenschaft. Nach Wiesing beruht die gängige inflationäre Verwendung des Medienbegriffs schlichtweg auf dessen Unschärfe. Demgegenüber liefert er Gründe für eine Bestimmung des Mediums als ein Werkzeug, das Geltungen, also Sachverhalte jenseits der Physik produziert. Im zweiten Teil wendet sich die Untersuchung Boris Groys’ Buch Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien (2000) zu. Anders als Wiesing geht es Groys weniger um eine Definition des Medienbegriffs, vielmehr steht im Mittelpunkt der Gedanke, dass in der medialen Erfahrung die Frage nach dem unvermeidlich wird, was sich hinter der Zeichenoberfläche versteckt. Der submediale Raum, wie Groys es nennt, ist etwas, das die Zeichen produziert und trägt, aber selbst nicht zum Objekt der Erkenntnis werden kann.

Im Vergleich miteinander lassen sich die Konturen der beiden medienphilosophischen Positionen schärfer hervorheben, wobei jeweils Probleme der einen Position im Licht der anderen deutlicher zum Vorschein kommen. So wie aus Wiesings Perspektive deutlich wird, dass auch Groys’ Medienbegriff vage und mehrdeutig bleibt, lässt sich wiederum aus Groys’ Perspektive fragen, inwieweit Wiesings Bestimmung des Medienträgers als eines physikalischen Objekts einer phänomenologischen Beschreibung der medialen Erfahrung wirklich gerecht wird.

Handbuch der Medienphilosophie

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