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3.5 Medialität und Operativität
ОглавлениеOffenbar gibt es nur ‚ein‘ adäquates Medienverständnis, das seinen Maßstab aus der Mathematik bezieht, welcher Darstellung und Übersetzung oder – wie Kittler sich ausdrückt – Aufzeichnung und Übertragung – ins einheitliche Schema des Operationalismus presst, während sich alle anderen Modelle, so Kittler (1998 a), als ‚antiquiert‘ erwiesen. Jedoch folgt dieser Schluss allein aufgrund einer rückwärtigen Projektion, die nicht nur den gegenwärtigen Stand des Technischen zum vorerst letzten Höhepunkt verklärt, sondern auch die Heraufkunft der technologischen Kultur seit Mitte des 19. Jhs., um von dort aus sämtliche kulturelle Praktiken überhaupt als techne zu lesen. Diese Aufwertung des Technischen enthält dabei sowohl eine anfechtbare philosophische als auch anthropologische These, denn sie versteht zum einen die Technik im Sinne Heideggers, aber entgegen seiner Intention, als ‚Hervorbringung‘ eigentlicher Wahrheit, mithin als Zeit der aletheia (Unverborgenheit), zum anderen teilt sie das Verhältnis von Natur und Kultur ausschließlich in physis und techne auf und verhandelt damit die Gesamtheit des Kulturellen und seiner Phänomene überhaupt unter dem Aspekt von Technologie. Die Hypothese technologischer Kultur erscheint auf diese Weise kritiklos durchgeschlagen.
Wo daher Medien mit Techniken identifiziert werden, wird im selben Atemzuge auch der Begriff des Technischen totalisiert (Hörl 2011, Mersch 2013). Das gilt in der Fortsetzung besonders für jene Medientheorien, die grundlegende kulturelle Techniken wie Schrift, Bild und Zahl in operative Ketten aufzulösen trachten (Ernst 2008; Schüttpelz 2006; Siegert 2011; kritisch: Mersch 2016). Im Rahmen jüngster Entwicklungen wie dem ‚persuasive‘ oder ‚ubiquitous computing‘ und einer erweiterten Actor-Network-Theory werden zudem komplette non-naturalistische Medienökologien postuliert, die von symmetrischen Relationen zwischen Automaten, Menschen und ‚Devices‘ ausgehen, welche diese tendenziell zu gleichwertigen Partnern machen und folglich die humane Position im Sozialen ebenso derangieren wie neu definieren. Man ahnt, dass sie voreilend einer Gleichwertigkeit zwischen technisch-humanoiden Akteuren und menschlichen das Wort reden. Die zunehmende Implementierung von technischen Dispositiven environmentalisiert so das Mediale, das auf diese Weise beginnt, das menschliche Leben ohne jedes Außen zu umgeben und unlösbar in sein Geflecht einzuwickeln, sodass es aus der ‚technologischen Bedingung‘ so wenig ein Entrinnen gibt, wie sie kritisierbar erscheint. Vielmehr avanciert die Technizität des Mediums selbst zu einem bedingungslosen Teil der ‚menschlichen Conditio‘, sodass wir am Ende des metaphysischen Abenteuers mit der exakten Umkehrung des ‚Humanismus‘ und seiner latenten philosophischen Depravierung konfrontiert sind: Das Mediale tritt nicht länger als ‚Drittes‘ ‚zwischen‘ die begrifflichen Dualismen, um sie gleichzeitig zu dislozieren, sondern der Mensch und seine Welt verlieren jede Priorität, um sich, als posthumanistische Marginalie, lediglich als Position unter anderen in den Netzwerken aus lauter heterogenen Akteuren aufzuhalten.
Doch lasse man sich nicht täuschen: Was sich als philosophische Radikalisierung des Medialen zu erkennen gibt, verdankt sich zum einen der Fortführung wesentlicher Motive, die bereits von Anfang an in seinen begrifflichen Konnotationen mitschwangen, nämlich erstens die Materialität des Medialen, nunmehr gedeutet als „Medienmaterialismus“ der Hardware (Kittler), auch wenn Stoff und Form als Größen hinstellt werden, die die „Medienwissenschaft […] vergessen [darf]“ (Mersch 2003: 197); zweitens die repräsentationskritische Note einer Unendlichkeit der Codes (Flusser) und ihrer fortwährenden Transferierung, die letztlich doch die Übertragungsproblematik, jedem Operationalismus zum Trotz, fortsetzen, denn es regieren nunmehr allein Wege, Kanäle, Knoten und Kommunikationsströme sowie deren Akzeleration (Mersch 2013: 39f.). Sie sorgen für eine begriffliche Kontinuierung der Theoreme, die sich von ihren metaphysischen Wurzeln nur schwer zu befreien vermögen und sich vor allem durch ihre konsequente Mathematisierung auszeichnen. Es ist folglich die Herrschaft des Mathematischen und seines Formalismus, die hier strukturbildend wird, um auf der anderen Seite durch Umschrift der Grundannahmen strukturaler Linguistik und der wesentlichen Prämissen des Poststrukturalismus die Medientheorie als eigentlichen Ort einer Metaphysik- und Philosophiekritik zu stilisieren. Seltsamer, ja geradezu auf den Kopf gestellter Chiasmus der Zugänge, denn was der implizite rationalitätskritische Duktus ausmacht, die Betonung einer „Dazwischenkunft“ (Tholen) als Differential ohne Identität, das der Derrida’schen différance nachempfunden ist, entpuppt sich umgekehrt als äußerste Zuspitzung des metaphysischen Geistes. Das lässt sich auch so ausdrücken: Was einst der Sprache der Metaphysik angehörte, wird nunmehr in die Sprache der Technik transferiert, die sämtliche Kategorien, die einst die menschliche Welt charakterisierten – Sozialität, Praxis, Denken, Kreativität, Kommunikation oder Reflexivität etc. – in die technologischen Regime konvertiert und als ‚Netzwerke‘, ‚Operativität‘, ‚Verschaltung‘, ‚Zufall‘, ‚Übertragung‘ und ‚Referenz‘ wieder auferstehen lässt. Folgerecht hatte Kittler sowohl das strukturalistische Sprach- und Textapriori, das auf die eine oder andere Weise in alle Medienphilosophien des 20. Jhs. eingedrungen ist, als auch die klassische Apotheose des Mathematischen, wie sie bereits für Platons Akademie stilbildend war, als Apriori der ‚Maschine‘ reinkarniert, um daraus nichts anderes als einen „Medienapriorismus“ (Krämer) in Gestalt eines Technikdeterminismus abzuleiten. Medienphilosophie, jedenfalls in dieser Ausprägung, bleibt der Vergangenheit, die sie durchquerte, um anderes und anders zu denken, weiterhin treu.