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GRUNDLEGUNGEN Philosophien des Medialen.
‚Zwischen‘ Materialität, Technik und Relation Dieter Mersch 1. Der Begriff ‚Medium‘
ОглавлениеDer Begriff ‚Medium‘ gehört zu den philosophischen Grundbegriffen. Zwar steht er scheinbar hinter Kategorien wie Sein, Nichts, Werden oder Begriff, Wahrheit und Grund zurück, doch beruhen diese im Wesentlichen auf Relationen (mit Ausnahme des Nichts). Sein ist stets ‚Sein von …‘, Begriff ‚Begriff von …‘ oder Wahrheit ‚Wahrheit von …‘. – usw. –, wobei Relationen stets nur ‚im Modus von …‘, vorkommen, deren Modalität wiederum ihr Medium darstellt. Das Mediale ist also, obwohl ungenannt, immer schon implizit, wobei wir es von Anfang an mit einer Doppelbesetzung zu tun haben (Mersch 2015 a). Denn nennt der ‚Begriff‘ die Bestimmung dessen, ‚was‘ etwas ist, oder die ‚Wahrheit‘ eine spezifische Eigenschaft von ‚Sätzen‘, verweist das Mediale auf das ‚Wie‘, d.h. auf den spezifischen Austrag ihrer Relationalität. Die philosophische Terminologie ist dadurch determiniert: Sie handelt von ‚etwas‘ als ‚etwas‘, was ein Verhältnis zwischen zwei Elementen (Relata) ausdrückt, die ihrerseits auf eine bestimmte Weise zueinander in Beziehung gesetzt sein müssen (z.B. durch Vergleich). Das Verhältnis und die Art und Weise seiner Spezifikation gehören damit zusammen, sodass beide, das Was-sein und das Wie-sein von ‚etwas‘ und die Rede von ihm, seine Darstellung oder Verkörperung und Übersetzung etc. ausmacht. Das Medium bezieht sich auf diese zweite Seite, und die entscheidende Einsicht besteht darin, dass diese nicht passiver Natur ist, sondern an der Konstitution dessen, ‚was es gibt‘ aktiv beteiligt ist. Dem Medialen kommt darum nicht direkt eine signifikative Funktion zu, wohl aber modelliert es diese und formt ihre Gestalten.
Tatsächlich begleitet das Mediale die philosophische Begrifflichkeit und ihre Manöver wie ein Schatten, sodass von einer ‚notwendigen Mitgängigkeit‘ gesprochen werden muss, die den Verweis auf eine immer schon am Werk befindliche Mediation ebenso unausweichlich macht wie verdunkelt. Deswegen die berühmte Bemerkung Friedrich Nietzsches (1882: 172): „unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.“ Das Medium entfaltet, in allen unseren Aktivitäten, eine genuine Komplizenschaft, die das, was wir tun, von Anfang an bereits verwandelt und modifiziert haben wird. In einer ersten Annäherung kann das Mediale daher als ein ‚Ko-Konstituens‘ gekennzeichnet werden, jedoch nicht so, dass es die Dinge und Praktiken selbst hervorbringt, sondern im Sinne einer intrinsischen Verwickeltheit begleitet, sodass ihm, mit Edmund Husserl gesprochen, der Status einer ‚Mitgegebenheit‘ verliehen werden muss. Entsprechend bezeichnet ursprünglich der Ausdruck „Medium“, lat. Mitte, dasjenige, was sich, wörtlich, in medio, d.h. in der Mitte hält (Kerlen 2003: 9) und als Drittes zwischen die Relata und ihre Differenzen schiebt. Von vornherein ist so ein Tertium angesprochen, das sich den Registern klassischer Dichotomisierung – zwischen Begriff und Sache, Wahrheit und Schein oder Subjekt und Objekt und, in weiterer Verzweigung, zwischen Geist und Materie oder Natur und Kultur – entzieht. Daraus leitet sich sowohl die Schwierigkeit einer angemessenen Explikation des Begriffs als auch die rationalitätskritische Note philosophischer Medienreflexion in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. ab, ihre – ob berechtigt oder unberechtigt – Partizipation an Differenzphilosophien (Mersch 2006). Als Tertium oder Drittes sprengt es die Register der Unterscheidung, sodass Medienphilosophie, obzwar Teil des philosophischen Abenteuers und diesem inhärent, die Grundlagen klassischer Philosophie mit Blick auf das, was in Analogie zu Martin Heideggers ‚Seinsvergessenheit‘ eine ‚Medienvergessenheit‘ genannt werden kann, unterläuft.